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Barak Ovadya, Kandidat
Uri Avnery, 29.11.08
WIE WIRD der
israelische Obama aussehen, das Gegenstück zu Barack Obama? Welche Eigenschaften wird er haben?
Das ist eine
verführerische Frage. Es braucht wohl nicht weiter betont zu werden, dass man
sich Menschen nicht - quasi nach
Rezept – zusammenbrauen kann, wie
man einen Kuchen nach einem Kochbuch herstellt. Doch kann man wenigstens auf
ein paar wünschenswerte Züge hinweisen.
Zum Beispiel:
-
WOHER WIRD ER
KOMMEN?
Das israelische
Äquivalent zur schwarzen Gemeinschaft in den Vereinigten Staaten ist die
orientalisch-jüdische Gemeinschaft,
bestehend aus den Juden, die aus arabischen oder anderen islamischen Ländern nach Israel
gekommen sind. Sie gehören keinem anderen Volk an wie die arabischen Bürger
Israels, sie gehören zur Mehrheitsbevölkerung. Sie sind eine patriotisch
eingestellte gesellschaftliche Gruppierung, die sich selbst als Bürger zweite
Klasse diskriminiert sieht.
Um eine genaue
Parallele zu Obama zu erhalten, sollte der Kandidat
halb Orientale und halb Ashkenazi sein, bei dem das
orientalische Image überwiegt. Irgendwann einmal erfand ich ein hebräisches
Wort für Israelis, die gemischten ashkenazisch-sephardischen
Ursprungs sind – „Ashkeradim“.
Aber dieser Ausdruck bürgerte sich nicht ein, trotz der Tatsache, dass es
inzwischen Hunderttausende von Frauen und Männern gibt, auf die diese
Definition zutrifft.
Der israelische Obama ist also ein orientalischer Jude, gemischter
Herkunft.
Aus praktischen
Gründen lasst uns ihm einen hebräischen
Phantasienamen geben: Barak Hasson Ovadya.
-
WAS WIRD SEINE
AUFGABE SEIN?
Die erste Leistung
von Barak Obama war die
Mobilisierung von Millionen Wählern, vielen jungen, die von den Politikern
einfach die Nase voll hatten. Er inspirierte sie, gab ihnen einen Grund, sich dem politischen
Prozess anzuschließen und machte sie zu Aktivisten, Spendern und Leuten, die
imstande sind, andere zu mobilisieren.
Er stellte eine sehr wichtige Sache unter
Beweis: dass diese große Gruppe nicht die Politik als solche verabscheute, es
war nicht die Politik, wie es aussah, sondern die Politiker. Sie waren zu der
Schlussfolgerung gekommen, es gebe keinen großen Unterschied zwischen den
Führern der verschiedenen Parteien und dass sie alle Zyniker seien, alle
machthungrig und die meisten von ihnen auch geldgierig. Als diese jungen Wähler
einen Politiker anderer Art sahen, hoben sie ihn auf ihre Schultern.
Das ist genau das,
was wir brauchen. Die Erfahrung, die wir vor kurzem bei den Tel Aviver
Gemeindewahlen
machten, beweist, dass dies möglich ist. Wenn
ein Politiker anderer Art auf der Bühne erscheint, der nicht den
früheren Politikern ähnelt, werden die Wähler ihn anerkennen.
Die Israelis sind ein
politisches Volk, vielleicht mehr als
andere Völker. Aber sie sind derer überdrüssig, die sie kennen. Sie
sehen, dass es keinen wirklichen Unterschied zwischen den Führern der drei
großen Parteien gibt, zwischen dem amtierenden Ministerpräsidenten und den drei
Kandidaten, die seine Nachfolger werden wollen. Sie sind davon überzeugt, dass
„sie alle gleich sind“ und dass die
Führer der kleinen Parteien auch nicht viel anders sind. Sie sehen keinen
Unterschied in ihrem Charakter, keinen wirklichen Unterschied zwischen ihren
Botschaften. Diese potentiellen Wähler gehen gar nicht erst zur Wahl, oder sie
wählen aus reinem Trotz groteske neue Parteien. Wie die Partei der Pensionäre
bei den letzten Wahlen.
‚Barak
Ovadya’ muss seinen Weg in die Herzen und Köpfe
dieser Hunderttausende finden. Er muss ihnen
Hoffnung geben und Motivation und
sie davon überzeugen, es sei möglich,
alles völlig zu verändern, und sie so zu inspirieren, sich der Kampagne
anzuschließen, um die politische
Szene in Israel zu erneuern.
