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Olé, olé, olé, olé !
Uri Avnery, 28.6.08
WAS ERREGT die Israelis in dieser Woche am meisten? Was lässt sie auf den Fernsehsesseln kleben?
Was lässt sie zu den Kiosken eilen, um Zeitungen zu kaufen ?
Das Drama in der Knesset, als es für einen Augenblick
so aussah, die Mitglieder würden gegen
die Naturgesetze stimmen und
sich selbst entlassen? Die Verletzung der Tadiyeh
(Waffenruhe) rund um den Gazastreifen, nach der Exekution von Jihad-Militanten in Nablus? Die
Friedensverhandlungen mit Syrien? Die Diskussion über den Gefangenenaustausch
mit der Hisbollah im Norden und der Hamas im Süden?
Red keinen Unsinn!
Das, was immer wieder stürmische Emotionen auslöste, waren die
europäischen Fußballwelt-meisterschaften, Deutschland
gegen Türkei, Spanien gegen Russland.
Was für Spiele! Was für Tore!
Wow!!
VERGLICHEN MIT diesen Fußballspielen sind die Spiele auf der
politischen Bühne nur eine
Nebenvorstellung.
Zum Beispiel : Ehud Olmerts Überlebensspiel.
Seitdem zweifellos feststeht,
dass er korrupt ist, hat seine Regierung den
wichtigsten Aktivposten einer Regierung in einer demokratischen
Gesellschaft verloren: das Vertrauen.
Keiner glaubt dieser
Regierung noch ein einziges Wort. Alle ihre Entscheidungen sind a priori verdächtig – dass sie nicht um
ihrer selbst willen getroffen werden, sondern nur als Mittel dazu dienen, noch einen Monat, noch eine Woche, noch einen
Tag des Überlebens zu retten. Dies ist eine Regierung, die nicht regieren kann.
Dies erinnert mich an eine
Szene in einem alten Film, der sich auf
Jules Vernes Novelle gründete „In 80 Tagen um die Erde“. Um eine Wette zu
gewinnen, muss der Held den amerikanischen Kontinent mit größter
Geschwindigkeit mit der Bahn überqueren. Als die Kohle der Lokomotive zu Ende
war, demolierte er einen Wagen nach dem
anderen und warf ihre hölzernen Wände und Sitzbänke ins Feuer. Danach begann er
die Lokomotive selbst auseinander zu nehmen, bis nichts mehr übrig blieb außer
der Maschine, dem Heizkessel und den Rädern.
Die Regierung Israels gleicht diesem Zug. Um zu überleben,
opfert sie alle ihre Aktivposten.
Ehud Barak hat ein Ultimatum
gestellt: wenn Olmert nicht abgesetzt wird, dann würde er, Barak, die Koalition auflösen. Aber als sich der Zeitpunkt
näherte, war ihm klar, Olmert würde ihn mit
sich in den schrecklichen Abgrund, Wahlen genannt, ziehen. Nach allen Umfragen würden Neuwahlen
den Likud an die Macht bringen. Die beiden Ehuds
schauen verzweifelt nach einem Ausweg. Jetzt stehen sie wie zwei erschöpfte
Boxer da und liegen sich in den Armen, um
nicht umzukippen.
Olmert hat im Augenblick überlebt. Die Vorwahlen für die Kadima-Partei – einer fiktiven Partei - werden erst im
September stattfinden. Ihre Lage ähnelt der ihres Gründers Ariel Sharon, der
mit künstlicher Beatmung am Leben erhalten wird, ohne sich rühren zu können.
Bis wann? Bis September? Oder
Mai 2009? November 2010? Keiner weiß es. Aber eines ist sicher: dies ist eine
Regierung, die nicht mehr fähig ist zu handeln.
BEISPIEL NUMMER 1: die Tahdiyeh.
Die Armee wollte eine
Waffenruhe, weil sie keine
entsprechenden Mittel hat, das Abfeuern von Raketen aus dem Gazastreifen
zu verhindern. Das Letzte, was sie sich wünscht, ist die Wiederbesetzung des
Gazastreifens – eine teure, gefährliche und hoffnungslose Operation.
Sie wollte die Waffenpause
und wollte sie nicht. Logisch gesehen, wollte sie diese, emotional gesehen
wollte sie diese nicht.
Letzte Woche schrieb ich
hier, es würde leicht sein, der Waffenpause ein Ende zu setzen: „die Armee wird
ein Dutzend Jihad-Militante in der Westbank töten.
Als Reaktion darauf wird die Organisation eine Salve Qassams
nach Sderot abfeuern. Die Armee wird
verkündigen, dies sei eine Verletzung
der Waffenruhe, und sie wird mit einem
Überfall in den Gazastreifen antworten …“ Aber nicht einmal ich hatte
erwartet, dies würde schon so bald geschehen. Aber genau das geschah
tatsächlich: Die Armee exekutierte zwei islamische Jihad-Militante
in der Westbank. Der islamische Jihad reagierte mit dem Abschießen von Qassams aus dem Gazastreifen, die Armee erneuerte die
Blockade.
