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Mein Mann des Jahres 5771

 

Yossi Sarid, Haaretz,  28.9.11

 

Jede Stunde hat ihren Mann und das Jahr 5771 hatte viele Stunden aber ziemlich wenig Männer.

Diese Kolumne hat die Tradition, dass an jedem Neujahrstag (Rosh Hashana) eine Person des Jahres ausgewählt wird – den Ochsen, den kein Besitzer kaufen kann und den Esel, der kein Sklave an seines Herren Krippe sein will.

Ich erinnere mich nicht an all die von mir Auserwählten der vergangenen Jahre.. Es liegt nicht an ihnen, es liegt an mir. Aber an Oberst Erez Ron aus dem Jahr 2006 erinnere ich mich. In der Luftwaffenbasis von Nevatim, die er befehligte, hatten Dutzende der Soldaten unter seinem Kommando Sex mit einem minderjährigen Mädchen. Ein Untersuchungskomitee sprach ihn von allen Missetaten frei; aber Erez  übernahm die Verantwortung und zog sich aus der Armee auf eigenen Wunsch zurück. Wenn nur andere sich ihn als Beispiel nehmen würden!

Und ich erinnere mich an Avi Toibin, der das Leben einer jungen Frau rettete, die im Mai  mit einem Kajak den Yarkonfluss hinunterpaddelte. Viele Leute sahen  zu, wie sie am Ertrinken war, Avi war der einzige, der in das gefährliche Wasser sprang.  Und letztes Jahr war es Rabbi Amiel Keinan, der seinen Sohn Ran in die erste Klasse der  Ner Etzion- Schule in Petah Tikva sandte – der einzige weiße Junge unter 289 schwarzen Kindern.

 

Und dann Ilana Hammerman, die zusammen mit ihren Freundinnen palästinensische Frauen für einen fröhlichen Tag nach Tel Aviv begleitete, damit sie das erste Mal in ihrem Leben das Meer sehen. Auf ihrem Weg überwanden sie die Straßensperren und brachen damit die Schallgrenze.

 

Das Jahr 5771 wurde von beispielhaften Leuten gesegnet – ein hässliches Jahr mit vielen prächtigen Menschen; je dunkler der Abend wird, um so heller leuchtet jeder Funke. Die Protestdemo alleine könnte schon  eine ganze Reihe einzigartiger Leute nennen, die sich entschieden haben, Menschen zu sein, in die Zelte kamen und von dort herausgingen.

 

Unter den Kandidaten für den Titel sind Leute, die ihrem Gewissen folgen, bevor ihre Fahrt Ariel erreicht und jetzt auch Hebron. In einem Staat ohne Grenzen muss es einige Bürger geben, die die Grenzlinie ziehen.

 

Der Schauspieler Rami Baruch steht für sie, und er ist für mich der Mann des Jahres, obwohl er nicht unter denen war, die den Boykott initiierten und nicht der erste war, der ihn veröffentlichte. Ausgerechnet Baruch, der kein Selbstbewusstsein hatte und den nur das Schicksal ins Rampenlicht und in den Fokus der Kontroverse brachte. Es ist schwierig, die Theaterdirektoren zu verstehen, die darauf bestehen, Schauspieler zu Wehrdienstverweigerern (aus Gewissensgründen) zu machen, als ob Schauspieler Marionetten wären, deren Fäden  von Politikern gezogen werden; als ob die Kultur unter dem Gewicht des Regierungsdiktats aufrecht bleiben könnte. Wir können und sollten den Tnuva-Milchprodukte-Konzern boykottieren, nicht nur  wegen der Siedlungen – obgleich diese mehr, viel mehr kosten.

 

Ich kenne Rami nicht gut. Wir trafen uns einmal, als wir beide in einem Stück spielten, um bei einer jährlichen Bildungskonferenz aufgeführt zu werden. Er spielte Ben Gurion und ich spielte Theodor Herzl oder umgekehrt; das ist nicht  so wichtig.  Beide – der Visionär und der Mann, der Visionen wahr werden ließ - würden sich in ihrem Grab umdrehen, wenn sie den jüdischen Staat in der Hebronvariante sähen, das Schwein, dessen Schnauze mit  dem Zionismusring aus Gold verziert ist.

 

Es ist nicht nötig, sich Sorgen zu machen. Wenn er auf seine rebellische Art weitermacht, wird ein Ersatz gefunden werden. Der Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wird glücklich sein, vor ihm in der Rolle des Ministerpräsidenten  gewesen zu sein, die er gerade einige Saisons lang gespielt hat. Gerade dieses letzte Wochenende steckte er bis zum Hals in einer Vorstellung in New York. Netanjahu, der gegen Herzl und Ben-Gurion ist, hat kein Problem, ein Gast in der Apartheidstadt Hebron zu sein und seine Verherrlichung entgegen zu nehmen.

 

Was ist denn so ärgerlich an „Apartheid“? Sag nicht Apartheid,  warnen sie – alles nur das nicht, als ob „Besatzung“ besser klingt und aussieht. Schließlich ist Hebron eine Stadt der ethnischen Säuberung und Trennung, und wenn ein Palästinenser das Theaterstück „Pollards Anklage“  - Rami Baruchs Einmannschau - sehen will, wird er sich selbst schnell  im Keller des Kulturzentrums wiederfinden.

 

Es ist ärgerlich, weil es uns Angst macht: Apartheid beschwört das alte Südafrika herauf, einen allgemeinen internationalen Boykott, die Isolierung von Aussätzigen;  es ist ärgerlich und macht Angst, weil keine anständige Person dort hingeht. Es ist so schrecklich dort. Weil kein Schöpfer, der diesen Namen verdient, bereit wäre, seine Geschöpfe mit den Geistern eines Meir Kahane und Baruch Goldstone  zu erschrecken, die noch immer hier im Glanz (weiter-)leben; sie starben nie, noch wurden sie jenseits des Zaunes/ Mauer begraben.

 

(dt. Ellen Rohlfs)