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Stuttgarter Erklärung
Schlussdokument der Palästina-Solidaritätskonferenz „Getrennte Vergangenheit -
Gemeinsame Zukunft“
Stuttgart, 26.-28.11.2010
Freiheit - Gleichheit – Brüderlichkeit
Equality – or nothing (Edward W. Said)
Vom 26. bis 28.11.2010 kamen in Stuttgart über 200 TeilnehmerInnen zu einer
„Palästina-Solidaritätskonferenz“ zusammen. Thema der dreitägigen Konferenz mit
dem Titel Getrennte Vergangenheit – Gemeinsame Zukunft waren „Hindernisse
und Perspektiven für eine gerechte Lösung“ des Konflikts zwischen dem Staat
Israel und den Palästinensern.
ReferentInnen waren der israelische Historiker Prof. Ilan Pappe von der
Universität Exeter, Dr. Haidar Eid von der Al Aqsa Universität Gaza,
Prof. Mazin Qumsiyeh von der Birzeit Universität Ramallah, der
Mitbegründer des Internetportals Electronic Intifada Ali Abunimah, die
palästinensische Aktivistin Lubna Masarwa, der Hamburger Völkerrechtler
Prof. Norman Paech, die Publizistin und Menschenrechtsaktivistin
Evelyn Hecht-Galinski, Annette Groth von der Linksfraktion des
Bundestags, der Rechtsanwalt Jörg Lang und Attia Rajab sowie
Verena Rajab vom Palästinakomitee Stuttgart. Schirmfrau war die israelische
Rechtsanwältin und Menschenrechtlerin Felicia Langer.
Die KonferenzteilnehmerInnen aus England, Frankreich, Österreich, der Schweiz,
Norwegen, USA und der Bundesrepublik Deutschland verständigten sich auf
Strategien und Zielvorstellungen, die sie gemeinsam verfolgen wollen.
Sie stellten fest, dass das dogmatische Festhalten an der Zwei-Staaten-Lösung
die tatsächlichen Realitäten ignoriert und von einer falschen Parität zwischen
einer kolonialisierten und besetzten Bevölkerung auf der einen Seite und einem
Kolonialstaat mit seiner militärischen Übermacht auf der anderen Seite ausgeht.
Dies propagiert fälschlich die Möglichkeit einen Frieden zu erreichen, indem den
in den 1967 besetzten Gebieten lebenden PalästinenserInnen begrenzte nationale
Rechte zugestanden würden, während den in den Grenzen von 1948 lebenden und den
vertriebenen Menschen ihre Rechte verwehrt würden.
Das Festhalten an der Zwei-Staaten-Lösung verurteilt die PalästinenserInnen mit
israelischer Staatsangehörigkeit dazu, als Bürger zweiter Klasse in ihrem
angestammten Land zu leben, in einem rassistischen Staat, der ihnen nicht
dieselben Rechte wie den jüdischen Bürgern gewährt. Außerdem würde das
Fortbestehen eines zionistischen Staates den palästinensischen Flüchtlingen aus
dessen Territorium das international anerkannte Recht auf Rückkehr verwehren.
Die Zwei-Staaten-Lösung kann zu nichts anderem führen als der Vertiefung und
Zementierung der Ungleichheit. Das Modell zweier nach Ethnien oder
Religionszugehörigkeiten getrennter Staaten setzt ethnische Separation oder
fundamentale Ungleichheit innerhalb dieser Staaten voraus, wie wir sie im
heutigen Israel erleben.
Die Ausführungen Ilan Pappes und der palästinensischen Referenten belegten
schlüssig, dass der bisherige sogenannte Friedensprozess und die Verhandlungen
nur einen Deckmantel für Israels Fortsetzung des Landraubs und der Entrechtung
der palästinensischen Bevölkerung abgegeben hat.
Am Ende der Diskussion bestand weit gehendes Einvernehmen darüber, dass nur die
Schaffung eines gemeinsamen, säkularen und demokratischen Staates auf dem
historischen Palästina mit gleichen Rechten für alle Frieden und Gerechtigkeit
für Palästinenser und Israelis bringen kann - ein Staat, in dem alle Menschen,
gleich welcher Religion und Herkunft, gleichberechtigt zusammenleben. Dies
schließt selbstverständlich die aus dem Land vertriebenen Palästinenser mit ein
(Einlösung der Resolution 194 der UN-Vollversammlung).
