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Wir Israelis haben nicht das Recht, den Palästinensern  ihr Recht auf Freiheit zu nehmen

Noam Sheizaf   

Haaretz 8-12-2015

Der Konflikt ist tatsächlich ein israelisches Problem – ein Regime, das verschiedene  Arten von Rechten für verschiedene ethnische Gruppen verwalten. Die Palästinenser sollten es nicht nötig haben, von israelischen Konzessionen abhängig zu sein , was ihre eigenen Rechte betrifft.

Wenn man ausländische Nachrichten  über den Konflikt hört, könnte man denken, es besteht ein souveränes Palästina, das einigen territorialen Streit mit dem Staat Israel hat. Immer wieder wird eine der beiden Parteien gewalttätig; in andern Zeiten reden sie mit einander, aber mit wenig Erfolg.  Vermittler mit guten Absichten kommen und gehen und suchen nach einer Formel, mit der  die Feindseligkeiten beendet werden können. Der durchschnittliche Nachrichtenleser fragt sich, wie kommt es, dass dies Problem nicht gelöst wird.

Die Antwort ist die: Die Geschichte hat sehr wenig mit der Realität vor Ort zu tun. Es gibt kein Palästina. Israel ist der einzige Herrscher zwischen dem Jordan und dem Meer. Israel kontrolliert alle Grenzen;  die Währung  ist der Neue Israelische Schekel und die Zentralbank ist israelisch. Israel kontrolliert die  Registration der Bevölkerung, die Häfen und den Luftraum, selbst die palästinensische Polizei  besteht, um Israel zu schützen, nicht die Palästinenser.

Unter israelischer Herrschaft haben Juden alle Rechte – die Palästinenser nicht. Diejenigen von ihnen, die westlich der Grünen Linie geboren wurden, haben (fast)  volle Rechte, aber sie werden schwer überwacht und diskriminiert. Etwa 300 000 Palästinenser in Ost-Jerusalem sind „residents“. Sie können nicht an den allgemeinen Wahlen teilnehmen; sie können kein Staatsland kaufen und ihr Status kann ihnen genommen werden – entweder als Individuen oder auch als Kollektiv, wie Israel es im Augenblick mit einigen Gebieten vorhat, die unter der Kontrolle des Militärregime  und die gar nicht vom israelischen System vertreten sind und seit fast einem halben Jahrhundert unter militärischem Gesetz leben .

Der „Konflikt“ ist tatsächlich ein internes israelisches Problem – ein Regime, das verschiedene Arten  von Rechten von verschiedenen ethnischen Gruppen verwaltet.

Anstelle von rassischer Trennung  arbeitet das System nach Klassen der Bürgerschaft, aber das Ergebnis ist nicht so anders. Es ist keine vorläufige Situation. Es ist die Realität, wie diese die meisten Israelis und Palästinenser ihr Leben lang kennen.Solch eine komplizierte, getrennte Systemstruktur  aufrecht zu halten, ist eine schwierige Aufgabe. Da die meisten Palästinenser  daran gehindert werden, an dem System teilzunehmen, gibt es nur einen Weg, sie zu kontrollieren: mit Gewalt.

Auf einander folgende palästinensische Aufstände  sind die Folgen in der Westbank und im Gazastreifen, die wie Freiluftgefängnisse aussehen: mit 9m hohen Mauern und Wachtürmen. Israel ist ein Weltführer  in der Überwachung geworden, auch für gezielte Morde  und in der Technik Menschenmengen zu kontrollieren

Seit den späten 70er-Jahren wurden fast alle Kriege Israels gegen die Palästinenser geführt. Israel kämpfte diese Kriege mit einem Ziel: den Status quo innerhalb seiner Grenzen  zu bewahren. Die einzige Ausnahme   - der Krieg von 2006  mit der Hisbollah – war sehr eine Folge des Einfalls in den Libanon, der ein Krieg gegen die PLO war.

Doch Israels wirklicher Erfolg -  die Folge  von einem überwältigen Ungleichgewicht von Macht – es ist seine Fähigkeit das „diplomatische“ Narrativ von zwei Regimes  aufrecht zu halten und so den Grenzstreit zu lösen .

