Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Adam Shatz
http://www.lrb.co.uk/2012/11/24/adam-shatz/why-israel-didnt-win
Das von Israel und der
Hamas in Kairo nach 8 Tagen Kampf
angenommene Waffenstillstand-abkommen ist nur eine Pause im
Israel-Palästina-Konflikt. Es verspricht die Bewegungsfreiheit bei allen
Grenzübergängen des Gazastreifens zu erleichtern, aber die Blockade nicht
aufzuheben . Es fordert Israel auf, seine Angriffe auf den Streifen
einzustellen und die palästinensischen Militanten, mit dem Abfeuern von
Raketen ins südliche Israel aufzuhören. Aber es lässt Gaza in einem elendigen
Zustand wie immer zurück. Nach einem kürzlichen UN-Bericht wird der Gazastreifen
2020 „unbewohnbar“ sein. Und dieser Bericht spricht nur von Gaza. Wie leicht
vergisst man, dass der Gazastreifen nur ein Teil – ein sehr brutalisierter Teil
– des „zukünftigen palästinensischen Staates“ ist, der einmal unvermeidlich
schien und der jetzt hauptsächlich
nur noch in den Schlafliedern
westlicher Friedensprozessoren vorkommt. Keines der Kernprobleme
– Besatzung, Grenzen, Wasserrechte, Rückkehr und Entschädigung der
Flüchtlinge – kommt in diesem Abkommen
vor.
Der Kampf wird wieder
ausbrechen, weil Hamas unter fortgesetzten Druck seiner
Mitglieder und der militanten Fraktionen kommen wird, und weil Israel nie
einen großen Vorwand braucht, um einen Krieg anzufangen. 1982 brach es die
Feuerpause mit Arafats PLO und überfiel den Libanon nach einer versuchten
Ermordung seines Botschafters in London, obwohl dieser Anschlag das Werk von
Arafats geschworenem Feind, dem irakischen Agenten Abu Nidal war.
1996 während einer Periode
relativer Ruhe ermordete Israel Hamas’ Bombenbauer Yahiya Ayyash, den Ingenieur,
und brachte die Hamas dazu, mit einer Reihe Selbstmordanschlägen in Israels
Städten zurückzuschlagen. Als Hamas ein Jahr später
eine 30 Jahre dauernde Waffenpause vorschlägt, beauftragte Netanjahu ein
Mossad-Team, den Hamasführer Khaled Meshaal in Amman zu vergiften; unter Druck
Jordaniens und der US wurde Israel gezwungen, ein Gegengift zu liefern.
Meshaal ist jetzt der Chef von Hamas politischem Büro – und ein
Verbündeter von Ägyptens neuem Präsidenten, Mohamed Morsi.
Operation „Säule der Verteidigung“/Wolkensäule , Israels letzter Krieg, begann, als Hamas gerade dabei war, ein Abkommen für eine langfristige Feuerpause auszuhandeln. Ihr militärischer Kommandeur Ahmed al Jabari wurde ermordet, nur kurze Zeit nachdem er den Entwurf noch einmal geprüft hatte. Netanjahu und sein Verteidigungsminister Ehud Barak hätten eine Feuerpause bekommen können – wahrscheinlich zu günstigeren Bedingungen – ohne die Toten von mehr als 160 Palästinensern und fünf Israelis. Aber dann hätten sie nicht die Gelegenheit gehabt, den neuen Verteidigungsschirm, den Iron Dome, zu testen, dessen Darstellung Israels Haupterfolg in diesem Krieg war. Sie würden auch eine Gelegenheit verpasst haben, die Bevölkerung des Gazastreifens angesichts der israelischen Militärübermacht an ihre Schwäche zu erinnern. Die Zerstörung im Gazastreifen war weniger umfangreich als während der Operation Cast Lead, aber auch bei dieser Gelegenheit war es das Ziel – wie Sharons Sohn Gilad es in der Jerusalem Post ausdrückte – einen Tarzan-ähnlichen Schrei auszustoßen, um den ganzen Dschungel deutlich wissen zu lassen, wer gesiegt und wer verloren hat.
