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Erinnerst
du dich an Ophira?
Uri Avnery, 7.3.09
IN
DER vergangenen Woche machte ich eine nostalgische Erfahrung. Ich traf eine
parlamentarische Delegation eines europäischen Landes. Was dieses Treffen
zu einem besonderen Erlebnis für mich machte, war der Ort, an dem dies
stattfand.
Der
„Pascha-Saal“ im „American Colony-Hotel“ in
Ost-Jerusalem ist eine wunderschöne quadratische Halle im traditionellen
arabischen Stil. Ich war hier, als Yitzhak Rabin
bei der Unterzeichnungszeremonie auf dem Rasen des Weißen Hauses Yassir Arafat die Hand reichte.
Wir,
israelische Friedensaktivisten und Fatahführer,
waren spontan dorthin gekommen, um dieses Ereignis gemeinsam zu
feiern. Wir beobachteten am Fernseher die Veranstaltung und öffneten
Champagnerflaschen. Einen der Korken habe ich aufgehoben.
Nur
eine Stunde vorher wurde ich Zeuge eines nicht weniger aufregenden
Zusammentreffens. Eine Gruppe junger Palästinenser, ausgelassen vor
Freude, kamen die Straße entlang, hatten Olivenzweige in ihren Händen,
und über ihren Köpfen wehte eine große palästinensische Fahne. An der
Straßenecke wartete eine Einheit der Grenzpolizei – die aggressivste
anti-arabische Streitkraft Israels. Zu jener Zeit war schon allein der Besitz
einer palästinensischen Flagge ein Verbrechen.
Einen
Moment lang hielten wir den Atem an. Was wird nun geschehen? Die Palästinenser
rannten auf die Polizisten zu und drückten ihnen Olivenzweige in die
Hände. Die Polizisten wussten nicht, was sie tun sollten. Sie waren
offensichtlich in einem Zustand völliger Orientierungslosigkeit und reagierten
gar nicht. Die begeisterten Jugendlichen gingen auf ihrem Weg durch
Ost-Jerusalem fröhlich singend weiter.
Heute
– fast 16 Jahre später – kann man nur mit Sehnsucht an die
Friedensbegeisterung zurückdenken, die uns damals alle beherrschte.
Nichts von dieser Begeisterung, jener Hoffnung, jenem Wunsch nach
Versöhnung ist geblieben.
All
dies ist nun durch eine vergiftete Mischung von Hoffnungslosigkeit und
Verzweiflung ersetzt worden.
WENN
MAN heute aufs Geratewohl zehn Passanten in einer Tel Aviver Straße anhalten und sie fragen würde, was sie über
Chancen für einen Frieden denken, dann würden neun von ihnen mit der Schulter
zucken und antworten: da geschieht nichts. Keine Chancen. Der Konflikt wird auf
immer so weitergehen.
Sie
werden nicht sagen: Wir wollen keinen Frieden; der Preis für Frieden ist zu
hoch. Im Gegenteil, viele werden erklären, dass sie für Frieden bereit seien,
die besetzten Gebiete herzugeben, sogar Ost-Jerusalem. Und: lasst die
Palästinenser ihren eigenen Staat haben. Sicher. Warum nicht. Aber sie werden
hinzufügen: keine Chancen. Es wird keinen Frieden geben.
Einige
werden sagen: die Araber wollen ihn nicht. Andere werden sagen: unsere
Führer sind unfähig, dies zu tun. Die Schlussfolgerung aber ist dieselbe:
es wird nichts geschehen.
Eine
ähnliche Befragung der Palästinenser wird wahrscheinlich zur selben
Schlussfolgerung kommen: Wir wollen Frieden. Frieden wäre wunderbar. Aber es
sieht nicht danach aus. Es wird nichts geschehen.
Diese
Stimmung hat auf beiden Seiten dieselbe politische Situation erzeugt. Bei den
palästinensischen Wahlen gewannen die Hamas nicht wegen ihrer Ideologie,
sondern weil sie die Hoffnungslosigkeit in bezug auf Frieden mit Israel
ausdrückt. Bei den israelischen Wahlen gab es einen allgemeinen
Rechtsruck. Die Linken wählten Kadima, Kadimaleute wählten Likud, Likudleute
stimmten für faschistische Fraktionen.
Ohne
Hoffnung gibt es keine Linke. Die Linke ist von Natur aus optimistisch.
Sie glaubt an eine bessere Zukunft, an eine Chance, dass sich alles zum
Besseren wendet. Die Rechte ist von Natur aus pessimistisch. Sie glaubt nicht
an die Möglichkeit, dass sich die menschliche Natur und Gesellschaft zum
Besseren hin verändert. Sie ist davon überzeugt, dass Krieg ein Naturgesetz
ist.