-
WOHER WERDEN
SEINE WÄHLER KOMMEN ?
Die zweite große
Leistung Barack Obamas war
sein Erfolg, eine Regenbogen-Koalition zu bilden: junge Weiße und Schwarze, Hispanos, Grüne, Liberale, Leute mit sozialem Gewissen,
Lesben und Schwule und am Ende auch Feministinnen.
Die Fähigkeit, solch
eine Koalition zu bilden, ist für Barak Ovadya das
Allerwichtigste. Israel braucht nicht noch eine
weitere kleine Partei, die
ausschließlich für eine einzelne politische Forderung vertritt. Dies sollte der Job von außerparlamentarischen Gruppen sein, die in ihrer eigenen Nische
handeln und sich mit einem Problem befassen. Eine politische Partei, die
dafür bestimmt ist, das politische System zu verändern und dem Land eine neue
Richtung zu geben, muss um eine solche Botschaft
herum eine Mehrheit aufbauen,
die in der Lage ist, alle Lebensbereiche des Staates und der Bürger zu umfassen.
In Israel ist dies
schwieriger als in den USA. Das amerikanische Zwei-Parteien-System ermutigt
große Konzentrationen. Unser System der
proportionalen Wahlen ermutigt zum Gegenteil – nämlich kleine „one-issue“-Parteien.
Um die große
Veränderung in die Wege zu leiten, ist ein starkes politisches Lager nötig. Ovadya wird die Aufgabe haben, vor den Wahlen eine große Koalition zu bilden. Das heißt im
Wesentlichen, eine neue Partei zu gründen oder eine bestehende Partei total
neu zu gestalten, wie es Obama tat.
Welches sind die
Bestandteile einer solch neuen Kraft?
Die Massen der jungen Ashkenazim und
Orientalen, die „soziale“ Öffentlichkeit, die arabischen Bürger, die russische
Gemeinde, die Grünen, die Säkularen, die Lesben und Schwulen, die
Feministinnen, die religiös Progressiven und natürlich die Friedensaktivisten.
Selbst Herkules
hätte zweimal nachgedacht, ob er solch eine Aufgabe übernehmen wolle. Aus
Gründen, die aus Mangel an Platz hier nicht ausführlich
behandelt werden können, liegt ein gähnender Abgrund zwischen jenen, die um
Frieden und Versöhnung mit dem
palästinensischen Volk kämpfen und die
fast alle zur ashkenazischen Elite gehören,
und den orientalischen Juden, deren große Mehrheit die alten rechten Parteien wählen – in
offensichtlichem Widerspruch zu ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen. Die
russische Gemeinschaft ist wie abgeschnitten, entfremdet und verbittert. Sie
lebt wie in einer Seifenblase, und fast alle ihre Sprecher sind extreme
nationalistische Rassisten. Die große säkulare Öffentlichkeit, die das herrschsüchtige religiöse
Establishment und die extrem rechte Botschaft fast aller seiner Sprecher verabscheut, hat
niemanden, den sie wählen kann. Sogar Meretz hat
diese Fahne auf halbmast gesetzt. (Bei den kürzlichen
Gemeindewahlen in Jerusalem wählten die Säkularen aus Mangel an einer
Alternative einen Säkularen vom rechten Flügel).
Können all diese
Botschaften, die so sehr verschieden aussehen, mit einander verbunden werden?
Der Kampf gegen Korruption und die Sorge um die Umwelt, der Kampf um einen
gerechten Frieden und das Verlangen nach sozialer Gerechtigkeit, die Forderung
nach Gleichheit für die arabischen Bürger und die Bürger russischer Herkunft
(Juden wie Nicht-Juden), nach Gleichheit für Frauen, für Lesben und Schwule,
die Forderung nach Trennung zwischen
Staat und Religion, nach Bestehen auf Einhaltung der Menschenrechte, nach einem gesunden israelischen Patriotismus
und universalen menschlichen Werten ?
Die Antwort ist : ja, absolut!
All diese Forderungen kommen aus derselben Quelle: dem Kampf für Gerechtigkeit,
für eine Modellgesellschaft, für ein Land, in dem es sich gut leben lässt,
für einen Staat, auf den wir stolz sein
können.
Ist dies möglich?
Einige Leute glauben, wenn man allein das Wort „Palästinenser“ erwähnt, liefen alle Wähler davon. Oder dass ein
Kandidat mit orientalischem Erbe den Mitgliedern der ashkenazischen
Elite Angst einjagen würde. Oder dass die Russen durch die Araber abgeschreckt
würden.
