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Juden und Deutsche –
Zwischen aufgeklärter und verklärter Symbiose!
Reuven Moskovitz,
Jerusalem
Die
Gemeinsamkeiten zwischen Juden und Deutschen über Generationen hinweg sind
offensichtlich. Umstritten bleibt bis heute die Frage der symbiotischen
Verhältnisse seit der Blüte der Aufklärung sowie die Emanzipierung der
deutschen Juden im neunzehnten Jahrhundert mit einem Höhepunkt in der Weimarer
Republik und einem Tiefpunkt mit ihrem Untergang.
Typisch
für Menschen und Wissenschaftler, die oft umsteigen von einer Position zu einer
anderen unter dem Einfluss von politischen Umwälzungen und ideologischen
Enttäuschungen, ist der Streit über die Frage, ob eine Symbiose tatsächlich
existiert hat. So glaubte zum Beispiel Martin Buber, trotz Zeitgenosse der NS-Schreckenherrschaft, bis an sein letztes Lebensjahr,
unerschüttert, nicht nur an die Existenz der Symbiose, sondern an ihre
schöpferische gegenseitige Wirkung und Befruchtung. Gershon
Sholem, hingegen, hat einen „flick–flack
Sprung“ gemacht von begeisternder Aufklärung zur Verschanzung in der oft okkultischen Kabala. Der
zeitgenössische Reporter, Schriftsteller und Forscher Amos Eylon
hat über die obengenannte Symbiose eine glänzende Studie geschrieben. Seiner
Meinung nach ist diese Symbiose nicht erst mit dem Nationalsozialismus zu einem
Ende gekommen, sondern zeigte sich schon lange zuvor als einseitige Liebe. Es mag stimmen, wenn man automatische Gegenseitigkeit
oder Ergebnisse in der Spanne von zwei oder drei Generationen erwartet. In dem erstaunlichen Übergang des deutschen
Judentums von einer verfolgten, benachteiligten und dämonisierten religiösen
Minderheit zu einer sich rasch und erfolgreich integrierende Gemeinschaft kam
unausweichlich Neid, Angst und Empörung über eine verachtete Minderheit, die
sich in der Wirtschaft, Wissenschaft, Literatur und Politik auszeichnete. Die
Bereitschaft der deutschen Aristokratie und des aufsteigenden Bürgertums, Juden
gesellschaftlich zu integrieren, konnte mit der Integrationsbereitschaft der
aufsteigenden Juden nicht Schritt halten. Diese Tatsache aber bedeutet nicht,
dass es nicht einen strukturellen Prozess zur Symbiose gab.
Mit
dem Übergang Europas von der universalen Aufklärung zu nationaler
Engstirnigkeit, kolonialer Machtgier und finanzieller Habgier, schließlich mit
dem Untergang der Weimarer Republik und der Ausrottung des europäischen
Judentums und jüdischer Kultur, musste auch die Symbiose untergehen.
Oft kommt
es darauf an, von welchem Blickpunkt man eine Erscheinung betrachtet. Mit Recht
behauptet Antoine de Saint Exupery: "Um klar zu
sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung". Das symbiotische
Verhältnis zwischen Juden und Deutschen nur aus der Blickrichtung des
Nationalsozialismus oder des Holocausts, kann irreführen. Das kann sogar zu
gefährlichen Pervertierungen führen. Ich finde, dass man durchaus von einer
zeitgenössischen deutsch-jüdischen Symbiose sprechen kann. Diese Symbiose pervertiert
allerdings die unter Hitler untergegangene Symbiose, die eigentlich sehr
hoffnungsvoll und erfolgreich hätte sein können. Heute kann man von einer fast
kriminellen deutsch-jüdischen Symbiose sprechen. Diese entstand aus der Tragik
der Geschichte. Das führte dazu, dass die
meisten Juden sich als ultimative Opfer fühlen und darstellen, auch wenn sie
eigentlich schon Täter geworden sind. Dagegen nehmen die Deutschen eine
Schuldidentität an, auch wenn sie schon keine Täter mehr sind. Die Folgen
zeigen sich als katastrophal. Die deutsche Außenpolitik hat sich seit der
Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Israel total der israelischen
"Sicherheitspolitik" unterworfen.
