Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Auf
der falschen Seite
Uri Avnery, 24. 1.09
VON
ALL den wunderbaren Sätzen aus Barack Obamas Amtseinführungsrede
blieb folgender Satz bei mir hängen: „Ihr
seid auf der falschen Seite der Geschichte.“
Er
sprach von den tyrannischen Regimen in der Welt. Aber auch wir sollten über dieses Wort nachdenken.
In
den letzten paar Tagen hörte ich viele
Erklärungen vonseiten Ehud Baraks, Zipi Livnis, Binyamin Netanyahus und
Ehud Olmerts. Und jedes Mal musst ich an
dieses Wort denken: „Ihr seid auf
der falschen Seite der Geschichte!“
Obama sprach als Mensch des 21. Jahrhunderts.
Unsere Führer sprechen jedoch die
Sprache des 19. Jahrhunderts. Sie ähneln den Dinosauriern, die einst ihre
Nachbarn tyrannisierten und denen nicht
bewusst war, dass ihre Zeit längst abgelaufen war.
WÄHREND
DER aufregenden Feierlichkeiten wurde immer wieder erwähnt, wie vielfältig das
Herkunftspatchwork der neuen Präsidentenfamilie zusammengesetzt ist.
Alle
vorausgegangenen 43 Präsidenten waren weiße Protestanten, außer John F.
Kennedy, der ein weißer Katholik war. 38 von ihnen waren Nachkommen von
Immigranten der britischen Inseln. Von den fünf übrigen waren drei
holländischen Ursprungs (Theodor und Franklin D. Roosevelt als auch Martin van
Buren) und zwei hatten deutsche Vorfahren ( Herbert
Hoover und Dwight Eisenhower).
Obamas Familie ist ganz anders: die Großfamilie
schließt Weiße und Nachkommen schwarzer Sklaven ,
Afrikaner aus Kenia, Indonesien, Chinesen aus Kanada, Christen, Muslime und
sogar einen Juden mit ein (einen konvertierten Afro-Amerikaner). Die beiden
ersten Namen des Präsidenten selbst Barack Hussein
sind arabisch.
So
sieht die neue amerikanische Nation aus – eine Mischung von Rassen, Religionen,
Ursprungsländern und Hautfarben – eine offene und vielfältige Gesellschaft,
deren Mitglieder alle
gleichberechtigt sein sollen und sich mit den „Gründungsvätern“
identifizieren. Der amerikanische Barack Hussein Obama, dessen Vater in einem kenianischen Dorf geboren
wurde, kann mit Stolz von „George Washington, dem Vater unserer Nation“ reden
und von der „amerikanischen Revolution“ (dem
Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten), und hält das Beispiel „unserer
Vorfahren“ hoch, sowohl die weißen
Pioniere als auch die schwarzen Sklaven, die den Peitschenschlag ertrugen. Das
ist die Vorstellung einer modernen Nation, multikulturell und vielrassig: eine Person schließt sich dieser an, sobald
sie die Staatsbürgerschaft erwirbt. Von diesem Augenblick an ist sie ein Erbe
dieser ganzen Geschichte.
Israel
ist das Ergebnis des engen Nationalismus’ des 19.Jahrhunderts, eines
Nationalismus’, der exklusiv ist und ausschließt, der sich auf die Rasse und
den ethnischen Ursprung gründet, “Blut und Boden“. Israel ist ein „jüdischer
Staat“, und ein Jude ist eine Person, die jüdisch geboren oder nach dem
jüdischen Gesetz (Halacha) konvertiert ist. Wie
Pakistan und Saudi Arabien ist es ein
Staat, dessen geistige Welt in großen Teilen von der Religion, der Rasse und
dem ethnischen Ursprung bestimmt ist.
Wenn
Ehud Barak über die Zukunft spricht,
spricht er in der Sprache der vergangenen Jahrhunderte, in Termini roher Gewalt
und brutaler Drohungen. Er spricht von der Armee als ob sie alle Probleme lösen könnte. Das war auch die
Sprache von Georg W. Bush, der sich
letzte Woche aus Washington davon geschlichen hat, eine Sprache, die in
westlichen Ohren schon wie ein Echo
aus längst vergangener Zeit klingt.
