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Israel: ein Staat der Verweigerung

Gershon Shafir, 

 

 10-6-17.

972mag.com

Die israelische Regierung  hat die Besatzung in eine  „dauerhaft-vorübergehende“ Staatsangelegenheit gestaltet und machte eine Politik der Verweigerung zu einer ihrer  Ecksteine.

Die militärische Besatzung ist ein seltenes Phänomen in der heutigen Welt. Eine halb-hundertjährige Besatzung wie Israels Kontrolle der 1967 eroberten palästinensischen Gebiete ist sogar noch seltener. Indem es ernsthaft  mit ihrer  Dynamik und ihren Konsequenzen zurechtkommt, ist es auf Grund der Tatsache sogar schwieriger, dass im vergangenen halben Jahrhundert Israel nicht nur Siedlungen gebaut hat, sondern einen dreistöckigen  Palast der Verweigerung. Israel ist  jetzt eine offizielle Residenz der Besatzungs-Verweigerung. Die überwältigendste Demonstration der grotesken Natur dieses Verweigerungspalastes ist , dass sich jedes seiner Stockwerke in verschiedenen imaginären Zeitzonen befindet.

In der Öffentlichkeit  beschreiben die israelischen Regierungen die Westbank und Ost-Jerusalem eher als angefochtene, denn als besetzte Gebiete.  Doch im ersten Stockwerk des Palastes rechtfertigen sie die Folgen der Besatzung nach dem internationalen  humanitären Gesetz, das  die aggressive militärische Besatzung regelt. Eine wichtige Auflage dieses Gesetzes ist, dass die Besatzung vorübergehend sei und ein verpflichtender Oberster Gerichtshof  explizit bei vielen  seiner Entscheidungen an dieses Haus gebunden ist.

Doch kann eine  50-Jahre lange Besatzung als einstweilig angesehen werden?  Nach der Shamgar-Doktrin – die ich nach dem  Militär-General-Anwalt während  des 1967er-6 Tage-Krieges nenne und dem Präsident des Obersten Gerichtes in den 80er-Jahren -  eine noch nicht erledigte alternative politische oder militärische Lösung, konnte dieses System der Regierung von einem legalen Gesichtspunkt  endlos fortfahren.  Innerhalb des Palastes ist die Besatzung dauernd einstweilig.

Der zweite Stock des Verweigerungspalastes beherbergt die israelische Festsetzung mit Land, während gleichzeitig der politische  Ausdruck palästinensische nationale Identität  verweigert wird.  Besatzungen  werden von vielen kleineren und größeren Verweigerungen gespalten, aber letzten Endes ist es die Geschichte eines  verleugneten Volkes. Unendlich verlängerte Kontrolle über ein anderes Volk, ohne dies in das Gemeinwesen, entsprechend den Bürgerschaftsrechten, einzubinden, war einmal  Standardpraxis in Kolonien und Protektoraten. Aber diese Zeit ist vorbei.

Die Realität  zu verleugnen, erfordert das Einfrieren der historischen Zeit vor der erfolgreichen nach-Weltkriegs-Dekolonisierungsbewegung, die zu der Gezeitenwelle von Unabhängigkeit in Asien und Afrika führte.  Das Projekt der israelischen Dauerbesatzung ist ein Rückschritt, Kolonialismus unter einem neuen Namen. Es schreibt das palästinensische Volk aus der Geschichte Palästinas weg, während  umgekehrt  die Palästinenser Israel  als einen  Staat des jüdischen Volkes anerkennen müssen. Es stellt auch  den palästinensischen Widerstand als unerklärlich und pathologisch dar.

In der dritten Etage  hat die die extensive Siedlungsaktivität  die Besatzung angeblich irreversibel und einen palästinensischen Staat unmöglich gemacht. Viele Kritiker der Besatzung teilen diese Illusion. Tatsächlich wird  der israelischen Kolonisierung der Dampf ausgehen.

Der ursprüngliche  Likud-Siedlungsplan von 1981, beabsichtigte, dass  2010, 1,3 Millionen Juden neben  1,8 Millionen Arabern in der Westbank leben würden. Und Mitte 2016 unter  fast drei Millionen Westbank-Palästinensern 405 158 jüdische Siedler in 126 Siedlungen, das sind dann 13,8% der Bevölkerung in der Region. Palästinenser bewahren eine vernichtende demographische Dominanz.