Aber
unter denen, die fast verzweifeln, sind immer noch jene, die hoffen, dass eine
ausländische Intervention – Amerikaner, Europäer, sogar Araber – uns
Frieden bringen könnte.
In
der vergangenen Woche ist auch diese Hoffnung schwer erschüttert worden.
IM
FERNSEHEN wurde uns eine einzigartige, eindrucksvolle Konferenz gezeigt, eine
riesige Versammlung von Regierenden aus aller Welt, die alle nach Sharm-el-Sheikh kamen.
(Man
erinnere sich daran, dass der Sinai während unserer Besatzung „Ophira“ genannt wurde; Moshe Dayan sagte, dass er lieber Sharm-el-Sheikh ohne Frieden
haben wolle, als Frieden ohne Sharm-el-Sheikh).
Wer
war da? Chinesen und Japaner begegneten Saudis und Kataris.
Nicholas Sarkozy war überall. (Tatsächlich ist es fast unmöglich, ein Foto ohne
den hyperaktiven französischen Präsidenten aufzunehmen – irgendwo erscheint er
immer). Hillary Clinton war der Star. Hosny
Mubarak feierte seinen Erfolg, alle zusammen auf ägyptischem
Boden versammelt zu haben.
Und
wozu dies alles? Für den kleinen, armen Gazastreifen. Er muss wieder
aufgebaut werden.
Es
war eine Feier frömmelnder Heuchelei nach bester Tradition internationaler
Diplomaten.
Zunächst
einmal: vom Gazastreifen war niemand da. Wie in der Blütezeit der
europäischen Kolonialzeit vor 150 Jahren wurde über das Schicksal der
Eingeborenen ohne die Eingeborenen entschieden. Wer braucht sie? Es sind
doch nur Primitive. Also besser ohne sie.
Nicht
nur die Hamas war nicht da. Eine Delegation von Geschäftsleuten
und der zivilen Gesellschaft konnte auch nicht kommen. Die Ägypter
erlaubten ihnen nicht, den Rafah-Kontrollpunkt zu
passieren. Das Tor zum Gefängnis, das Gazastreifen heißt, wurde von den
ägyptischen Gefängniswärtern verschlossen gehalten.
Die
Abwesenheit von Abgeordneten aus dem Gazastreifen und besonders der Hamas
machte die Konferenz zur Farce. Die Hamas beherrscht den Gazastreifen. Sie hat
dort und in den palästinensischen Gebieten die Wahlen gewonnen und
herrscht dort weiter, selbst nachdem eine der mächtigsten
Armeen der Welt 22 Tage lang den Versuch gemacht hatte, sie
zu beseitigen. Nichts wird im Gazastreifen ohne die Zustimmung der Hamas
geschehen. Die weltweite Entscheidung, den Gazastreifen ohne die Teilnahme der
Hamas aufzubauen, ist einfach töricht.
Der
Krieg endete mit einer fragilen Feuerpause, die jetzt vor unsern Augen
zusammenbricht. Bei seiner Eröffnungsrede der Konferenz wies Mubarak darauf
hin, dass es Ehud Olmert ist, der jetzt die Waffenpause verhindert ( Tadiyah – Beruhigung - im
Arabischen). Keiner reagierte darauf. Aber wenn es keine Feuerpause gibt,
winkt ein noch zerstörerischer Krieg. Es ist nur eine Frage der Zeit – von
Monaten, Wochen vielleicht gar nur von Tagen. Was bis jetzt nicht zerstört
wurde, wird dann zerstört werden. Was hat es also für einen Sinn, Milliarden in
den Wiederaufbau von Schulen, Krankenhäusern, Regierungsgebäuden und
gewöhnlichen Wohngebäuden zu stecken, wenn alles wieder zerstört wird?
Mubarak
sprach vom Austausch von Gefangenen. Sarkozy sprach mit viel Pathos über den
Soldaten „Jilad Shalit“,
einen französischen Staatsbürger, den alle Franzosen befreit sehen wollen.
Interessant. 11000 palästinensische Gefangene sind in Israels
Gefängnissen. Wie viele von ihnen haben auch die französische
Staatsbürgerschaft? Davon sprach Sarkozy nicht.
Es
interessierte ihn nicht. Selbst in diesem Haufen von Heuchlern kämpfte er
um die Meisterschaft.
Die
Teilnehmer der Konferenz versprachen Mahmoud Abbas märchenhafte Summen. Fast
fünf Milliarden Dollars. Wie viel wird tatsächlich bezahlt werden? Wie viel
davon wird tatsächlich durch das Sieb des hochfliegenden Apparates in Ramallah
fließen und den Gazastreifen erreichen? Nach Einschätzung einer Frau aus Gaza,
die im Fernsehen auftauchte, einer obdachlosen Mutter, die in einem kleinen
Zelt mitten auf einem Trümmerberg lebt: nicht ein Cent.