Die
Worte des neuen Präsidenten hallen weit: „Unsere Macht allein kann uns nicht
schützen, noch gibt sie uns das Recht, zu tun, was uns gefällt.“ Die
Schlüsselworte waren „Demut“ und „Zurückhaltung“.
Unsere
Führer rühmen sich jetzt ihres Anteils
am Gazakrieg, in dem hemmungslose militärische Gewalt
mit Vorbedacht gegen eine zivile Bevölkerung losgelassen wurde, gegen Männer,
Frauen und Kinder – mit dem erklärten Ziel, „Abschreckung zu schaffen“. In
einer Epoche, die letzten Dienstag begann, können solche Ausdrücke nur
Schaudern auslösen.
ZWISCHEN
Israel und den USA hat sich in dieser Woche eine Kluft aufgetan, noch klein und
fast unsichtbar – aber sie kann sich zu einem Abgrund erweitern.
Die
ersten Anzeichen sind noch klein. In seiner Amtseinführungsrede proklamierte Obama, dass „wir eine Nation von Christen und Muslimen,
Juden und Hindus - und Ungläubiger sind.“ Seit wann? Seit wann kommen Muslime vor den Juden?
Was geschah mit dem „jüdisch-christlichen
Erbe?“ (sowieso ein vollkommen falscher
Terminus, da das Judentum viel näher am Islam anzusiedeln ist als am Christentum. Zum Beispiel unterstützen weder
das Judentum noch der Islam die Trennung von Religion und Staat.)
Schon am nächsten Morgen telefonierte Obama mit einigen nahöstlichen Führern. Er entschied sich, eine
einzigartige Geste zu machen, und rief
Mahmoud Abbas zuerst an und dann erst Olmert. Die israelischen Medien
konnten dies nicht ertragen. Haaretz z.B. verfälschte
bewusst den Bericht – nicht nur einmal, sondern zweimal in derselben
Ausgabe - mit der Behauptung, Obama habe Olmert, Abbas, Mubarak und König Abdallah
angerufen (und zwar in dieser
Reihenfolge).
Statt
aus der Gruppe amerikanischer Juden,
die während der Clinton- und
Bush-Regierung für die Belange des
israelisch-palästinensischen Konfliktes
zuständig war, ernannte Obama schon am ersten Amtstag den
arabischen Amerikaner George Mitchell, dessen Mutter mit achtzehn aus dem
Libanon gekommen war und der selbst als Waisenkind nach dem Tode seines
irischen Vater in einer maronitisch-christlichen Familie aufgezogen wurde.
Dies
sind keine guten Nachrichten für die israelischen Führer. In den letzten 42
Jahren führten sie in enger Kooperation mit Washington eine Politik der
Expansion, der Besatzung und der Siedlungen durch. Sie haben
sich auf unbegrenzte amerikanische Unterstützung mit massiver Finanz-
und Waffenhilfe bis zum Veto im UN-Sicherheitsrat verlassen. Diese
Unterstützung war für ihre Politik lebenswichtig. Diese Unterstützung könnte jetzt an ihre Grenzen stoßen.
Natürlich
wird dies langsam geschehen. Die Pro-Israel-Lobby in Washington wird dem
Kongress weiter gewaltig Angst einjagen. Ein großes Schiff wie die USA kann
seinen Kurs nur langsam in Form einer
sanften Kurve ändern. Aber die Wendung begann schon am ersten Tag der Regierung
Obamas.
Das
kann nicht geschehen, wenn sich Amerika selbst nicht verändern würde. Es
handelt sich nicht nur um einen politischen Wechsel. Es ist auch ein Wechsel der Weltanschauung,
der geistigen Perspektive, der Werte.
Ein bestimmter amerikanischer Mythos, der sehr dem zionistischen Mythos
ähnelte, wurde durch einen anderen amerikanischen Mythos ersetzt. Nicht
zufällig widmete Obama diesem einen großen Teil
seiner Rede.(in der er übrigens kein einziges Wort
über den Genozid an der einheimischen amerikanischen Bevölkerung verlor.)
