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40 Tage und 40 Nächte im Sumud-Freiheitslager

 

  Sophie Schor, 3. Juli 2017

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Palästinenser, Diaspora-Juden und israelische Aktivisten lernten  eine neue Sprache der Gewaltlosigkeit, der Empathy und der Standhaftigkeit, als wir mit unsern Körpern in einer Reihe das Sumud-Freiheitslager schützten.

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Wie kann ich  die letzten 40 Tage  von Sumud (Durchhaltekraft)  beschreiben, das Freiheitslager und das Leben in Sarura? Im Hintergrund Wüstenhügel, ein terrassiertes Tal mit neu gepflanzten Olivenbäumen,  und die jordanischen Berge, die aus diesiger Entfernung  zu sehen sind. Hier bauten wir eine Bewegung auf. Wir begannen  am 19. Mai: eine Koalition von fünf Gruppen  das Sumud Freiheits-Lager.  (Sumud ist ein arabischer  Ausdruck für Standhaftigkeit, Ausdauer und Entschlossenheit. Es ist ein oft benützter Terminus im palästinensisch politischen Diskurs)  Mitglieder der populären Widerstands-Front in den südlichen Hebroner Hügeln: Holy Land Trust, Kämpfer für den Frieden,  All that’s left: ein Anti-Besatzungs-Kollektiv und  Zentrum  für jüdische Gewaltlosigkeit, alle kamen bei einem nie dagewesenen  gemeinsamen  Versuch zusammen. Seit dem  hat eine  Gemeinschaft von Aktivisten eine sehr alte Höhle  von Dorfbewohnern wieder bewohnbar gemacht, den Weg , der Sarura mit den nächsten Dörfern verbindet, geebnet, einen Garten angelegt, eine ständige  Präsenz auf dem Land  gehalten und ein Lager errichtet  - als trotzige Verkörperung eines gemeinsamen Widerstandes gegen die israelische Besatzung.

Während der 40 Tage und 40 Nächte kamen 500 Leute durch Sarura, ein nicht anerkanntes Dorf in der Zone C der Westbank in den Südlichen Hebroner Hügeln. Palästinensische, israelische, jüdische und internationale  Gerechtigkeits-Sucher schlossen sich hier zusammen, um einen direkten  Akt des zivilen  Ungehorsams und der Solidarität mit den Palästinensern auszuführen, die in der Schieß-Zone 918 – einer geschossenen militärischen  Zone von etwa 30 q-Meilen, die vom israelischen Militär Ende der 70er-Jahre festgelegt wurde.

40 Tage und 40 Nächte hielten  das PRC der südlichen Hebronhügel das Fort aufrecht und brachten Sarura wieder auf die Landkarte zurück. Junge Männer aus dem Dorf Atwani  verbrachten 24 Stunden am Tag  in den Höhlen und auf dem Land, führten Bauprojekte, lehnten sich an die Felsen und rauchten eine Nargileh und zeigten uns, wie  man  Duhiyye tanzt.

Für 40 Tage und 40 Nächte kamen von  Umm al Khair und Susiya ( beides nicht anerkannte  Dörfer, beide liegen nur Meter  von Siedlungen entfernt und beide haben  Demolition-Orders für die meisten  ihrer Häuser. )  sie kamen, um in Solidarität mit den  Bewohnern  zu sein . Sie waren schnell dabei, Feuerstellen zu bauen und süßen Tee für jeden Besucher zu machen..

40 Tage und 40 Nächte sind  israelische und internationale Aktivisten von  lokalen Palästinensern aus Atwani und Sarura eingeladen worden, sie übernahmen Dienste, um präsent zu sein und  liehen  mit ihren Passen und ihrer  Identität das Privileg, den Ort zu schützen.

40 Tage und 40 Nächte sprachen wir eine neue Sprache, eine Sprache  der Gewaltlosigkeit, der Empathie, des Mitleids, des Engagement, der Entschlossenheit und des Durchhaltevermögens.

