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Dürfen Deutsche Israel kritisieren?

Gideon Spiro

 

 17.10.12 

 

in Red Rag (Occupation Magazine) (1. Teil !!)

Ist es einem Deutschen erlaubt, Israel zu kritisieren?

Vor ein paar Jahren hatte ich eine Vortragsreise in Deutschland und zwar als Gast  der Deutschen Gesellschaft für Menschenrechte. Mein Publikum bestand meistens aus Deutschen, gewöhnlich Leute der mittleren Generation, die nicht am 2. Weltkrieg teilgenommen hat. Es waren auch ein paar Juden unter ihnen. Das Publikum war meistens liberal mit sehr moderaten linken Tendenzen, in etwa der der Sozial -Demokratischen Partei. Da ich  überall dieselbe Sprache spreche, wo immer ich in der Welt bin, so habe ich es auch in Deutschland getan. Ich verbarg  meine strenge Kritik an der Politik der Regierung Israels nicht. Ich kritisierte die Besatzung, die Siedlungen, den Rassismus, die schändliche Behandlung der Gastarbeiter, die Diskriminierung der palästinensischen Bürger usw. Bei jeder Veranstaltung gab es Deutsche, die darüber erstaunt waren, meine Kritik zu hören. Einige, weil sie niemals einem Israeli begegnet waren, der sich für die Menschenrechte einsetzte und andere, weil sie als Deutsche meinten, auf Zehenspitzen gehen zu müssen, wenn es sich um Israel handelt, sonst würden sie sofort des Antisemitismus’ angeklagt, der im heutigen Deutschland ein Makel ist und ich denke auch ein Verbrechen.

Bei jeder Veranstaltung tauchte die Frage auf, ob Deutsche das Recht haben,  nach dem Holocaust  Israel zu kritisieren.  Solange noch eine Generation von Überlebenden des Holocaust unter uns leben – entsprechend einer Meinung in Israel – hat Deutschland nur eine Rolle zu spielen: rückhaltlos Israel auf allen Ebenen zu unterstützen: wirtschaftlich, militärisch und diplomatisch. Ich sagte ihnen meine Meinung.

 

Ein Deutscher, der den Holocaust nicht leugnet, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland kämpft und  aktiv in Menschenrechtsorganisationen ist – solch eine Person hat saubere Hände und derjenigen ist es nicht nur erlaubt, Israel zu kritisieren, sondern hat die Pflicht, der Regierung Israels und seinen Unterstützern zu sagen, dass sie nichts  aus dem Holocaust gelernt haben, außer dem Kult der Gewalt. Als Deutscher, der sich der Demokratie und den Menschenrechten verschrieben hat, habe ich das Recht, Israel zu sagen: verletze nicht die Menschenrechte,  sieh, wohin uns das bringt; verlass die besetzten Gebiete – und kritisiere gleichzeitig die Regierung Deutschlands wegen ihrer großzügigen  Unterstützung  des nuklearen und kolonialen Israel.

Für einen Augenblick in die Gegenwart: das ist der Grund, warum ich nicht nur Günter Grass‘ Kritik an Israel unterstützte, sondern auch sein Recht, es zu sagen.

 

Günter Grass sagt in seinem Prosagedicht: „Was gesagt werden muss“, dass er sich lange zurück-gehalten hat, mit dem, was zu sagen ist, weil es Israel betrifft, das sich fast völliger Immunität erfreut, was deutsche Kritik betrifft. Es gibt mutige Deutsche, die bereit sind, sich selbst gegen jene zu verteidigen, die sie wegen ihrer Kritik an Israel verunglimpfen wollen. Die jüdische Gemeinde führt deshalb eine Terrorkampagne durch, um solche Kritik zum Schweigen zu bringen. Das Phänomen der Deutschen, die mit Israel nicht glücklich sind, die sich aber mit ihren Gefühlen zurückgehalten haben, ist mir  von meinen Veranstaltungen in Deutschland bekannt. Nach meinem Vortrag gab es immer jemand unter den Zuhörern, der entschied, dass die Zeit gekommen ist, nun“ alles raus zu lassen“ ….Es war klar, sie fühlten sich von einer schweren Bürde befreit. Die meisten definierten die Israelis als die neuen Nazis.