Der
Gaza-Krieg, während dessen Millionen und
Aber-Millionen Amerikaner täglich das schreckliche Gemetzel im Gazastreifen
sahen ( auch wenn rigorose Selbstzensur alles bis auf
einen winzigen Teil davon
herausgeschnitten hat) hat den Prozess der Trennung beschleunigt. Israel, die
kleine, tapfere Schwester, die treue Verbündete in Bushs „Krieg gegen den
Terror“, hat sich in ein gewalttätiges, wahnsinniges Monster verwandelt, das
kein Mitleid mit Frauen und Kindern, mit den Verwundeten und Kranken hat. Wenn
derartige Winde wehen, verliert die Lobby an Stärke.
Die
Führer des offiziellen Israel bemerken es nicht. Sie spüren nicht, dass sich
der Boden unter ihnen bewegt, wie Obama (in
einem anderen Kontext) ausdrückt,
dass Sie denken, dies sei nur ein
vorübergehendes politisches Problem, das mit der Lobby und den unterwürfigen
Mitgliedern des Kongresses wieder zurecht gesetzt werden könne.
Unsere
Führer sind immer noch betrunken vom Kriegsrausch. Sie haben den berühmten
Ausspruch des preußischen Generals Carl von Clausewitz umgewandelt: „Der Krieg
ist nur eine Fortsetzung einer Wahlkampagne mit anderen Mitteln.“ Sie wetteifern untereinander mit prahlerischer
Großtuerei über ihren Anteil am Kriegsgeschehen. Zipi
Livni, die nicht
mit den Männern um die Krone des Feldherrn konkurrieren kann, versucht, mit
noch mehr Härte noch größerer Kriegslust, noch mehr
Hartherzigkeit die anderen zu
übertreffen.
Der brutalste ist Ehud Bark. Ich nannte ihn
einmal einen „Friedensverbrecher“, weil er die Camp David Konferenz scheitern
ließ und das israelische Friedenslager zunichte machte. Nun muss ich ihn einen
„Kriegsverbrecher“ nennen, da er den Gazakrieg plante und genau wusste, dass dies ein
Massenmord an Zivilisten werden würde.
In
seinen eigenen Augen und in den Augen eines
großen Teils der Öffentlichkeit ist dies eine militärische Operation
gewesen, die alles Lob verdient. Seine Berater dachten auch, dass ihm dies bei
den Wahlen Erfolg bringen würde. Die Labor-Partei, die Jahrzehnte die größte
Partei in der Knesset war, war bei den Umfragen auf zwölf beziehungsweise neun Sitze von 120 Sitzen
geschrumpft. Mit Hilfe der Gaza-Gräueltaten ist sie nun auf 16 angewachsen. Das
ist noch kein Landrutsch, und es ist keineswegs sicher, dass sie nicht wieder
abrutschen wird.
Was
für einen Fehler hat Barak gemacht? Sehr einfach: jeder Krieg hilft den
Rechten. Krieg weckt seinem Wesen nach in der Bevölkerung die primitivsten
Instinkte der Massen – Hass und Angst,
Angst und Hass. Das sind die Emotionen, auf denen die Rechte seit Jahrhunderten
reitet. Wenn die „Linke“ einen Krieg begann, dann profitierte die Rechte davon.
Im Kriegszustand zieht die
Bevölkerung einen
echten Rechten einem falschen Linken vor.
Dies
geschieht nun Barak zum zweiten Mal. Als er
im Jahr 2000 das Mantra verbreitete: „Ich habe auf dem Weg zum Frieden jeden Stein
umgedreht;/ ich habe den Palästinensern beispiellose Angebote gemacht. / Sie
haben alles zurückgewiesen. / Es gibt keinen, mit dem man reden könnte“ gelang es ihm, nicht nur die Linke in Stücke
zu schlagen, sondern auch den Weg für den Aufstieg Sharons bei den Wahlen von
2001 vorzubereiten. Nun bereitet er den
Weg für Binyamin Netanyahu vor. (wobei er ganz
offensichtlich darauf hofft, sein Verteidigungsminister zu werden).
Und
nicht nur für ihn. Der wirkliche Sieger des Krieges ist ein Mann, der an all
dem gar nicht beteiligt war: Avigdor Liberman. Seine Partei, die man in jedem normalen Land
faschistisch nennen würde, steigt bei den Umfragen ständig. Warum? Liberman sieht aus wie ein israelischer Mussolini und hört
sich auch so an. Er ist ein
eingefleischter Araber-Hasser, ein Mann von brutaler Kraft. Verglichen
mit ihm, erscheint selbst Netanyahu als Weichling. Ein großer Teil der jungen
Generation, die mit der Besatzung, dem Töten und der Zerstörung und mit zwei
entsetzlichen Kriegen aufgewachsen ist, betrachtet ihn als würdigen Führer.
