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In Israel: Die Edelmütigen gegen die Gemeinen

 

Nicholas D. Kristof, NYT, 8.7.10

 

 

Israel macht auf seinem Weg weiter, um der Welt seine hässlichste Seite zu zeigen: palästinensische Häuser werden abgerissen und  habgierigen Siedlern erlaubt man, palästinensisches Land zu rauben.

 

Doch es gibt auch ein anderes Israel, dass ich sehr bewundere. Das ist die Demokratie, die eine weit größere Skala von Meinungen toleriert als Amerika. Es ist eine Zitadelle der bürgerlichen Gesellschaft. Und wo unwahrscheinlicher Weise der Ort ist, wo einige der mutigsten und effektivsten Stimmen sich für die unterdrückten Palästinenser einsetzen: israelische Rabbiner – wie Arik Asherman, der Exekutivdirektor der Rabbiner für Menschenrechte.

Rabbi Asherman, 50, groß, hager, mit Bart und klagenden Augen (Wenn eine Castingagentur einen Propheten Jeremia-Typ braucht, hier ist er). Er wuchs in Erie, Pa auf. Bei einem kurzen Besuch in Israel nach dem Abitur verliebte er sich in Israel und zog 1994 hierher. Bei den Rabbinern für Menschenrechte sitzt er 20 Mitgliedern und Hunderten von Freiwilligen vor, die als menschliche Schutzschilde Palästinenser schützen – selbst dann, wenn das Verhaftung  bedeutet oder geschlagen zu werden.

Ich beobachtete, wie die hässliche Seite Israels mit der edlen Seite kollidierte, als Rabbi Asherman und ich eine ländliche Gegend im Norden der Westbank besuchten, wo jüdische Siedler Land von palästinensischen Bauern an sich gerissen hatten.

„Wenn wir versuchen, unser Land zu betreten, warten schon Siedler dort, und wir werden geschlagen,“ sagte Muhammad Moqbel, ein 71jähriger Palästinenser aus dem Dorf von Qaryout. Er zeigte auf Felder, von denen er sagte,  sie  seien von Siedlern gestohlen worden. Im letzten Jahr musste er mit einer gebrochenen Rippe ins Krankenhaus, nachdem ihn Siedler bei der Ernte der eigenen Oliven angegriffen hatten.

Die Rabbiner für Menschenrechte hatten Palästinenser geholfen, einiges Land durch einen Zivilprozess wieder zu erlangen. Und Rabbi Asherman und andere jüdische Aktivisten begleiten solche Farmer, um sie zu schützen. Die Siedler greifen noch immer an; aber Soldaten greifen eher ein, wenn Rabbiner geschlagen werden.

Während Herr Moqbel und R. Asherman mir dies alles erklärten, kam ein Fahrzeug mit einem Siedler, um sich mit uns anzulegen. Und dann ein anderer. Die Siedler fotografierten uns. Wir fotografierten sie. Ich fragte sie, ob ich sie interviewen dürfte. Sie weigerten sich, auf meine Fragen zu antworten.

„Sie versuchen nur, uns einzuschüchtern,“ sagte R. Asherman.

So war es auch im amerikanischen Bürgerrechtskrieg. Da wurden die Aktivisten oft Ziele. Palästinensische Jugendliche haben R. Ashermans Wagen mit Steinen beworfen. Er wurde verhaftet und  von Sicherheitskräften  und Siedlern geschlagen. Sein Wagen ist fast so alt wie Jerusalem. Er muss die Haube öffnen und mit den Kabeln  manipulieren, damit der Motor startet. Dies verhindert ein schnelles Wegkommen.

Doch gemeinsames Geschlagen werden verändert auch böswillige Stereotypen von Juden unter Palästinensern.

Einmal erhielt er einen Anruf, dass ein 13Jähriger Palästinenser von israelischen Soldaten geschlagen worden sei und eilte dorthin. Dann wurde er selbst mit Tränengas angegriffen, auf den Kopf geschlagen und von Soldaten verhaftet. Der Junge erzählte später verwundert, dass ein großer jüdischer Fremder zu seiner Hilfe gekommen sei und ihm, während  er verhaftet werden sollte, ihn tröstete und sagte: „Hab keine Angst“.

 

Dieses ‚andere Israel’ umfasst nicht nur die Rabbiner für Menschenrechte. Die überzeugendsten Kritiker israelischer Behandlung der Palästinenser kommen unweigerlich von Israels eigenen Menschenrechtsorganisationen; die präziseste Enthüllung von Israels Gründungsmythen kommt von Israels Historikern. Die schärfste Kritik von Israels historischen Behauptungen kommt von israelischen Archäologen. (Eine archäologische Organisation, Emek Shaveh, bietet  Besuchern alternative historische Rundfahrten, um ein besseres Bilds zu bekommen) Dieses edelmütigere Israel ist, indem es sich weigert,  selbst in Zeiten von Angst und Stress von seinen Werten abzuweichen, ein Vorbild für die Welt.

 

Im Nahen Osten sind – auf beiden Seiten – die religiösesten Menschen manchmal die Hasserfülltesten.  Indem sie den religiösen Extremismus herausfordern, erfüllen sie nicht nur die israelischen Werte, sondern auch die jüdischen.

Die Rabbiner für Menschenrechte haben starke Unterstützung von nordamerikanischen Juden gehabt und einige amerikanische Kinder beteiligen sich an der klassischen zionistischen Geste: einen Baum für Israel pflanzen und schicken Geld, damit die Rabbiner  für Palästinenser Olivenbäume pflanzen können, deren Olivenhaine von Siedlern  ausgerissen wurde.

Nicht jeder ist von R. Asherman begeistert. Er erhält Todesdrohungen und kompromisslose Israelis sehen in ihm einen naiven Verräter.

Er kämpfe darum, dass die religiösen und moralischen Werte gehalten werden – so seine Antwort. Doch geht es ihm auch um das Bauen von Brücken zwischen Juden und Palästinensern, um Israel für seine Kinder  sicherer zu machen. „Auf die Dauer müssen wir hier zusammenleben – oder  wir werden hier gemeinsam sterben,“ sagt er.

„Wenn wir hier Todesdrohungen bekommen und  Leute sagen, wir seien Verräter und Anti-Israel, denke ich: ‚Wer tut mehr für Israels physisches Überleben? Jene, die Häuser zerstören und Bäume ausreißen oder jene die Häuser wieder aufbauen und Bäume wieder  neu anpflanzen?“

 

(dt. Ellen Rohlfs)