40 Tage, 40 Nächte übten wir SUMUD.

Auf der Hügelseite von Sarura  räumten wir den Bauschutt von 20 Jahren weg, seitdem die Familien dort zuletzt wohnten. Wir bauten  Steinwälle  auf, die zusammen gefallen waren, wir gestalteten  einen neuen Garten, wir gruben einen neuen Pfad in den Bergrücken, wir entfernten den Dreck von der Straße. Auf dem Hügel von Sarura taten wir unser Bestes, die Trümmer des Hasses, der Angst, des Trauma, der Machtlosigkeit, der Stereotypen, der Unterstellungen  zu beseitigen. Auf dem Hügel von  Sarura wuchsen wir, wurden wir gesund, wir sorgten uns, wir lachten, wir verbanden uns, wir liebten und wir wurden die Agenten des Wandels, die wir werden mussten.

Der Abhang der Siedlung Havat Maon  war eine ständige Erinnerung, dass wir dort nicht willkommen waren, die nicht heimischen Bäume auf dem Scheitel des Wüstenhügels sollten ständig an die  gute Wasserqualität erinnern, die von ihnen zum Wachsen  erforderlich ist und die der Siedlung   in großer Fülle  zur Verfügung steht; die bellenden Hunde bei Nacht scheinen uns zu warnen, die flackernden Lichter von den Häusern macht die Dunkelheit für uns noch dunkler, die  vernetzten Antennen der Mobil-Telefone, die über uns hochragen,  war eine Erinnerung, dafür, dass jene, die auf der andern Seite des Hügels lebten, zu allem Zugang hatten -  wir aber hatten zu nichts Zugang.

An einem Morgen  fuhr ich zusammen mit Salim nach Yatta, um das Frühstück für die Gruppe zu kaufen. Salim wurde in Atwani geboren und wuchs dort auf, in dem Dorf, das nah am Lager liegt, das uns in Sarura  beherbergte und unterstützte. Salim ist 22 und ein halbes Jahr und ist freundlich, lacht schnell und ist einer der rücksichtsvollsten  Individuen, denen ich je begegnet bin. Wir begannen über das Leben in Atwani zu reden, einem Ort in  der Zone B der besetzten Gebiete, über seine  Erfahrungen in einem Dorf, das kein Wasser, keinen Strom und keine Schule hat. Er erzählte mir über den von der Gemeinde angeführten gewaltfreien Widerstand, der die Aufmerksamkeit der PLO und Arafat hatte und die israelische Armee unter Druck setzte, ihnen Häuser und ihre Schule zu bauen erlaubte und an die Wasserleitung und an das Stromnetz angeschlossen zu werden. Seine Eltern  gehören zu den Verantwortlichen der Gemeinde und er beobachtete, wie sein Vater fast monatlich verhaftet wird, weil er die Ordnung störte und das System herausforderte, die elementarischen Bedürfnisse für seine Familie  zu liefern. Seine Mutter, liebevoll und ständig lächelnd und eine talentierte Köchin  - ohne Vergleich – ist dafür bekannt, dass sie in einer Reihe mit andern Frauen vor israelischen Bulldozern steht, um sie daran zu hindern einen Klassenraum zu zerstören.

Salim war mit mir, als die israelische Armee nach ihm schaute, um ihn zu verhaften, weil er angeblich auf der Szene war, als ein Siedler  aus der Nachbarschaft angegriffen wurde und er machte über sie dreimal Witze, als sie zu seinem Haus kamen, um nach ihm zu sehen.

Das erste Mal kamen die Armee-Offiziere in sein Haus und fragten ihn: „Wo ist Salim?“ Er antwortete ‚bei der Arbeit‘. Beim 2. Mal fragten sie seine Mutter, die ihnen antwortete: „In der Universität“ (Er war im Nachbarhaus). Beim 3. Mal wachte er auf, als ein Gewehr  nachts um 2 an seinen Kopf berührte und ein Offizier in fragte, ob er Salim sei. Sie verhafteten ihn 3 Tage lang im Kiryat Arba-Haftzentrum ohne mit einem Anwalt reden zu können.