Nach wie vor dulden die maßgeblichen Mächte, vor allem die USA und die
EU-Staaten anhaltenden Verstöße Israels gegen internationales Recht und die
Missachtung zahlreicher UN Resolutionen, die die koloniale und diskriminierende
Politik Israels als illegal verurteilen. Die Regierungen der USA und der EU
tolerieren die ständigen Angriffe auf die palästinensische Bevölkerung und
Wohngebiete. Besonders das totale Versagen der „internationalen Gemeinschaft“
während des israelischen Massakers in Gaza im Winter 2008/2009 machte vielen
klar, dass allein der Druck zivilgesellschaftlicher Initiativen weltweit eine
Änderung der Politik Israels und seiner Unterstützer erzwingen kann.
Die Politik der Aushöhlung des internationalen Rechts durch die israelischen
Verbündeten betrifft besonders die Bundesrepublik Deutschland, deren Regierung,
Parteien, Gewerkschaften und Medien auf ein enges Verhältnis zu Israel
eingeschworen sind. Diese billigen Israels Politik der
Menschenrechtsverletzungen stillschweigend und befürworten diese teilweise
sogar.
Eines der aktuellen Beispiele für die Verbindung der Bundesrepublik Deutschland
mit dem Apartheidstaat Israel ist die Beteiligung der Deutschen Bahn am
Schnellbahnprojekt zwischen Tel Aviv und Jerusalem, das durch das Gebiet der
Westbank führt, wozu das Land der dortigen Bevölkerung enteignet werden müsste,
während die Palästinenser der Westbank gleichzeitig von der Nutzung der Bahn
ausgeschlossen würden. Ein weiteres Beispiel ist die deutsche Unterstützung der
Aktivitäten des Jewish National Fund, einer zentralen zionistischen Institution,
die die Apartheid im Staat Israel sichert. Gegenwärtig vertreibt der Jewish
National Fund mit seinem Aufforstungs- und Siedlungsprojekt im Negev
PalästinenserInnen von ihren angestammten Gebieten, wie das Beispiel des Dorfes
von Al Arakib bei Beer Sheva deutlich macht, das vor kurzem zum siebten Mal
durch israelische Sicherheitskräfte zerstört worden ist.
Die KonferenzteilnehmerInnen haben Mittel und Möglichkeiten diskutiert, wie
unsere Basisbewegungen in Richtung einer gemeinsamen Zukunft von
PalästinenserInnen und Israelis auf der Grundlage der Gleichberechtigung wirksam
werden können. Die Hindernisse sind hoch, da es mächtige Interessen für
die Beibehaltung der Rolle Israels als imperialem Vorposten Europas und der USA
sowie deren wirtschaftlichen und strategischen Interessen gibt. In dieser Rolle
wird Israel freie Hand gegeben, Menschenrechte und internationales Recht zu
brechen und auszuhöhlen.
Das wirkungsvollste Mittel ist die nach dem Vorbild des erfolgreichen Kampfes
gegen die Apartheid in Südafrika organisierte Boykott-Kampagne. Die
Konferenzteilnehmer -Innen erzielten Übereinstimmung über die dringende
Notwendigkeit auch von Deutschland aus die internationale Kampagne für Boykott,
Desinvestition und Sanktionen (BDS) gegen Israel zu unterstützen.
Sie schlossen sich damit dem, von nahezu allen palästinensischen
Zivilorganisationen getragenen Appell an, die diskriminierende und
kolonialistische Politik der israelischen Regierung zu boykottieren und Druck
auf unsere jeweiligen Regierungen und die Wirtschaft auszuüben, Embargos und
Sanktionen gegen Israel zu erlassen. Boykottmaßnahmen und Desinvestment sind
auch Gegenstand des von palästinensischen Christen im Dezember 2009
verabschiedeten Kairos-Papiers.
Bei dieser Kampagne darf keine Zeit verloren werden, denn jeden Tag gehen die
ethnische Säuberung und der langsame Genozid an der Bevölkerung Gazas durch die
menschenrechtswidrige Blockade weiter. Viele sind bereits gestorben und sterben
täglich, weil ihnen die Ausreise zu medizinischen Behandlungen verwehrt wird,
die Verseuchung von Boden und Wasser durch die Hinterlassenschaft des Krieges
gegen Gaza führt ebenfalls zu Krankheiten und Tod.
Die Kampagne bietet, wie die Diskussion zeigt, viele Möglichkeiten, sich als
Teil eines bereits sehr erfolgreichen weltweiten Netzwerks von
Solidaritätsgruppen, Gewerkschaften, antirassistischen Initiativen,
globalisierungskritischen Gruppierungen, kirchlichen Gruppen, kritischen
jüdischen und palästinensischen Vereinigungen und linken Parteien, überall dort
aktiv einzuschalten, wo wir faktisch mit den Machtstrukturen, Institutionen und
Politikern verbunden sind, die die Ungleichheit praktizieren und verfestigen.
