Israel Palästina
Nahost Konflikt Infos
Uri Avnery
11.10.08
Vor einiger Zeit wurde ich von der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft
gebeten, zu beschreiben, wie es nach der Friedensschließung aussehen würde. Ich
möchte jetzt diesen Text verbreiten - besonders in der Woche, in der der
jüdische Jom Kippur - der
Versöhnungstag - gefeiert wird.
„Wenn Ihr wollt, so ist es kein Märchen !“
Theodor Herzl, Gründer des Zionismus
I
„Ihr wollt nicht? Dann eben nicht!“
Hebräisches Graffiti mit Herzls
Bild in Tel Aviv
10.SEPTEMBER 2015
Es ist geschehen.
Bei einer feierlichen Zeremonie war auf einer mit israelischen und palästinensischen
Flaggen geschmückte Bühne ein Friedensvertrag zwischen Israel und Palästina
unterzeichnet worden.
Die Verhandlungen haben nicht lange gedauert. Die
wesentlichen Elemente des Vertrags waren schon lange bekannt gewesen. Das
Dokument enthielt keine wirklichen Überraschungen.
Israel war damit einverstanden, den Staat Palästina
anzuerkennen. Die Grenze zwischen den
beiden Staaten gründete sich auf die sogenannte Grüne
Linie (die Grenze bis zum 4.6.1967); beide Parteien waren aber auch mit einem
begrenzten Landtausch einverstanden . Etwa 5% der
Westbank, die mehrere „Siedlungsblöcke“ einschließen, wurden im Austausch
eines gleichwertigen Gebietes entlang
dem Gazastreifen, an Israel angeschlossen. Beide Seiten drückten den Wunsch
aus, die Grenze für Menschen und Waren
offen zu halten.
In Jerusalem wurden die arabischen Stadtteile,
einschließlich des Haram-al-Sharif
(Tempelberg) ein Teil Palästinas, während die jüdischen Stadtteile mit der
Westmauer bei Israel blieben. Die zwei Hälften Jerusalems blieben physisch unter einer gemeinsamen Gemeindeverwaltung
vereint mit zahlenmäßig gleicher Vertretung im Stadtparlament.
Israel war damit einverstanden, alle Siedlungen aus den
palästinensischen Gebieten abzubauen und so zu beseitigen.
Was das Flüchtlingsproblem betrifft, so war eine komplexe
Lösung gefunden worden. Ein Wahrheits- und Versöhnungskomitee wurde
aufgestellt, um die Ereignisse von 1948 und 1967, die zur Entstehung des Problems führten, zu
untersuchen. Beide Seiten stimmten darin überein, dass sie sich mit den Ergebnissen abfinden werden. Das
Komitee wurde aus geachteten israelischen, palästinensischen und
internationalen Historikern zusammengesetzt.
Israel erkannte das Prinzip des Rückkehrrechts an, aber
beide Seiten waren damit einverstanden, dass nur eine begrenzte und mit
einander abgestimmte Anzahl von
Flüchtlingen auf israelisches Gebiet würde zurückkehren können, während alle
anderen entschädigt und im Staat
Palästina oder anderswo - entsprechend ihren Wünschen - mit internationaler Hilfe angesiedelt werden
würden.
Außerdem wurde ein gemeinsames Komitee damit beauftragt,
für eine gerechte Verteilung der
Wasserressourcen zu sorgen, und mit internationaler Hilfe Meerwasser zu
entsalzen.
Nachdem die Präsidenten Israels und Palästinas sich die
Hände geschüttelt hatten, verharrten alle Anwesenden in einer Schweigeminute –
zum Gedächtnis all derer, die bei diesem Generationen langen Konflikt ums Leben
gekommen waren.
Der Sekretär der Arabischen Liga erklärte den Vertrag in
Übereinstimmung mit der arabischen Friedensinitiative von 2002 und bestätigte,
dass alle Mitgliedstaaten der Liga
normale Beziehungen mit Israel aufnehmen
würden.
DAS HISTORISCHE Ereignis kam nach einer Reihe von
weitgehenden Veränderungen auf beiden Seiten zustande.
Nach der langen und schmerzlichen Spaltung war es dem
neuen palästinensischen Präsidenten gelungen, die sich bekriegenden palästinensischen
Fraktionen in einer verjüngten PLO und einer provisorischen Regierung von
Palästina zu vereinen. Nach einigen
gegenseitigen Beschuldigungen unterstützten beide, die Hamas und die Fatah, den
Vertrag.
In Israel war es einem charismatischem neuen Führer, der
sich allgemeiner Achtung erfreute,
gelungen, die Öffentlichkeit auf die Gefahren des anhaltenden Kriegszustandes
in einer Region voller Raketen und Massenzerstörungswaffen aufmerksam zu
machen. Seine neue Partei, die nicht nur Führer und Mitglieder aus den
diskreditierten alten Parteien anzogen, sondern auch eine ganze Generation
junger Leute, die in die Politik kamen, um eine Veränderung zu
veranlassen, hatte einen durchschlagenden
Wahlsieg. Die Friedensbewegung, die lange geschlafen hatte, spielte bei dieser Wende eine wichtige Rolle.
Als die beiden neuen Präsidenten sich die Hände
schüttelten, gab die ganze Welt einen großen Seufzer der Erleichterung von
sich.
ABER DIE Unterzeichung der Dokumente durch die Politiker
war nur der Beginn des Kampfes. Wie jeder wusste, lauerte eine Konfrontation
zwischen der israelischen Regierung und den Siedlern.