Ich bin davon
überzeugt, dass es tatsächlich möglich ist – vorausgesetzt, dass die Botschaft
im Großen und Ganzen überzeugend genug ist,
dass sie ausgewogen ist und das
Einigende betont und nicht das
Trennende, dass jedes der Ziele seinen Platz findet, den es im allgemeinen
Rahmen verdient, dass deutlich wird, dass das eine vom anderen abhängt. ( 1965 gab es schon solche Bemühungen von den Gründern von ‚Haolam Hazeh – Neue-Kraft-Bewegung’, der es wohl gelang, in die Knesset zu
kommen, eine Leistung, die bis dahin als
völlig unmöglich angesehen wurde. Aber die Zeit war noch nicht reif, und die
Bemühungen verliefen im Sande).
Die Verbindung
zwischen den verschiedenen Zielen ist nicht mechanisch. Sie müssen Teil einer
großen faszinierenden Botschaft sein. Eine patriotische, humanistische
Botschaft, die gleichzeitig Herz und Kopf bewegt. Obama
tat dies in Amerika. Ovadya muss dies in Israel tun.
- WELCHE EIGENSCHAFTEN MUSS ER HABEN?
Obama hat eine äußerst ungewöhnliche Kombination
von Charakterzügen, die ihn fast zum
perfekten Kandidaten machte.
Er ist neu. Mit
Korruption hat er nichts zu tun. Er ist ein guter Redner, der mit jedem Wort
überzeugt. Er begeht keinen Fauxpas, nicht einmal, wenn er unter schwerem Druck
steht. Seine Ansichten sind überlegt und ausgewogen. Er regt sich nicht auf.
Sein privates Leben scheint makellos zu sein. Er strahlt Ruhe aus. Er lebt
bescheiden. Er zeigte persönlichen und moralischen Mut, als er sich von Anfang
an gegen den Irakkrieg entschied. ( Wie viele Leute in Israel waren vom ersten Tag an gegen
den ersten und zweiten Libanonkrieg?). Seine Botschaft vereint, sie trennt
nicht. Er erfreut sich nicht an Kontroversen. Er hat keinen ‚Killerinstinkt’.
Er brachte eine Botschaft der Hoffnung mit sich, eine im Großen und Ganzen
positive Botschaft, eine Botschaft, die ihm erlaubt, seinen Weg sogar in die
Herzen seiner Gegner zu finden.
Und noch dazu – und das darf nicht unterschätzt
werden – er sieht gut aus.
Solche Leute wachsen
nicht auf Bäumen. Aber solch eine nahezu unmögliche Kombination von
Eigenschaften ist für solch eine nahezu unmögliche Aufgabe unabdingbar. Mahatma
Gandhi war solch ein Mensch. Und vielleicht Jesus. Und Rabbi Hillel (‚derAlte’). Und
vielleicht Heinrich IV., König von Frankreich. Aber in ihrer Zeit gab es noch
kein Fernsehen.
SO ETWAS kann
plötzlich geschehen, ohne Vorhersage, und eine Nation mit einem Schlag erobern.
Aber die Chancen für dieses Mal - gerade
mal 42 Tage vor den Wahlen - stehen schlecht.
So wie die Dinge
jetzt aussehen, wird die nächste Knesset so miserabel wie die jetzige sein. Sie
wird nicht in der Lage sein, auch nur eines der großen nationalen und sozialen Probleme in Angriff zu nehmen.
Sie wird zusammenbrechen, lange bevor
ihr aus Altergründen die Luft ausgeht.
Mit der Aufgabe, den
Boden für ein neues, kraftvolles und großes politisches Lager vorzubereiten,
muss schon am Morgen nach den Wahlen
begonnen werden.
Barak Hasson Ovadya – wo
bist du?
(Aus dem Englischen:
Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert)
Gegen die
Entscheidung des Obersten Gerichtshofes
Führt die Armee
weiter außergerichtliche Tötungen durch.
Gegen die
Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes
Foltert der Shin Bet die Gefangenen
weiter.
Junge Soldatinnen
werden zum Töten
Mit Fernbedienung
ausgesandt.
Diejenigen, die sich
weigern,
kommen ins Militärgefängnis.
Welche Partei wird
dies zum Thema
Der Wahlkampagne
machen?
Inserat in Haaretz am 28.November 2008