Überall da gilt es diejenigen, die vom israelischen Apartheidregime profitieren,
zur Verantwortung zu ziehen. In Deutschland müssen wir ganz besonders der
militärischen und so genannten Sicherheits-Kooperation mit Israel entgegen
stellen.
„Diese gewaltlosen Strafmaßnahmen müssen“, so heißt es im Appell vom 9. Juli
2005 (Palestinian United Call for BDS against Israel), solange aufrechterhalten
bleiben, bis Israel seiner Verpflichtung nachkommt, den PalästinenserInnen das
unveräußerliche Recht der Selbstbestimmung zuzugestehen, und zur Gänze den
Maßstäben internationalen Rechts entspricht.
Folgende Punkte müssen verwirklicht werden (Zitat aus dem Appell)
Die internationale BDS-Kampagne richtet sich selbstverständlich nicht gegen
JüdInnen und auch nicht gegen israelische BürgerInnen als solche, sondern allein
gegen die Unterdrückungspolitik eines Staates und gegen die Firmen und
Institutionen, die an der Besatzung beteiligt sind, sie unterstützen oder davon
profitieren. Sie wird daher von zahlreichen jüdischen Organisationen wie auch
israelischen Persönlichkeiten unterstützt.
Boykott, Abzug von Investitionen und Sanktionen sind der Schlüsselweg, bei dem
jeder – wie früher gegen das südafrikanische Apartheidregime – mithelfen kann,
wirtschaftlichen und moralischen Druck aufzubauen. Die BDS-Kampagne hat vor
allem eine große symbolische Wirkung indem die Kampagne der israelischen
Bevölkerung den Spiegel vorhält und sie mit der Tatsache konfrontiert, dass
immer mehr Menschen in der Welt die Politik ihres Staates als verbrecherisch
ansehen.
Die zahlreichen Versuche von PalästinenserInnen, Israelis und internationalen
Gruppen, die völkerrechtswidrige Blockade Gazas zu durchbrechen, stellen genauso
wie BDS eine Methode dar, Unrechtsstrukturen und die Isolierung der
Unterdrückten zu durchbrechen.
Die Konferenz-TeilnehmerInnen setzen sich dafür ein, dass weitere Freedom
Flotillas und eine Flut von Aktionen zu Land und zu Wasser die Mauern und
Blockaden um Gaza und die Westbank zum Einsturz bringen.
Die Teilnehmer der Stuttgarter-Konferenz setzen sich außerdem ein für:
·
Die Freilassung aller der über 10.000 palästinensischen politischen Gefangenen
insbesondere der Frauen und Kinder sowie ParlamentarierInnen
·
Die Beendigung der israelischen Siedlungspolitik und die Rückgabe des geraubten
Bodens
·
Die Aufhebung aller Barrieren, Check -Points und Apartheidmauern in Palästina
·
Den Stopp der Häuserzerstörungen in der Westbank, Jerusalem ,Negev, in Galiläa
und im ganzen Land
·
Aberkennung der Gemeinnützigkeit des Jewish National Fund (JNF) in Deutschland,
da es sich um eine Apartheidorganisation des Staates Israel handelt
Die TeilnehmerInnen appellieren an Gewerkschaften, die Friedensbewegung, die
antirassistischen Initiativen und die Linken, sich diese Positionen in ihrer
Gesamtheit zu Eigen zu machen.
Jeder muss ohne Zeitverzögerung unternehmen, was in seiner Macht steht, um Druck
auf Israel auszuüben. Das zionistische System Israels wird nicht von sich aus
die Rechte der PalästinenserInnen anerkennen. Jeder verzögerte Tag kostet die
Vernichtung menschlicher Existenz. Bei allen Initiativen, die unternommen
werden, darf nicht der Eindruck entstehen, als handele es sich um einen Konflikt
zwischen zwei gleich starken Kontrahenten. Tatsache ist die absolute Übermacht
des israelischen Militärs über eine fast wehrlose palästinensische Bevölkerung.
Ziel muss es sein, Menschen weltweit schnellstmöglich aufzuklären und für die
Rechte der PalästinenserInnen zu mobilisieren.
Insbesondere die Deutschen haben die Pflicht, Stellung zu beziehen. Deutschland
hat eine Mitschuld an dem, was den PalästinenserInnen als Folge deutscher
Geschichte angetan wurde und wird. Gerade die deutsche Vergangenheit fordert von
den Deutschen ein besonders hohes Verantwortungsbewusstsein, wenn es um
Menschenrechte, um Vertreibung und ethnische Säuberung geht
Organisatoren und TeilnehmerInnen der Palästina- Solidaritätskonferenz in
Stuttgart
Stuttgart, 11. Dezember 2010