Die Siedler und ihre Verbündeten hatten sich jahrelang
auf diesen Test vorbereitet. Unterstützt
von größeren Teilen der Armee und mehreren Ministern, hatten sie Zugang
zu großen Ressourcen von Waffen und Geld. Viele von ihnen waren entschlossen,
einen Bürgerkrieg vom Zaun zu brechen, wenn es soweit kommen sollte.
Doch als der Zusammenstoß kam ,
war er viel weniger dramatisch, als man befürchtet hatte. Wie man mit den
Palästinensern überein gekommen war, war den Siedlern
ermöglicht worden, im Laufe eines Jahres
für eine großzügige Entschädigung
freiwillig ins eigentliche Israel
zurückzukehren. Nach anfänglichem Zögern nahm etwa die Hälfte der
Siedler das Angebot an und verließ tatsächlich die besetzten Gebiete. Der Rest
wurde von der massiven Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit für den
Friedensvertrag demoralisiert.
Am Ende gab es nur vereinzelt Kämpfe. In der Stunde der Krise bestand die
israelische Demokratie den Test, und die Armee blieb der Regierung treu, trotz
der Bemühungen der Siedler, seit Jahren in das Offizierkorps zu infiltrieren.
DIE RELATIVE Leichtigkeit, mit der beide Regierungen die
oft gewalttätige Opposition in ihren jeweiligen Ländern überwinden konnten, war
der aktiven Unterstützung der
internationalen Gemeinschaft zu verdanken.
Viele Kommentatoren zweifelten, ob der Friedensvertrag
ohne den tiefgreifenden Wechsel der US-Politik im
Nahen Osten möglich geworden wäre. Nach den 2012 Wahlen verkündete der
Präsident, dass Amerikas grundsätzliche Interessen eine ausgeglichene Politik
fordere, um den Hass von Millionen von Muslimen zu überwinden. „Wir sollten
beide, Israel und Palästina bei ihrer kühnen Suche nach Frieden unterstützen,“ erklärte er. Die Pro-Israel-Lobby
wagte nicht, sich dagegen zustellen, da sie den fundamentalen Wechsel in der
amerikanischen Öffentlichkeit spürte und eine antisemitische Gegenreaktion
fürchtete.
Europa folgte diesem Beispiel – wie immer.
IN ISRAEL wurden der Öffentlichkeit schnell die
praktischen Vorteile des Friedens klar. Gemeinsame israelisch-arabische
Unternehmungen zogen große ausländische Investitionen an. Nach dem
vorausgegangenen Friedensvertrag mit Syrien waren israelische Unternehmer schon
eifrig in Damaskus tätig geworden und machten lukrative Geschäfte in einer
syrischen Wirtschaft, die zu neuem Leben erwachte. Die Syrer erlaubten
übrigens, der israelischen Weinindustrie auf dem Golan weiterzuarbeiten. „Lasst
uns zum Hummus-Essen nach Damaskus gehen,“ wurde ein israelischer Slogan. Und tatsächlich
bevölkerten Israelis den berühmten Bazar der alten Stadt und machten den
Trip in die syrische Hauptstadt zu einem
aufregenden Abenteuer.
Während arabische Geschäftsleute die Tel Aviver Hotels füllten und nach Joint-Ventures
Ausschau hielten, pilgerten ihre israelischen Kollegen nach Riyad,
Bagdad, Doha und Dubai. Erfolgsgeschichten füllten
die TV-Nachrichtenprogramme und stellten
den Anblick der Siedler, die Szenen wie beim Abzug aus dem Gazastreifen vor 10
Jahren zu wiederholen versuchten, in den Schatten.
Dank ihrer Position zwischen der israelischen und
arabischen Welt, wurden die Palästinenser gesuchte Mittelsmänner. Frühere
Insassen israelischer Gefängnisse, die ausgezeichnet Hebräisch sprachen,
waren beim Schaffen neuer
Geschäftsverbindungen besonders erfolgreich. Dasselbe geschah auch bei
arabischen Bürgern Israels mit ihren gründlichen, ja intimen Kenntnissen der
israelischen politischen und wirtschaftlichen Prozesse. Ihr Lebensstandard
stieg enorm und näherte sich dem der jüdischen Israelis. Ihre Geburtenrate
fiel, wie es bei wachsendem Wohlstand
üblich ist.
In dieser Atmosphäre fand die Rückkehr von Tausenden von
palästinensischen Flüchtlingen nach Israel fast ohne Kommentar statt. Da das
rapide Wachstum der israelischen Wirtschaft viele Juden aus dem Ausland
angezogen hatte, veränderte sich das „demographische Gleichgewicht“ kaum.
Politiker und Wirtschaftsfachleute beider Seiten kamen
immer öfter mit der Idee einer „Nah-Östlichen-Union“, einer politischen,
wirtschaftlichen und Sicherheits-Organisation, nach Vorbild der EU. Andere
sprachen von einer Konföderation zwischen Israel, Palästina und Jordanien, die
vielleicht auch den Libanon einschließt, wo die Hisbollah jetzt eine gut
etablierte Regierungspartei war.
DIE ISRAELISCHE Armee blieb ein mächtiges Instrument, um
den Staat zu schützen. Aber wie in den
USA und Westeuropa wurden die besten und intelligentesten jungen Leute von
der High-Tech
Industrie, den Wissenschaften und den Geschäften angezogen. Bald wurde der alte
Konflikt als eine Sache der Vergangenheit angesehen.
Am Ende bewies sich das alte Sprichwort noch einmal
„Friede wird nicht zwischen Regierungen, sondern zwischen den Völkern gemacht“.
Die menschlichen Beziehungen, die wirtschaftlichen Interessen und die Zeit
vervollständigten den Prozess, der mit dem formellen Friedensvertrag begann.
(dt. Ellen Rohlfs)