Noch bemerkenswerter, da von Shaul Arieli errechnet ist die jährliche Wachstumsrate der Siedlerbevölkerung; sie zeigt  eine langfristige Abnahme von  über 10% in den 1990er-Jahren auf 5.3%  2009 und  auf 3,9%  2016. Am verurteilungswürdigsten ist, dass 80%  des jüdischen Bevölkerungs-Wachstums in der Westbank vom natürlichen Wachstum kommt, seitdem die Israelis von jenseits der Grünen Linie wegbleiben und die Hälfte dieser Geburten  in nur zwei  Haredi-Städten geschehen: Beitar Ilit und Modiin Ilit.

Der geographische und wirtschaftliche Einfluss der israelischen Kolonisierung bleibt  ebenso begrenzt.  Die bebauten Gebiete der Siedlungen sind 2% der Westbank. Die meisten Siedler pendeln wegen ihrer Arbeit  nach Israel. Viele sind  in aufgeblasenen, Bildungs-, Sicherheits- und allgemeinen Diensten in ihren Siedlungen. Die paar Hundert, die sich mit der Landwirtschaft befassen, beschäftigen Palästinenser, die die  tatsächliche Arbeit tun.

Die Ausnahmen sind die Siedlungen, die rund um Ost-Jerusalem liegen und drei Siedlungsblock. Die Mehrheit der israelischen Siedler  leben in Gush Etzion, Givar Zeev und Modiin Ilit-Blocks entlang der Grünen Linie, die das Thema von  fortgeschrittenen Landaustausch-Gesprächen während der Olmert-Abbas-Verhandlungen waren. Die Entfernung von  27 000 Siedler –Haushalten (einschließlich der Stadt Ariel) wurden 4% Austausch ermöglichen und würde Israel erlauben, diese Blöcke zu behalten – als territoriale Teilung, die den Staat Palästina schaffen würde.

Die religiös-zionistische Gemeinschaft ist heute weniger  einig als ihr  Image glauben macht. Während die religiös-zionistischen Siedler – über ein Viertel der gesamten Siedler-Bevölkerung - leicht einen Pulk von Unterstützern mobilisieren kann, die gegen die  gelegentliche  Vertreibung von individuellen  Siedlungen oder Stadtteilen, ihrer religiösen  Kohorte, opponieren, (wie es vom israelischen Soziologen Nissim Leon  gezeigt wurde) Sie mobilisierten nicht en masse, um die  Evakuierung  von Gush-Kativ in Gaza zu stoppen helfen. Sie blieben wegen Verpflichtung gegenüber Mamlachtiyut  (nationales Interesse) und weil solche Opposition ihren hart verdienten sozialen Status und ihre Mobilität gefährden würde.

Vor kurzem haben von den  4,219,884 Israelis, die  im März 2015  bei den nationalen  Wahlen abstimmten, nur 1,9% in Siedlungen außerhalb der Siedlungsblocks (einschließlich Ariel) gelebt.  Im Ganzen haben nur 81 381 gewählt; von diesen  waren nur  48861  für die  jüdische Heim-Partei  und für Likud-Parteien, die noch ganz  damit engagiert sind, die  Kolonisierung außerhalb der Siedlungsblocks fortzusetzen.

Kurz gesagt: das Siedlungsprojekt hat nicht die Bedingungen für die  Annexion der Westbank an Israel geschaffen oder macht sie unvermeidbar. Die Zeit begünstigt nicht Israels Kolonisierung, weil seine  demographischen Fußspuren zu klein sind. Meine Analyse führt zu der Schlussfolgerung, dass der Terminus „unumkehrbar“ zurückgewiesen werden muss, während die verbleibenden  Hindernisse für eine territoriale Teilung eindrucksvoll, aber nicht unüberwindbar sind. Die  Hindernisse der Evakuierung der Siedler sind politisch, nicht geographisch.

Am 50. Jahrestag der Besatzung,  demonstriert die unübersehbare Unwirklichkeit der anhaltenden Vorläufigkeit und der historische Anachronismus, zusammen mit dem Hinhalten die Kolonisierung, dass der  Palast der Verweigerung unbewohnbar ist.

(dt. E. Rohlfs)