War
der politische Teil der Veranstaltung ernsthafter? Hillary sprach über die
„Zwei Staaten für zwei Völker“. Andere sprachen über „den politischen Prozess“
und über „Friedensverhandlungen“. Und alle ,
alle wussten, dass dies nichts als leere Worte sind.
IN
SEINEM berühmten Gedicht „Wenn“ („If“) fragte Rudyard
Kipling, ob „man die Wahrheit ertragen kann, die man selbst ausgesprochen
hat und die nun Schurken verdrehen, um eine Falle für Toren zu machen“.
Dies ist nun ein Test für all jene, die vor etwa 60 Jahren an der Wiege
der „Zwei-Staaten“-Idee standen.
Diese
Vision war – und bleibt - die einzig lebensfähige Lösung des
israelisch-palästinensischen Konfliktes. Die einzig reale Alternative ist die
Fortsetzung der gegenwärtigen Situation: Besatzung, Unterdrückung, Apartheid,
Krieg. Aber die Feinde dieser Vision haben sich in Schale geworfen und
behaupten, diese Vision bei jeder Gelegenheit zu unterstützen.
Avigdor Liberman
begünstigt „Zwei Staaten“. Absolut. Er spricht es aus: mehrere palästinensische
Enklaven, jede von israelischem Militär und Siedlern – wie er selbst
einer ist - umgeben. Diese Bantustans werden
dann „ein palästinensischer Staat“ genannt. In der Tat eine ideale Lösung: der
Staat Israel wird von Arabern gesäubert, aber er wird weiter über die Westbank
und den Gazastreifen herrschen.
Binyamin Netanyahu hat eine ähnliche Vision,
bezeichnet es aber anders: die Araber werden „sich selbst regieren.“ Sie werden
ihre Städte und Dörfer regieren, aber nicht das Land, weder die Westbank noch
den Gazastreifen. Sie werden natürlich keine Armee haben und keine
Kontrolle über den Luftraum über ihren Köpfen und keinen direkten Kontakt mit
den benachbarten Ländern. Menahem Begin pflegte dies
„Autonomie“ zu nennen.
Aber
es wird „wirtschaftlichen Frieden“ geben. Die palästinensische Wirtschaft wird
blühen. Sogar Hillary Clinton machte diese Idee offen lächerlich, bevor sie
sich mit Netanyahu traf.
Zipi Livni
wünscht „Zwei Nationalstaaten“. Ja, Ma’m. Wann?
Nun … Zunächst muss es Verhandlungen geben mit unbegrenzter Zeitdauer. Sie
waren während all der Jahre, in denen sie sie führte, bis jetzt zu keinem
Ergebnis gekommen, sie haben überhaupt nichts gebracht. Ehud Olmert spricht
über den „politischen Prozess“ - warum brachte er ihn nicht zu einem
erfolgreichen Ende während all der Jahre unter seiner Führung? Wie
lange muss der „Prozess“ denn noch weitergehen? Fünf, fünfzig, fünfhundert
Jahre?
Und
so spricht Hillary über „zwei Staaten“. Sie spricht mit Eifer. Sie ist
bereit, mit jeder israelischen Regierung darüber zu sprechen, die jetzt
aufgestellt wird, selbst wenn sie von den Ideen eines Meir Kahane angeregt
wird. Die Hauptsache ist, dass sie mit Mahmoud Abbas reden und dass
Abbas viel, viel Geld erhält.
EINE
EXTREM rechtsorientierte Regierung wird gerade aufgestellt. Kadima
hat sich ihr - lobenswerterweise – nicht angeschlossen. Auf der andern
Seite sucht Ehud Barak, der Vater von „Wir haben keinen Partner für
Frieden“ verzweifelt, ein Teil der Regierung zu werden.
Und
warum nicht? Er würde nicht der erste politische Prostituierte in seiner
Partei sein.
1977
verließ Moshe Dayan die Arbeiterpartei, um als Außenminister und
Feigenblatt für Menachem Begin zu dienen, der gewaltsam die Errichtung eines
palästinensischen Staates verhinderte. 2001 führte Shimon Peres die
Arbeiterpartei in die Regierung von Ariel Sharon um als Außenminister und
als Feigenblatt dem Mann zu dienen, der nach dem Massaker von
Sabra und Shatila
alle Welt erschaudern ließ. Warum sollte also
Ehud Barak nicht ein Feigenblatt für eine Regierung werden, die
unverhohlen Faschisten einschließt?
Wer
weiß, vielleicht wird er uns bei der nächsten Konferenz in Ophira
– pardon - Sharm-el-Sheikh
vertreten, bei derjenigen, die nach dem nächsten Krieg einberufen
wird, der den Gazastreifen völlig ruinieren wird. Schließlich wird dann
eine Menge Geld nötig sein, um ihn wieder aufzubauen.
(Aus
dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)