Aus den diplomatischen Reden entstehen eine Reihe von Forderungen und Erwartungen,  die alles  einbeziehen  Zum Beispiel: Wenn Israel  den Palästinenser gewisse Rechte  zuspricht – Reisefreiheit;  rechtlich einwandfreie Verfahren,  begrenzte  Teilnahme  bei einigen Zusammenkünften– dann  wird dies  als „Geste“ und Beweis des guten Willens der Regierung verkauft, an statt  dies als  willkürlichen Gnadenakt eines autoritären Regimes zu sehen, das dafür-berüchtigt ist , genau diese angeblichen Zustände lediglich wie Spielgeld in einem Casino  zu sehen.

Nichts, was Israel anzubieten wäre. Das wiederholte Reden über die israelischen Zugeständnisse gegenüber den Palästinensern unterhöhlt die eigentliche Bedeutung des Begriffs „Recht“  bzw. Menschenrecht,  das jedem Menschen von Geburt an zusteht. Stattdessen  werden die Rechte der Palästinenser wie eine politische Währung gesehen, die benützt wird, um die  Aufmerksamkeit der Welt zu erheischen und um die politischen Ziele Israels zu rechtfertigen. Die Siedlungen sind dafür das beste Beispiel.

Es ist wegen der diplomatischen Rede, dass die Jahrzehnte lange israelische politische Debatte – ob man die Besatzung beenden soll –als ein Zeichen dynamischer Demokratie ansehen soll, während jede palästinensische Bemühung, einige ihrer Rechte zu erhalten (einschließlich zu internationalen Institutionen zu gehen, die genau für diesen Zweck aufgebaut wurden) als „schädigend“,  nutzlos oder einfach als „Terror“  bezeichnet werden.

Der diplomatische  Prozess misslingt, weil dies kein diplomatisches Problem ist. Friedensgespräche sind ohne Bedeutung, weil die Palästinenser  wie jede andere rechtlose Bevölkerung,, Israel nichts anzubieten hat: weder Land noch Ressourcen. Sie haben nicht einmal eine Armee, die  Israel  benötigt, um sich mit ihr anzulegen, wie es die Ägypter tun.

Deshalb  ist  Unterstützung für den Friedensprozess so gering: Die israelischen Juden verstehen, dass jede größere Veränderung – entweder in Form einer Zwei-Staatenlösung oder Ein-Staaten-Lösung oder jede andere  Regelung – die Dinge in der Tat schlimmer macht. Sie werden Besitz aufgeben müssen und erhalten nichts dafür. Also wählen sie den Führer, der verspricht,  alles in seiner Macht stehende zu tun, um die Dinge so zu erhalten wie sie sind. Und nachdem er sich mit dem Friedensprozess auseinander gesetzt hat  - wie versprochen – wird er von einer  noch größeren Mehrheit   wiedergewählt.

Leider ist das einzige, das Israelis in der Vergangenheit zum Nachdenken bringt, die Besatzung mit der palästinensischen Gewalt ist. Die erste Intifada führte nach Oslo; die zweit zur Gaza-Abtrennung. Umfragen fanden heraus, dass auf der Höhe der Terrorangriffe die Unterstützung für die Zwei-Staatenlösung einen Höhepunkt hatte. Dies ließ nach, als die Gewalt nachließ.

Es ist für die israelischen Juden und die Palästinenser eine schreckliche Dynamik. Wenn wir mehr Gewalt vermeiden würden, sollten wir die „Konflikt-Resolution“  und die diplomatischen Reden beenden und zur Realität vor Ort  zurückkehren. Die einfache Wahrheit wäre, dass wir Israelis nicht das Recht haben, den Palästinensern ihre Freiheit zu nehmen; selbst wenn wir entscheiden würden,  dies „demokratisch“ zu tun.

Für die internationale Gemeinschaft wird es Zeit, eine Forderung zu stellen.  Dies wird nicht notwendigerweise eine Ein-Staat-Lösung bedeuten, weil Israel noch in der Lage ist, sich aus den besetzten Gebieten zurück zuziehen – mit oder ohne Abkommen. Aber es wird bedeuten, dass der Status Quo keine Option mehr ist. Dies ist die einzige verfügbare Alternative zur Gewalt und der erste  notwendige Schritt auf dem langen Weg zum Frieden. Noam Sheizaf ist Journalist und der erste Herausgeber des  +972-Magazins.                                                                         (dt. Ellen Rohlfs)