Der Sieg wird nicht nur an
der Zahl der Toten bemessen. Und der „Dschungel“ – das israelische Wort nicht
nur für die palästinensische, sondern für die ganze arabische Welt – wird
zuletzt lachen. Nicht nur, dass Hamas einen besseren Kampf hatte, als im letzten
Krieg, Sie wandte eine israelische Bodenoffensive ab, gewann indirekt die
Anerkennung eines legitimen Mitspielers von Seiten der USA, (die als Makler bei
den Gesprächen in Kairo mithalfen) und erreichten konkrete Ziele, vor allem ein
Ende der gezielten Morde und eine Lockerung der Bewegungseinschränkungen für
Menschen und Waren an den Grenzübergängen. In Kairo gab es keine Gespräche über
die Prinzipien des Quartetts, die Hamas aufforderten, auf Gewalt zu verzichten,
Israel anzuerkennen, sich an frühere Abkommen
zwischen Israel und der palästinensischen Behörde zu halten: ein
symbolischer Sieg für die Hamas, und kein kleiner.
Und die Palästinenser waren nicht die einzigen Araber, die in Kairo den Sieg für sich in Anspruch nahmen. Diplomatisch ausgedrückt: das Ende des Kampfes nach ägyptischer Vermittlung markierte die Morgendämmerung eines neuen Ägypten, das Wert darauf legte, die Rolle zu beanspruchen, die es verloren hatte, als Sadat einen separaten Frieden mit Israel schloss. ‚Ägypten ist anders als gestern,’ warnte Morsi Israel an 1. Kriegstag. ‚Wir versichern ihnen, dass der Preis bei fortgesetzter Aggression hoch sein wird.’ Er unterstrich diesen Punkt, indem er seinen Ministerpräsident Hesham Kandil am nächsten Tag nach Gaza schickte. Wahrend er sich aufhetzender Rhetorik enthielt, machte Morsi klar, dass Israel bei seinem Angriff auf Gaza nicht mit ägyptischer Hilfe rechnen könne, wie es unter Mubarak war, und es solle allein sich selbst die Schuld geben, wenn der Friedensvertrag gefährdet ist. Schließlich muss er der Muslimbruderschaft antworten, die Hamas’ Mutterorganisation ist, und dem ägyptischen Volk, das gegenüber Israel größtenteils feindlich gesinnt ist. Die Obama-Regierung, die Wert darauf legt, die Beziehungen mit Ägypten aufrecht zu erhalten, bekam die Botschaft und anscheinend auch Israel. Morsi bewies, dass er mit Israel verhandeln kann , ohne den Widerstand zu ‚verkaufen’ mit Meshaals Worten. International war es seine beste Stunde, auch wenn die Ägypter dies als Vorspiel zu seinem Schritt am Tag nach der Feuerpause im Gedächtnis haben – als er sich selbst mit weiteichender Exekutivmacht belohnte, die ihn über das Gesetz setzte.
Dass Netanjahu
kurzfristig die Bodenoffensive stoppte und bei Schlüsselforderungen bei
den Kairo-Gesprächen nachgab, ist nicht nur ein Hinweis auf Ägyptens wachsendes
Format, sondern auch auf Israels geschwächte Position. Seine Beziehungen mit der
Türkei, einmal sein engster Verbündeter in der Region und die Säule seiner
‚Doktrin der Peripherie’ (eine
Strategie, die sich auf Bündnisse mit nicht-arabischen Staaten gründet) haben
sich mit Erdogans Aufstieg und der AKP verschlechtert. Die jordanische Monarchie
– die 2. arabische Regierung, die einen Friedensvertrag mit Israel unterschrieb
- sieht sich wachsender radikaler Proteste gegenüber. Auch wenn Israel den Fall
von Assad, einem Verbündeten von Hisbollah und dem Iran, begrüßt, ist es besorgt
über die Nach-Assad-Regierung, die wohl von einem syrischen Zweig der
Muslim-Bruderschaft beherrscht und nicht weniger feindselig gegenüber der
Besatzungsmacht auf den Golanhöhen sein wird: das gelegentliche Granatenfeuer
von innerhalb Syriens in den letzten Tagen ist für Israel eine Erinnerung
gewesen, wie ruhig diese Grenze unter dem Assad-Regime war.