Beschloss jemand diese
Provokation? Olmert? Barak?
Der Generalstabschef? Der
Divisionskommandeur? Keiner sagt etwas. Nur eines ist sicher: Es gibt
keine nennenswerte Regierung.
BEISPIEL NUMMER 2: Der Gefangenenaustausch.
Der deutsche Vermittler hat
schließlich und endlich ein Abkommen für
den Austausch unserer beiden in den Händen der Hisbollah befindlichen
Gefangenen gegen ein paar libanesische
Gefangene erreicht. Man vermutet allerdings, dass die beiden bei ihrer
Gefangennahme tödlich verwundet wurden und längst gestorben sind. Aber es gibt
dafür keine Bestätigung: die Hisbollah schweigt dazu.
Nach der jüdischen Religion
ist die „Erlösung der Gefangenen“ eine heilige Pflicht. Wenn im Mittelalter ein Jude aus London in die
Hände türkischer Piraten geraten war, waren die Juden Istanbuls auf Grund ihrer
Religion verpflichtet, Lösegeld für ihn
zu zahlen. In der israelischen Armee
gehört die Befreiung von Gefangenen zu den höchsten Werten. So wie man keinen verletzten Soldaten auf dem
Schlachtfeld liegen lässt, lässt man
keinen Gefangenen in der Hand des Feindes. Mehr als einmal wurden Hunderte
palästinensischer Gefangenen gegen einen einzigen Israeli ausgetauscht.
Der 2. Libanonkrieg wurde
(wenigstens offiziell) mit dem Ziel
begonnen, diese beiden Gefangenen ohne einen Austausch zu befreien. Für dieses
Ziel wurde das Leben von 150 israelischen Soldaten und Zivilisten und von mehr
als eintausend libanesischen Kämpfern und Zivilisten geopfert. Ohne Erfolg.
Wenn es so ist, wie kann jemand gegen die Freilassung von fünf libanesischen
Gefangenen sein?
Das Problem ist mit einem
Mythos verbunden. Einer der fünf, die frei gelassen werden sollen, ist Samir Kuntar, der mit seinen Kameraden für einen besonders
brutalen Angriff in Israel verantwortlich war. Der „Mörder Kuntar“
(wie er in unsern Medien immer genannt wird), ist ins nationale Gedächtnis als
Monster eingegangen, der die Haran-Familie auf
besonders hässliche Weise ermordet hat. Im Libanon wird er natürlich als
Nationalheld betrachtet, der mitten im Feindesland eine kühne Heldentat ausgeführt hat.
„Erlösung der Gefangenen“ auf
der einen Seite, die Weigerung, ein „Monster“ frei zu lassen, auf der anderen
Seite. Einer muss entscheiden. Olmert entschied. Am
nächsten Tag nahm er die Entscheidung zurück. Zwei Tage später nahm er auch diese Entscheidung wieder zurück. Alles aus sehr einfachen
Kalkulationen: was hilft ihm, zu bleiben? Was wäre populärer?
Dasselbe gilt für den
Soldaten Gilad Shalit, den
Gefangenen der Hamas im Gazastreifen. Wenigstens wissen wir, dass er am Leben
ist. Die Hamas erlaubt ihm, von Zeit zu Zeit eine Botschaft zu senden.
Hier ist das Problem mit
einem anderen Mythos verbunden: „Blut an ihren Händen“ - und zwar nicht irgend
welches Blut, sondern „jüdisches Blut“, wie die Schwätzer betonen. Die
Hamas verlangt die Freilassung von Hunderten ihrer Kämpfer, die an Angriffen
teilgenommen haben. Nun gibt es wieder ein Dilemma: „Erlösung von Gefangenen“
gegen „jüdisches Blut“.
Die ganze Sache ist
lächerlich. In einem Krieg wird Blut vergossen. Wir alle haben „Blut an unsern Händen“, ich auch. Und ganz sicher Ehud Barak.
„Tod und Leben stehen in der
Zunge Gewalt “, erinnert uns die Bibel (Sprüche, 18,21), und das schließt das geschriebene - nicht nur gesprochene -
Wort mit ein. Sage „gefangener Soldat“
anstelle von „gekidnappter Soldat“, „palästinensischer Kriegsgefangener“
anstelle von „palästinensischem
Verbrecher“, „feindliche Kämpfer“ anstelle
von „Mördern mit Blut an ihren Händen“ , und
alles sieht einfacher aus. Aber die lautstarken Medien, die ständig nach
höheren Zuschauerraten ausschauen, gießen mit ihrer Wortwahl Öl ins Feuer.
Also Olmert
ist nicht in der Lage, zu entscheiden. Was ist populärer? Einen Soldaten frei
zu lassen, der seit zwei ganzen Jahren in einem dunklen Keller festgehalten
wird und dessen Leben in Gefahr ist, oder die Weigerung, „Mörder“ frei zu
lassen, die „Blut an ihren Händen“ haben. Geheime Meinungsumfragen werden regelmäßig
konsultiert – und es wird keine
Entscheidung getroffen.