Wegen des „besonderen Verhältnisses“ ,das
Deutschland mit Israel verbindet, solidarisiert sich Deutschland fortwährend
und undifferenziert mit der Politik Israels, die sich schon seit der
Staatsgründung als friedenswidrig zeigt.
Allerdings
bleibt es eine Tatsache, dass Deutschland bis zum Ende der Ära von Willy Brandt
konsequent Friedenspolitik betrieben
hat, die zur Versöhnung mit allen ehemaligen Feinden führte. Mit dem
kritiklosen Einlenken auf die neue konservative und neoliberale Politik der USA
hat die Führung der Bundesrepublik jedoch eine gefährliche Grenze
überschritten. Die deutsche Außenpolitik schließt den Krieg oder die
Kriegsbeteiligung als Fortsetzung der Politik nicht mehr aus. Diese gefährliche
Grenze hat nicht nur die SPD überschritten, sondern auch Joschka Fischer als
Außenminister. Der Höhepunkt dieser Entwicklung ist die Erklärung der
Bundeskanzlerin Merkel, dass bedingungslose Solidarität mit Israel deutsche
Staatsraison sei.
Tatsache
für jeden nüchternen und gut informierten
Beobachter ist auch, dass Israel Krieg, Gewalt, Verletzungen von Menschen- und
Völkerrecht als einzige Staatsraison in die Beziehungen zu den
palästinensischen Nachbarn eingeführt hat. Eine weitere Tatsache ist, dass wenn
Israel mit Ägypten und Jordanien Frieden hat, das nur auf die ausdrückliche
Mitwirkung der USA zurückzuführen ist.
In den Londoner Verträgen, die über die Nürnberger Prozesse zur
Verurteilung der Nazi-Führer führten, heißt es, dass ein Verbrechen gegen den
Frieden das größte Verbrechen gegen die Menschheit bedeutet!
Auch wenn
es ungewöhnlich ist für einen Israeli, der den Staat Israel bejaht, so muss ich
doch bekennen, dass Israel sich dieses Verbrechens schuldig gemacht und in den
vergangenen 60 Jahren keine aufrichtige Friedenspolitik betrieben hat. Man
begrüßt sich mit "Shalom" und beteuert
leidenschaftlich den Friedenswillen, während man sich nie wirklich mit einem jüdischen Staat in den
Grenzen abgefunden hat, die von den
Vereinten Nationen am 29. November 1947 entschieden wurden.
Diese
Tatsachen bedeuten auf keinen Fall, dass die arabische Welt und die
Palästinenser nicht aktiv zur Schaffung und Eskalierung dieser Tragödie
beigetragen haben. Mit einem wesentlichen Unterschied: die verständliche
Empörung über das Wagnis der Vereinten Nationen, einen Teil von Palästina den
Juden zu geben, war es, die in der arabischen Welt und bei den Palästinensern
eine hassvolle antijüdische Hetze entfachte – mit Vernichtungsdrohungen, die
nicht weit vom Nazi-Antisemitismus entfernt waren.
Während
sich die israelischen Staatsgründer nach außen um ein demokratisches und
friedfertiges Gesicht bemühten und dafür keine Lippenbekenntnisse
scheuten, wurden fleißig Tatsachen
geschaffen. Diese sollten nicht nur den
von der UNO zugeteilten Teil Palästinas legitimieren, sondern zugleich auch den
Anspruch der Palästinenser und der arabischen Welt auf einen Teil Palästinas
de-legitimieren. Diese Hetze und die hartnäckige Verweigerung des
Existenzrechtes Israels dienten letztendlich mehr der israelischen Politik als
der palästinensischen.
Diese Tatsachen und die erfolgreiche Entwicklung Israels sowohl
zu einer erstaunlich leistungsfähigen Wirtschaftsmacht als auch zur „einzigen
Demokratie im Nahen Osten“ hat zu einer verklärten
Bewunderung geführt.
Diese
wird nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Teilen der westlichen
Welt noch durch Israels geniale Fähigkeit erhöht,
Millionen Menschen aufzunehmen und die meisten wohlhabend zu machen.