  Er fuhr uns eine holprige, ungepflasterte Straße zum nächsten Bäcker, um frische  Pitabrote zu kaufen, während er uns lächelnd  diese Geschichte erzählte. „Dann  schlugen sie mich zusammen. Sie schlugen mich windelweich“, sagte er lächelnd. Er  zuckte mit seinen Schultern und sagte auf Arabisch : „Awdeh – das ist normal.“

Dies ist normal hier. Mein Herz rutsche mir in die Hose.

Ich hab  mit eigenen Augen die Art und Weise gesehen, mit der die israelische Armee das palästinensische Leben behindert. Einen Monat langhabe ich mit ihnen gelebt. Das ist nichts, verglichen mit Salims Leben, der Tag für Tag  über 22 Jahre lang hier lebte.

In den besetzten Gebieten gibt es die de jure-Regel, die erklärt, dass in Zone C  der Westbank nicht gebaut werden darf – eine Auswirkung  der Oslo-Verhandlungen und das angebliche Einfrieren der Siedlungen.  So ist es also für Salim verboten  einen einzigen Raum auf eigenem Land neben seinen Olivenbäume zu bauenn. Jedes Mal wenn er beginnt, Cinderblöcke aufeinander zu setzen, kommt die Armee und wirft sie wieder um.  Dann ist da die Realität --  die Praxis vor Ort, die die Juden  bauen und leben lässt. Sarura liegt neben  Maon und dem Havat Maon-Außenposten und  dem nahen Außenposten  Avigail, das 2001 gebaut wurde. Seit dem Baubeginn dieser Siedlungen in den 70er-Jahren haben sie immer weitergebaut und die Siedlungen erweitert. Vor nur drei Wochen hat Israel Pläne für den Bau von 2100 neuen Siedlungs-Wohneinheiten in der Westbank veröffentlicht.

Doch  für Sarura war es illegal,  irgend neue Strukturen zu bauen , selbst wenn es auf privatem Land ist und die palästinensische Familie Original-Dokumente aus der ottomanischen Zeit hat, die ihr das legitime Recht gibt, dort zu leben. Es war für uns illegal, dort ein Zelt für Schatten zu errichten, weil es  als „Gebäude“ angesehen wurde. Es war illegal eine Türe anzubringen und die 2. Höhle  zu verschließen, weil dies  auch als „Gebäude“ angesehen wird. Jedes Mal wenn ein Zelt errichtet wurde, kam sie Armee und riss es ab.  Jedes Mal wenn wir uns Schatten errichteten, kam die Armee und überwachte uns. Jeeps würden über die holprige Straße kommen und Soldaten am Hang sitzen und uns beobachten.  Einmal kam ein Bulldozer, um Matratzen, Decken und Lebensmittel zu konfiszieren --  alles Dinge , die ein Leben  in einem „Illegalen Außenposten möglich machen. Inzwischen  sitzt der „Illegale Außenposten der israelischen Gemeinde von Avigail oben auf dem anderen Hügel und ist mit der Wasserleitung verbunden, auch mit Strom, mit einer gepflasterten Straße – von Blumen eingerahmt. ….

Wir hatten keinen Zugang zu Wasser. Wir hatten keinen Strom und jede Nacht  sahen wir auf den Hügel der Maon-Siedlung und sahen ihr Licht und ihre Gärten mit Wasser versorgt und ihren Zaun, der die Gemeinde schützte. Ich begann mit den Augen von Salim zu sehen – jemand  fast in meinem Alter, der im Schatten einer Siedlung aufwuchs, die alles hatte und der wusste , dass er 45 Minuten zu einer Schule in der nächsten Stadt laufen musste – zuweilen 2 Stunden, wenn die Armee  entschied einen Checkpoint zu errichten, um ihn zu schikanieren….

(dt. und gekürzt: Ellen Rohlfs)