BEISPIEL NUMMER 3: Syrien
Es scheint Verhandlungen zu
geben. Sie scheinen mit einander über Frieden zu sprechen. Die Türken laden
Unterhändler aus Israel und Syrien in ein Hotel ein und werden zwischen den Räumen zu „indirekten“
Verhandlungen hin und her pendeln.
Dies ist Theater. Sie trinken Wein aus leeren Pokalen.
Keiner glaubt ernsthaft an einen Frieden, der notwendigerweise die Auflösung
der israelischen Siedlungen auf dem Golan zur Folge haben müsste. In der
Zwischenzeit wachsen die Siedlungen.
Allein der Gedanke, Olmert habe die moralische und politische Kraft, diese
Siedlungen aufzulösen, ist lächerlich. Nicht einmal er selbst würde davon
träumen. Tatsächlich gibt er sich nicht die geringste Mühe, die öffentliche
Meinung für diese Möglichkeit vorzubereiten. Bestenfalls wäre dies nur
nach entschlossenen und kontinuierlichen
Bemühungen möglich, die sicher von einem großen öffentlichen Sturm begleitet
werden würden.
Warum dann die Vorstellung?
Jeder hat seine eigenen Gründe:
-
Bashar al-Assad nützt es mit viel Talent aus, um von der
„Achse des Bösen“ weg zu kommen, um einen amerikanischen Militärangriff auf
sein Land zu verhindern (was jetzt schon äußerst unwahrscheinlich ist) und um die Fesseln der Isolierung zu brechen.
-
Die türkische
Regierung, von internen Feinden bedroht
- von der Armee und den
Gerichtshöfen, - erwirbt Prestige und fördert ihr Hauptziel, sich der EU
anzuschließen.
-
Sogar der agile
Nicola Sarkozy wittert eine Gelegenheit. Nachdem er,
von seiner phantastischen Frau begleitet,
auf eine Schmeicheltour hierher kam (seine Kritik an den Siedlungen war
von den Medien fast ignoriert worden),
möchte er nun Olmert und Assad in Paris als
Gäste für eine große Schau am selben
Tisch (ohne Händeschütteln). Wer kann dies einer Person verweigern, die dabei
ist, die im Turnus wechselnde Präsidentschaft der EU zu übernehmen und die
hofft, Napoleon IV. zu werden?
-
Aber Olmert ist derjenige, der am meisten profitiert. In dieser
Woche wetterte er vom Knesset-Rednerpult
gegen die Likudmitglieder, die ihn mit höhnischen Buhrufen überschütteten: „Ihr
wollt ja gar keinen Frieden!“
Da
ist er also: nicht Olmert, der Korrupte, nicht Olmert, der Versager, sondern Olmert,
der Tapfere, der sich selbst auf dem Altar des Friedens opfert, der jeden
Augenblick den Traum von Generationen verwirklichen kann, wenn ihm nur
ermöglicht wird, an der Macht zu bleiben.
BEISPIEL
NUMMER 4 : Palästina
All
das, was oben gesagt wurde, trifft auch auf die Beziehungen mit Palästina zu.
Sie treffen sich. Sie umarmen sich. Sie tauschen Versprechen aus. Da gibt es
eine Menge Vermittler, die alle etwas für sich selbst gewinnen wollen.
In
dieser Woche wurde eine besonders widerliche Vorstellung in Berlin unter der
Schirmherrschaft von Angela Merkel
abgehalten, die uns vor kurzem
auch mit einer Pilgerreise der Huldigung geehrt hat. Es war eine Konferenz „für
die Palästinenser“ . Worüber wurde nicht gesprochen : über die Besatzung; über die Siedlungen; über
die Mauer; über die Tausende von Gefangenen in unsern Händen; und auch nicht über die anhaltende
ethnische Säuberung Jerusalems.
Worüber
wurde gesprochen? Über das Training der palästinensischen Polizei, die die Sicherheit der
Besatzung sicher stellen soll. Über den Bau von palästinensischen
Gefängnissen, um Hamasmitglieder einzusperren. Die Hauptsache ist Gesetz und
Ordnung – Gesetz und Ordnung der Besatzung.
Und
wer waren dort die Stars ? Der unvermeidbare Tony Blair. Die tragikomische Condoleeza Rice. Und natürlich Zipi Livni (die genau an
diesem Tag verlangte, die israelische
Armee müsse in den Gazastreifen eindringen). Aber alle handeln für den Frieden.
Es
war einmal eine Zeit, in der die Israelis von beidem sehr eingenommen waren,
vom Fußballspiel und vom politischen Spiel. Es gab ein tiefes emotionales
Engagement für beides. Nun bleibt nur
noch der Fußball, ein Spiel mit transparenten Regeln. Man sieht, was vorhanden
ist. Man kann es ohne Empörung ansehen, während die Politik allgemeine
Verachtung und Ekel hervorruft.
Das
ist der Preis, den wir für Olmerts politisches Überleben zahlen müssen.
(Aus
dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)