Israels Führer lamentierten jahrelang,
dass sie die einzige
Demokratie in der Region seien. Was diese Saison von Revolten enthüllt hat, ist,
dass Israel sehr in die arabischen
autoritären Staaten
investiert hat. Das Auflösen der alten arabischen Ordnung, als Israel
noch auf die schweigende Komplizenschaft der arabischen großen Männer
zählen konnte, die ihre Untertanen mit aufwendigen Verurteilungen israelischer
Untaten ruhig stellten, aber wenig taten, um sie zu blockieren, ist für Israel
schmerzlich geworden und lässt es einsamer als je. Es ist dieses Gefühl der
Verwundbarkeit, mehr noch als Netanjahus Wunsch, seine kriegerischen Referenzen
vor den Januarwahlen, die Israel in den Krieg führen, aufzubessern.
Hamas ist unterdessen von
denselben regionalen Veränderungen
Auftrieb gegeben worden, besonders von den islamistischen Bewegungen in Tunis
und Ägypten: Hamas und nicht Israel sind vom Arabischen Frühling „normalisiert“
worden. Seit der Flotillen-Affäre
haben sich nahe Beziehungen mit der Türkei entwickelt, das scharf darauf aus
ist, die palästinensische Frage auszunützen, um ihren Einfluss in der arabischen
Welt zu vergrößern. Sie nahm auch das Risiko auf sich, mit ihren Förderern in
Syrien zu brechen: Anfang dieses Jahres verließ Khaled Meshaal Damaskus und ging
nach Doha, während seine Nummer zwei Mousa Abu Marzook sich selbst nach Kairo
absetzte. Seitdem hat Hamas sich
mit dem syrischen Aufstand zusammengetan, sich vom Iran entfernt und neue
Quellen finanzieller und politischer Unterstützung in Qatar, Ägypten und
Tunesien gefunden. Es hat die Schwierigkeiten der Blockade
umgangen, indem es die Tunnels in eine lukrative Quelle von
Staatseinkünften machte und mit wechselhaften Erfolg arbeitete, um Disziplin in
den Islamischen Jihad und in andere militante Fraktionen im Gazastreifen zu
bringen. Die Folge davon ist das wachsende Prestige und eine Prozession von
hochrangigen Besuchern, einschließlich dem Emir von Qatar, Sheikh Hamad bin
Khalifa al-Thani, der drei Wochen vor dem Krieg nach Gaza kam und $400 Millionen
versprach, um die Häuser wieder aufzubauen und die Straßen zu reparieren. Der
Emir machte keinen ähnlichen Besuch in Ramallah.
Hamas wachsende Schlagkraft
ist in Tel Aviv nicht unbemerkt geblieben:
Hamas auf seinen Platz verweisen, war sicher eines der Kriegsziele.
Falls Israel wirklich am Erreichen eines friedlichen Abkommens auf der
Basis der 1967-Grenzen interessiert wäre – Parameter, die Hamas akzeptiert hat
- könnte es versucht haben, Abbas
durch Siedlungsbaustopp zu stärken und durch Unterstützung seines
Versuchs als Nicht-Mitglied mit Beobachterstatus für Palästina der UN wenigstens
nicht dagegen sein. Stattdessen tat Israel das Äußerste, um Abbas UN-Initiative
zu sabotieren ( mit kräftiger Hilfe der Obama Regierung) und noch mehr
Siedlungen zu bauen, sollte er auf
der Initiative bestehen. Hamas hat
nur sehr freudig auf die Belohnung für gewaltlosen palästinensischen Widerstand
hingewiesen. Die Operation Säule der Verteidigung
wird auch weiter Abbas’ schon fragile Stellung in der Westbank
unterminieren, wo die Unterstützung für die Hamas nie größer gewesen war.
