Reuven Moskovitz, Zeev-Vilnai-Str.4,
Hotel Migdalei Kedem Zimmer
721 Postfach 3686 – 96100 Jerusalem, Tel.00972/2/6535103;
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An alle
Abgeordneten des Deutschen Bundestages!
Sehr geehrte Frau Abgeordnete, sehr
geehrter Herr Abgeordneter,
mein Name ist Reuven
Moskovitz, ich bin 1928 geboren, ein
Überlebender der schrecklichen nationalsozialistischen Verfolgung. Es mag Ihnen
ungewohnt vorkommen, dass ich aus meinem Leiden andere Schlussfolgerungen
gezogen habe als die meisten Überlebenden. Für mich gilt nicht die Devise
„Nie vergessen – nie verzeihen“. Denn in einer Welt, in der Menschen einander
nicht verzeihen, können wir nicht leben.
Ich schreibe diesen Brief aus Anlass
des Gedenkens an den Sechstagkrieg, der vor 41 Jahren begann. Nach meiner
Meinung und der vieler Historiker war dieser Krieg k e i n
Verteidigungskrieg. Er endete mit dem „überwältigenden Sieg“ Israels, dieser
erwies sich aber zunehmend als bitterer Pyrrhussieg, als Ursache der „Krankheit
der Friedlosigkeit“ und endloser Gewalt.
Als ich vor 30 Jahren nach Deutschland ging
um zu studieren, wie ein Volk von Dichtern und Denkern zu einem Volk von
Richtern und Henkern werden konnte, waren mir die Deutschen zunächst
begreiflicherweise verhasst. Durch die persönliche Begegnung aber mit
vielen deutschen Menschen, kann ich nun von einem Deutschland sprechen, das ich
liebe. Für mich stellen die vergangenen 60 Jahre deutscher und europäischer
Geschichte das Wunder der Beendigung erbitterter nationaler Feindschaften dar
und der eindeutigen Absage an den Krieg . Die
Bundesrepublik hat die richtigen Konsequenzen aus ihrer jüngsten
Vergangenheit gezogen und einen überzeugenden Beitrag zu einem friedlichen
Europa geleistet.
Israel hingegen, das jetzt seinen 60.
Geburtstag mit Pathos feiert, ist beherrscht von erschreckender
Gewalt. Mein jüdisches Volk, einst Opfer von Willkür, Gewalt und Hass - hat
sich mit seiner Politik leider selbst zu einem Volk von unerbittlichen Tätern
gemacht. Die Staatsgründung 1948 erfolgte ohne Rücksicht auf die dort
lebenden Palästinenser, so, als gäbe es sie gar nicht.
Der Staat Israel mit seinen phantastischen
Errungenschaften ist für uns ein Wunder, die Verwirklichung eines Jahrtausende alten Traumes, für den der gläubige Jude
dreimal am Tag betet. Für die Palästinenser war und ist die Staatsgründung die
Katastrophe (Naqba). Hunderttausende wurden
enteignet, vertrieben und umgebracht - und das schon vor dem Krieg
mit den arabischen Staaten. Die im Lande Gebliebenen wurden einem
Besatzungsstatus und Staatsterrorismus ausgesetzt, obwohl ihnen eindeutig
Gleichberechtigung versprochen wurde. Sie werden bis heute diskriminiert.
Ist es so schwer einzusehen, dass die
palästinensischen Terrorakte vor allem eine Folge dieser Situation sind?
Die Hoffnung der ersten jüdischen
Einwanderer – zu denen ich auch gehöre –, mit der staatlichen auch eine
geistige und kulturelle Wiedergeburt zu erleben, hat sich bei kritischer
Betrachtung nicht erfüllt. Erschreckenderweise hat sich in der Seele der
meisten meiner Mitbürger durch erinnerte und indoktrinierte Angst die
Überzeugung festgesetzt, die Bürger und die Errungenschaften des
jüdischen Staates seien nur durch Gewalt in Sicherheit zu halten.
Im Zuge von Kriegen und Pyrrhussiegen hat
Israel in den 60 Jahren seines Bestehens Dutzende Friedenschancen nicht
genützt, ja bewusst hintertrieben! Über Frieden muss man nicht – wie jetzt
wieder – reden, man muss ihn zuallererst wollen und dazu die
Palästinenser als Nachbarn und ihre Rechte endlich zur Kenntnis nehmen!
Deshalb appelliere
ich an Sie als demokratische Abgeordnete, die deutsch-israelische Freundschaft
nicht als ein Schweigegebot angesichts einer menschen- und völkerrechtswidrigen
Politik zu verstehen, sondern gerade im Interesse Israels die gebotene
freundschaftliche Kritik zu üben und Gewalt und Unterdrückung anzuprangern. Die
militärische Unterstützung mag zu einer gewissen Zeit richtig gewesen sein.
Heutzutage ist Israel reich und die stärkste Militärmacht im Nahen Osten. Es
braucht keine U-Boote und Panzer, es braucht dringend die Einsicht, dass es
sich mit seinen Nachbarn, insbesondere den Palästinensern, aussöhnen muss, um
in friedlicher Koexistenz zu bestehen.
Es ist bitteres Unrecht, die Palästinenser
für das büßen zu lassen, was den Juden in Europa angetan wurde, sie sind nicht
die Ursache für dieses Leid. Deshalb sind die Deutschen geradezu verpflichtet,
alles zu tun, dass diesem Unrecht Einhalt geboten wird. Ohne die Hilfe
der Staatengemeinschaft, insbesondere Europas und nicht zuletzt Deutschlands,
treiben uns Gewalt und Hass in einen erneuten Untergang und gefährden auch die
Stabilität Europas.
Ich bitte daher Sie, die Sie dieses
Deutschland vertreten, das ich liebe und das mir als ein Hoffnungsmodell für
mein Land vorkam, die in der offiziellen deutschen Politik übliche „blinde“
Unterstützung der Politik Israels kritisch zu hinterfragen und in nur Ihrem
Gewissen verantworteter Entscheidung auch für die Rechte des palästinensischen
Volkes einzutreten.
Die einzig richtige Solidarität mit Israel
ist, uns zu helfen, aus dem Wirbel der Gewalt auszusteigen. Solidarisieren Sie
sich mit meinem Land Israel, aber nicht mit seinem Unrecht!
Reuven Moskovitz
Jerusalem, im Mai 2008-05-20
Reuven Moskovitz ist Historiker und Mitbegründer des
Friedensdorfes
Neve Shalom/Wahat Salam in Israel,
eine Siedlung in der israelische Juden und Palästinenser zusammenleben. Er war
Sekretär der Bewegung für Frieden und Sicherheit in Israel. Seit mehreren
Jahrzehnten ist er aktiv in der Friedensbewegung und um die Verständigung und
Aussöhnung zwischen Palästinensern und Israeli, aber auch um die
deutsch-israelische Versöhnung bemüht. Er ist Preisträger des Mount Sion Award 2001 und Preisträger
des internationalen Aachener Friedenspreises 2003. Von seinem Buch "Der
lange Weg zum Frieden" gibt es die fünfte Auflage