Bestimmt
von der furchtbaren Vergangenheit und dem Trauma beider Völker, Juden und
Deutsche, hat sich meiner Meinung nach die oben erwähnte pervertierte Symbiose
entwickelt.
Die
Benutzung der "Auschwitz-Trumpfkarte" (Idith
Zertal) durch Israel und viele deutsche Juden nimmt oft
Formen von geistiger Erpressung an. Dadurch
werden viele anständige und sensible Deutsche traumatisiert. Sie haben
Angst, als Antisemiten verunglimpft zu
werden. So haben sie sich abgefunden, Israel als sakrosankt zu betrachten.
Mit dem
Umlenken der deutschen Politik auf die neoliberale Schiene wird ihre Haltung
zur israelischen Politik nicht nur von einem unkritischen Ethos und Gewissen
bestimmt, sondern auch durch macht- und wirtschaftspolitische Überlegungen.
Wenn die
symbiotische Beziehung offensichtlich zu einer verharmlosenden Beurteilung der
israelischen Unrechtspolitik führt, ist dies aber nicht nur ein moralisches
Versäumnis, sondern auch ein realpolitischer Fehler. Deutschland kann als
politisch und wirtschaftlich wichtigste Macht Europas durch die Verschärfung des Konfliktes mit der
islamischen und der „Dritten Welt“ viel
einbüßen. Anstatt sich aktiv an den aussichtslosen Kriegen und Konflikten - als
Anti-Terror-Kriege bezeichnet - zu
beteiligen, würde Deutschland als Export-Weltmeister und ehrlicher Vermittler
viel besser fahren.
An dieser
Stelle muss endlich der Begriff "Terror" differenziert werden:
palästinensischer Widerstand kann nicht mit Al Qaida-Terror
gleichgesetzt werden, auch wenn die Widerstandsformen der palästinensischen
Hamas oder der libanesischen Hisbollah nicht zu rechtfertigen sind.
Auch den
Iran betreffend sollte Deutschland aus der pervertierten symbiotischen
Beziehung mit Israel aussteigen. Es kann dem Weltfrieden und dem Frieden im
Nahen Osten nichts Gutes bringen, wenn es als selbstverständlich hingenommen
wird, dass Israel die einzige atomare Macht im Nahen Osten ist. Was hindert ein
friedenssuchendes Deutschland und Europa daran, darauf zu bestehen, dass der
Nahe Osten eine atomfreie Zone wird? Schließlich ist Israel nicht nur der
Staat, der dutzende Angriffskriege und –aktionen
verantworten muss, sondern auch der einzige Staat im Nahen Osten, der mit der
atomaren Überlegenheit fuchtelt und droht, sie gegen den Iran einzusetzen.
Wenn man
meine Meinung zu hart formuliert findet, muss man bedenken, dass die verklärte
Symbiose mit Israel auch die Ursache dafür ist, dass die meisten Deutschen über
die Geschehnisse in Israel schlecht informiert sind.
Israel
mangelt es nicht nur an politisch anerkannten geografischen Grenzen, auch
moralisch hat es jedes Maß verloren, zum Entsetzen einer sensiblen, immer neu
erschreckten Minderheit.
In meiner
Studie über deutsch-jüdische Gemeinsamkeiten mit dem Titel "Juden und
Deutsche zwischen Macht des Geistes und Ohnmacht der Gewalt" spielt die
Grenzenlosigkeit eine Rolle. Ich wurde beeindruckt von vielen deutschen
Historikern, die behaupten, dass hauptsächlich die Maßlosigkeit Deutschlands
das Land zu den zwei verheerenden Niederlagen im 20. Jahrhundert geführt
hat. Diese Maßlosigkeit zeigt sich in
der israelischen Politik und Gesellschaft.
Deutschland
sollte einen Weg finden, sich von diesem maßlosen politischen Israel zu
distanzieren, ansonsten es eines Tages
in die Verantwortung genommen werden - nicht nur für die schreckliche
Vergangenheit, sondern auch für das Akzeptieren unserer gegenwärtigen Maßlosigkeit!
Eine Maßlosigkeit, die Israel mit einem schrecklichen Untergang bedroht.
Jerusalem
im November 2009
(In
Absprache mit dem Autor leicht veränderte Fassung)