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Die extreme Rechte wandelt Israel in einen Anachronismus

 

Zeev Sternhell, Haaretz , 1.4.11.

 

Langsam aber sicher nimmt Israel einen anachronistischen Status ein. Die Gesetz-verabschiedung, die letzte Woche in der Knesset in jener dunkeln Nacht geschah, die ethnische Ungleichheit  zur  rechtlichen Norm macht, hat keine Parallele in demokratischen Ländern, weil sie dem  eigentlichen Wesen  der Demokratie widerspricht. Was die Prinzipien betreffen, auf die sie sich gründen, so führt uns die institutionalisierte Diskriminierung  der nicht-jüdischen Bevölkerung  in die Zeiten ( 1949 bis 1967) zurück, als Israels arabische Bevölkerung noch unter militärischer Herrschaft lebte.

Dies hatte  weitreichende Auswirkungen auf die israelische Gesellschaft. Abgesehen vom Wunsch des Ministerpräsidenten David Ben Gurions und der herrschenden Elite, sich nicht ihre Handlungsfreiheit begrenzen zu lassen, war es die ethnische und institutionalisierte Diskriminierung, die es unmöglich machte, eine Verfassung zu schreiben. Auf diese Weise erfuhren die Israelis, die zum ersten Mal Bürger in ihrem eigenen Land waren, dass Unabhängigkeit nicht  Gleichheit erfordert und Demokratie nicht die Achtung vor den Menschenrechten einschließt.

 

In dem Jahr, nach dem Israel seine militärische Herrschaft  in den arabischen Landesteilen aufgab, fand das große Desaster des 6-Tage-Kriegs statt, und eine Militärregierung wurde in den (besetzten) Gebieten errichtet. Mit der Zeit wurde mit den Siedlungen ein Kolonialregime geschaffen, das nicht einmal sein Wesen zu verbergen versuchte. In einer Zeit, in der alle westlichen Länder ihre  ( Kolonial-)Herrschaft über andere Nationen beendet haben, hat Israel eine Kolonie für sich geschaffen und sogar die Normen, die in den besetzten Gebieten gelten, über die Grenzen in den Staat selbst geholt.

Kennt der Westen  einen solchen Anachronismus? Der Siedlungskolonialismus ist heute der Hauptgrund, gewöhnlich der einzige, für die Opposition, die zuweilen an Hass grenzt, den Israel unter einem großen Teil der westlichen Intelligenz weckt. Es sind  nicht die Feinde des Zionismus und die Antisemiten, die Israel de-legitimieren, sondern Israel selbst mit seinen eigenen Händen.

Obgleich die extreme Rechte  auch in Europa stärker geworden ist, und das letzte Wort noch nicht gesprochen wurde, herrschen dort keine Rassisten,  und sie werden als widerliche Minderheit nicht nur von den Linken, sondern auch von einem wesentlichen Teil der liberalen Rechten so angesehen. In diesem Land besteht  die Regierung jedoch aus der  extremen und klerikalen Rechten, mit nur einem Vakuum, das opponiert.

 

Die erbärmliche Flucht vor einer Konfrontation mit der Rechten in der Knesset wird nicht so schnell vergessen sein, und der moralische Bankrott der Mitte wird als Schande notiert. Die größten Feinde der Demokratie und die Quellen der Stärke des Faschismus sind nie die unabhängige Macht der radikalen Rechten gewesen, sondern der Opportunismus, der Konformismus und die Feigheit der ( politischen) Mitte.

 

Und was würden wir sagen, wenn in  einem katholischen Land in Westeuropa, die Kirchenführer politische Parteien kontrollieren  und  große Teile der nationalen Politik diktieren würden? Wie würden wir auf den Anblick eines Parteiführers und bedeutenden Regierungsministers reagieren, der die Hand eines Kardinals küsst, um dann schnell dessen Instruktionen in der öffentlichen Arena auszuführen? Und wie würden wir die Nachricht aufnehmen, dass, um eine der bedeutendsten Positionen im Land zu erhalten – die Leitung des Shin Bet-Sicherheitsdienstes – das Einverständnis der Geistlichkeit benötigt wird?

 

Natürlich würden solchen Ansichten Verachtung und Abscheu hervorrufen, aber in diesem Land sind wir seit langem daran gewöhnt,  dass die „Halachischen Regeln“ der Siedlerrabbiner offen die Gesetzesregeln und die Autorität des Staates beiseite schieben können und der Hügeljugend  de facto erlaubt wird, die Autonomie in den Gebieten zu erklären, die sie kontrollieren. Wir haben uns auch an Gestalten wie den Außenminister Avigdor Lieberman, Innenminister Eli Yishai und MK David Rotem, den Vorsitzenden des Verfassungs-,Gesetz- und Gerichtskomitees,  gewöhnt, dessen Leute in Europa Teil einer Geschichte sind, über die sich viele Leute schämen . Es ist traurig zu sehen, wie eine der großen Hoffnungen des 20. Jahrhunderts vor unseren Augen zu einem  Anachronismus geworden ist.

 

(dt. Ellen Rohlfs)