Kaum ist die Feuerpause
wirksam geworden, als Israel die Westbank überfiel und mehr als 50
Hamasunterstützer gefangen nahm, während Netanjahu warnte, dass Israel
gezwungen sein könnte, eine viel härtere militärische Operation zu
beginnen. ( Avigdor Lieberman, sein Außenminister soll
zu einer Bodenoffensive ermuntert haben). Schließlich hat Israel ein
Recht sich selbst zu verteidigen. Das ist es, was Israel sagt, und was die
Israellobby mit vielen westlichen
Medien, einschließlich der New York Times sagt. In einem Leitartikel mit der
Überschrift „Hamas’ Illegitimität“ – ein seltsamer Satz, nachdem Hamas erst dann
zur Macht im Gazastreifen kam, nachdem sie
2006 bei den parlamentarischen Wahlen die Mehrheit gewonnen hatte – die
NYT klagte die Hamas an, sie habe Israel aus Hass angegriffen. NYT erwähnte
nicht , dass Hamas’ Hass von einer
strafenden wirtschaftlichen Blockade stammt. Sie hat nicht erwähnt, dass seit
Anfang dieses Jahres und dem Ausbruch des letzten Krieges im Gazastreifen 78
Palästinenser von Israelis getötet
worden sind – und durch Hamas berüchtigte Raketen ein einziger Israeli. Oder
dass dies bis Anfang des Krieges ein relativ
ruhiges Jahr für den trostlosen Streifen war, wo seit 2006 fast 3000
Palästinenser durch Israel getötet worden sind – und 47 Israelis durch
palästinensisches Feuer.
Diejenigen, die sich für
Israels Selbstverteidigungsrecht einsetzen, machen sich keine Gedanken
über die Ungleichheit, was die Todesfälle betrifft; weil die
unausgesprochene Folge die wäre, dass die Palästinenser nicht dasselbe Recht
haben. Falls sie wagen würden,
dieses Nichtrecht auszuüben, dann müsste ihnen eine Lektion erteilt werden. „Wir
müssen einen ganzen Stadtteil von Gaza platt machen,“ schrieb Gilat Sharon in
der Jerusalem Post. „Den ganzen Gazastreifen platt machen.
Die Amerikaner ließen es auch nicht bei einer Bombe über Hiroshima
– die Japaner haben sich nicht schnell genug ergeben – so wurde auch über
Nagasaki eine Bombe abgeworfen.“ Israel sollte sich keine Gedanken über
unschuldige Zivilisten in Gaza machen, sagte er, weil es dort keine unschuldigen
Zivilisten gibt: Sie haben Hamas gewählt .. sie wählen sie freiwillig , dann
muss man auch mit den Konsequenzen leben.’ Solch eine Ausdrucksweise würde
schockierend sein, wäre es nicht so üblich: in Israel ist die Rhetorik
von der selbstgerechten
Opferrolle mit der aggressiven
Rhetorik – und dem Rassismus – aufgetaucht. Sharons Tarzan-Anspielung ist nur
eine Variation von Baraks Beschreibung von Israel, das eine Villa im Dschungel
sei. Seine Beschwörung eines nuklearen Krieges erinnert uns, dass 2009 der
vertretende Verteidigungsminister Matan Vilnai einen „größeren Holocaust“
vorschlagen würde, wenn Gaza weiter Wiederstand leistet.
Aber der Preis ist für Israel höher als es während der Operation Cast Lead war, und sein Raum für Manöver begrenzter, weil der einzige wirkliche Verbündete des jüdischen Staates, die amerikanische Regierung, gute Beziehungen mit Ägypten und andern demokratisch gewählten islamistischen Regierungen aufrecht erhalten muss. Während der 8 Tage der Operation „Säule der Verteidigung“ hat Israel wie üblich eine eindrucksvolle und tödliche Feuerwerksschau am Himmel von Gaza geliefert.
Aber das Töten ganzer
Familien und das Zerstören der Regierungsgebäude und Polizeistationen ist weit
davon entfernt, die Palästinenser zu ermutigen, sich zu unterwerfen: dies wird
sie eher in ihrem Widerstand stärken, etwas, das Israel erfahren haben könnte,
wenn es die letzten Seiten der jüdischen Geschichte gelernt hätte.
Die Palästinenser verstehen, dass sie nicht mehr
ganz alleine Israel gegenüber stehen. Israel
- nicht mehr die Hamas – ist der Pariah-Staat der Region. Die arabische
Welt ändert sich, aber Israel nicht. Stattdessen hat es sich hinter die eiserne
Mauer Jabotinskys zurückgezogen und das Festhalten der besetzten Gebiete
verstärkt, und seine Nase in eine Region gesteckt, die endlich Gefallen an
ihrer eigenen Macht findet … der es aber nicht gelingt ihren Mangel an
politischer Strategie zu verbergen, um den Konflikt zu beenden.
Der Iron Dome mag Israel
vor Qassam-Raketen schützen, aber er wird Israel nicht vor der Zukunft bewahren.
(dt. und geringfügig
gekürzt: Ellen Rohlfs)