 

An diesem Punkt würde ich dann interveniert haben. Ich sagte dann: Sie haben meine Kritik gehört. Ich habe nichts verborgen. Ich habe die Realität nicht verschönert. Es gibt Ähnlichkeiten zwischen allen Besatzungsarmeen: grausame Unterdrückung der zivilen Bevölkerung, Missbrauch  der besetzten Nation, Willkür, sinnlose Massenverhaftungen ohne Gerichtsverhandlungen, Folter u.a. m.

In diesem und in anderen Zusammenhängen ist es möglich, von einem Prozess der Nazifizierung zu sprechen, den die  israelische Gesellschaft durchmacht. Israel ist kein Nazistaat, weil es (noch) keine KZ-Lager hat und es hat keine Rassentheorie, nach der alle Araber vernichtet werden müssen. Es gibt vereinzelt  Individuen, die die Doktrin des Genozid vertreten, wie es im Buch Josua (AT) beschrieben wird und die  dies in einen Plan für eine politische Aktion umsetzen wollen – aber Israel als Staat steht nicht  hinter solch einem Plan.

 

Das bringt mich zu dem Problem zurück, das das Thema intensiver Kontroversen ist: Kann man Israel mit dem Nazi-Deutschland vergleichen?  Ich habe darüber mehr als nur ein paar Zeilen geschrieben und im Licht seiner Sensibilität und  der Kontroversen, die damit verbunden sind, scheint es sinnvoll, das noch mal anzusehen, was ich darüber schrieb:

Es gibt zwei Gedankenschulen zu diesem Thema. Nach der einen Schule ist es verboten zu vergleichen. Jeder Vergleich legitimiert Nazi-Deutschland und de-legitimiert Israel. Der Holocaust war der Ausdruck  des schlimmsten Übels, ein anderer Planet, wie der Holocaust-Schriftsteller Ka-Tzetnik es ausdrückt. (Yehiel Dinur, „The House of Dolls“1955)

Die zweite Schule, deren Mitglied ich bin, behauptet, dass es nicht nur erlaubt ist zu vergleichen, sondern auch eine Pflicht ist, es zu tun, wenn es nötig ist. Man mache nie einen pauschalen Vergleich; man vergleiche immer im relevanten Kontext, wie ich die Folterungen verglichen habe, die den Tod  von Hannah Senesh (?)  verursachten, mit den Folterungen, die den Tod von Abd alSamad Harizat in den Kellern vom Shin Bet verursachten. Das Nazi-Regime war kein anderer Planet, sondern das Werk von Menschen, von denen Lektionen gelernt werden müssen. Diese Schule betont den Prozess von Deutschlands Veränderung: aus der demokratischen Weimarer Republik zur Nazi-Diktatur und die Haltung seiner verschiedenen Institutionen, den akademischen, religiösen und wirtschaftlichen, als auch der Massen der Bevölkerung, die zwischen Kollaboration und Neutralität schwankten.

 

Israel befindet sich in einem Stadium der  Demokratie-Erosion, die die Weimarer Republik charakterisierte: Die Besatzung wird fortgesetzt und ihre Brutalität dringt in den Staat Israel ein. Die Knesset  gehört dem Rechten-Flügel, und sie erlässt totalitäre Gesetze, die vor Rassismus strotzen. Die Parteien Israel Beitenu, vom Siedler Avigdor Lieberman angeführt, die Nationale Einheit, eine Partei, in der alle Knesset-Vertreter Siedler von der extremen Rechten sind und unter der Führung des Siedlers Yaakov Katz, Ha-Bayit Ha-Yehudi, angeführt von  Zevulun Orlev, die Haredi Shas-Partei unter dem homophoben und fremdenfeindlich gesinnten Eli Yishai und Teilen des Likud unter der Führung des Siedlers Moshe Feiglin und Zeev Elkin – sie und ihre Unterstützer stellen eine politische Infrastruktur dar, die diejenigen hervorbringt, die das Grab für das schaufeln, was von der Demokratie innerhalb der Grünen Linie übrig geblieben ist. Schon heute wird ihr Rassismus von der Mehrheit der Leute unterstützt, und es gibt die Bereitschaft, Gesetze zu verabschieden, die - den persönlichen Status und die Bürgerschaft betreffen - ähnlich den Nürnberger Gesetzen sind.

(Dt. Ellen Rohlfs)