WÄHREND
DIE USA einen Riesensprung nach links gemacht hat, ist Israel dabei, immer
weiter nach rechts zu driften.
Jeder
der die Millionen am Tag der
Amtseinführung in Washington gesehen hat, weiß, dass Obama
nicht nur für sich selbst gesprochen hat. Er drückte die Hoffnungen seines
Volkes aus, den „Zeitgeist“.
Zwischen
der geistigen Welt Obamas und der geistigen Welt Libermans und Netanyahus gibt es keine Brücke. Zwischen Obama und Barak und Livni gähnt auch ein Abgrund. Das Israel nach der
Wahl könnte sich auf Kollisionskurs mit dem Amerika nach der Wahl befinden.
Wo
sind die amerikanischen Juden? Die überwältigende Mehrheit von ihnen wählte Obama. Sie werden sich zwischen Hammer und Amboss befinden
– zwischen ihrer Regierung und ihrem
natürlichen Zugehörigkeitsgefühl zu Israel.
Man könnte durchaus annehmen, dass dies Druck von unten auf die „Führer“
der amerikanischen Juden auslösen wird,
die übrigens nie von irgendwem gewählt
worden waren, und auf Organisationen wie der AIPAC. Der kräftige Stock, auf den
sich die israelischen Führer üblicherweise
in schwierigen Zeiten stützten, könnte sich als gebrochenes Rohr
erweisen.
Auch
Europa wird von dem neuen Wind nicht unberührt bleiben. Am Ende des Krieges
sahen wir die europäischen Führer –
Sarkozy, Merkel, Brown und Zapatero – wie Schulkinder in der Schulbank sitzen und
respektvoll den ekelhaften, arroganten Prahlereien Ehud Olmerts lauschen und
seinen Text nachplappern. Sie schienen die Gräueltaten des Krieges zu billigen, sprachen von den Qassams
und vergaßen die Besatzung, die Blockade und die Siedlungen. Wahrscheinlich
werden sie sich kein Bild dieses
Treffens an die Wand ihres Amtszimmers
hängen.
Aber
während dieses Krieges gingen europäische Menschenmassen auf die Straße, um
gegen dieses schreckliche Geschehen zu demonstrieren. Dieselben Massen grüßten Obama
am Tage seiner Amtseinführung.
Dies
ist die neue Welt. Vielleicht träumen
unsere Führer jetzt von dem Slogan: „Stoppt die Welt, ich will aussteigen!“ Aber es gibt keine andere Welt.
JA,
WIR sind jetzt auf der falschen Seite
der Geschichte.
Glücklicherweise
gibt es ein anderes Israel. Es steht nicht im Rampenlicht, und seine Stimme
wird nur von denen gehört, die ihr lauschen. Dies ist ein gesundes,
vernünftiges Israel, das in die Zukunft schaut,
hin zu Fortschritt und Frieden. In diesen kommenden Wahlen wird seine
Stimme kaum gehört werden, weil all die alten Parteien mit beiden Beinen genau in der Welt von gestern stehen.
Aber
was sich in den USA ereignete, wird einen weitreichenden Einfluss auf das
haben, was in Israel geschieht. Die
große Mehrheit der Israelis weiß, dass wir nicht ohne enge Beziehungen
mit den USA existieren können. Nun ist Obama der
Führer der Welt - und wir leben in
dieser Welt. Wenn er verspricht, „aggressiv“ für den Frieden zwischen uns und
den Palästinensern zu arbeiten, dann ist das für uns wie ein Marschbefehl.
Wir
wollen auf der richtigen Seite der Geschichte stehen. Das wird Monate und Jahre
dauern, aber ich bin mir sicher, dass wir dorthin gelangen. Die Zeit dorthin
aufzubrechen, ist jetzt.
Aus
dem Englischen: Ellen Rohlfs / Christoph Glanz,
vom Verfasser autorisiert)