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Des Kaisers alte Kleider
Uri Avnery, 2.5.09
JEDER SPRICHT über die ersten hundert Tage von Barack
Obama. Und darüber gibt’s eine Menge zu sagen.
Wie ein junger Bulle stürmte er
in die Arena. Eine Flut neuer
Ideen auf jedem Gebiet, ein Tsunami praktischer Initiativen, um deren Umsetzung
in einigen Fällen bereits begonnen wurde. Offensichtlich hatte er über sie
schon lange nachgedacht und
beabsichtigte, sie vom ersten Augenblick im Amt in die Praxis umzusetzen. Er
hatte sein Team schon lange im voraus
zusammengestellt, und seine Leute begannen zu handeln, bevor er seinen triumphalen Einzug in das Weiße
Haus hielt. Während seiner ersten Tage
ernannte er die Minister, von denen er
die meisten schon lange im voraus bestimmt hatte. Dies
scheint ein effektives Kabinett zu sein, dessen Mitglieder ihren Aufgaben gewachsen sind.
Dies folgt einer Regel, die seit langem gültig ist: was ein neuer
Präsident nicht in den ersten hundert Tagen initiiert, wird er auch später nicht erfüllen. Am Anfang ist alles
leichter, weil die Öffentlichkeit für einen Wandel bereit ist.
Ein Israeli kann natürlich nicht der Versuchung widerstehen, Obama
mit Binyamin Netanyahu, unserm alt-neuen Ministerpräsidenten, zu vergleichen, der nicht geradezu in die Arena stürmte. Er kroch hinein.
MAN KÖNNTE erwartet haben, dass Netanyahu in dieser Hinsicht sogar Obama
übertrumpfen würde.
Schließlich ist er schon da gewesen. Vor zehn Jahren saß er auf dem Stuhl des Ministerpräsidenten und
sammelte Erfahrungen. Und aus Erfahrungen – besonders aus schlechten – kann, ja sollte man lernen.
Außerdem war Netanyahus Sieg keine Überraschung. Der einzige unerwartete
Teil der Wahlergebnisse war, dass seine Opponentin, Zipi
Livni, einige Stimmen mehr gewann. Doch das war nicht
genug, ihn daran zu hindern – zusammen mit seinen Partnern – eine Mehrheit zu
erlangen.
Deshalb hatte er eine Menge Zeit, seinen Aufstieg zur Macht
vorzubereiten, Experten zu befragen, Pläne auf jedem Gebiet vorzubereiten, sein Team zu wählen, über die Ernennung von Ministern aus seiner
eigenen und den mit ihm verbündeten
Parteien nachzudenken.
Doch unglaublicherweise scheint es,
dass nichts davon - wirklich
nichts - von alledem geschah. Keine
Pläne, keine Berater, kein Team, rein gar nichts.
Bis zum heutigen Tag ist es Netanyahu nicht gelungen, sein persönliches
Team zusammen zu stellen – eine
grundlegende Vorbedingung für jede effektive Handlung. Er hat nicht einmal einen Stabschef,
eine sehr wichtige Position. In seinem Amtssitz herrscht äußerstes Chaos vor.
Die Ministerwahl wurde zu einer einzigen Abfolge von Skandalen.
Nicht nur, dass er ein
fürchterlich aufgedunsenes Kabinett zusammenstellte (39 Minister und
stellvertretende Minister, von denen die meisten nur protzige, fiktive Titel tragen); er setzte in
fast alle wichtigen Ministerien total
ungeeignete Leute ein.
Zur Zeit einer weltweiten Wirtschaftskrise ernannte er einen
Finanzminister, der keine Ahnung von Wirtschaft hat. Anscheinend dachte er,
dass er selbst das Finanzministerium managt –
ganz unmöglich für einen Mann, der
für den Staat als Ganzes verantwortlich ist. Ins Gesundheitsministerium
setzte er einen orthodoxen Rabbiner als stellvertretenden Minister. Mitten in
einer weltweiten Epidemie haben wir keinen Gesundheitsminister – und nach dem
Gesetz muss der Ministerpräsident auch diese Funktion ausüben. In fast allen anderen Ministerien –
vom Transport- bis zum Tourismusministerium – sind Amtsinhaber, die nichts über
ihr Verantwortungsgebiet wissen und nicht einmal vorgeben, daran interessiert
zu sein – sie warten nur auf die Gelegenheit, aufzusteigen und bessere Ämter zu
bekommen.
Es ist nicht nötig, viel Worte über die Ernennung von Avigdor Lieberman als Außenminister zu verschwenden. Der
professionelle Skandalprovokateur
produziert täglich einen neuen Skandal im sensibelsten Bereich der
Regierung. Dem Bullen im Porzellanladen ist es bereits gelungen, alle Diplomaten
in kleine Bullen zu verwandeln, die herumrennen und alles Porzellan in ihrer
Nähe zerschlagen. Im Augenblick sind sie eifrig dabei, Israels Beziehungen zu der EU durch einander zu bringen.
All diese Ernennungen sehen wie die verzweifelte Bemühung eines
zynischen Politikers aus, der sich um gar nichts weiter kümmert, als wieder an
die Macht zu kommen und dann schnell ein Kabinett zusammen zu stellen, egal wie
seine Zusammensetzung ist, der bereit ist, jeder Partei jeden Preis zu zahlen,
um sie dazu zu bewegen, sich ihm anzuschließen; dabei opfert er sogar die
lebenswichtigsten Interessen des Staates.
AUCH WAS die Planung betrifft, ähnelt Netanyahu Obama nicht. Er kam ohne irgend
welche Pläne auf irgendeinem Gebiet zur Macht. Man gewinnt den Eindruck,
dass er Jahre in der Opposition verbrachte, während sein Kopf Winterschlaf
hielt.
Vor einer Woche präsentierte er einen grandiosen „wirtschaftlichen
Plan“, um unsere Wirtschaft vor den Verheerungen der Weltwirtschaftkrise zu
retten. Wirtschaftwissenschaftler runzelten die Stirn. Der ‚Plan’ besteht aus
nichts als aus einer Sammlung müder,
alter Slogans und einer Steuer auf
Zigaretten. Seine verlegenen Assistenten stotterten, dass dies nur
ein ‚allgemeiner Grundriss“ sei und noch
nicht ein Plan, und dass sie jetzt an einem wirklichen Plan arbeiteten.
Die Öffentlichkeit regt sich nicht wirklich über das Fehlen eines
Wirtschaftsplanes auf. Sie glaubt an Improvisation, das wunderbare israelische
Talent, das die Unfähigkeit, etwas zu planen, deutlich macht.
Aber auf dem politischen Feld ist die Situation sogar noch schlimmer.
Weil dort das Unvorbereitetsein
Netanyahus auf das Übervorbereitetsein Obamas trifft.
Obama hat einen Plan für den Wiederaufbau des Nahen
Ostens, und eines seiner Elemente ist
ein israelisch-palästinensischer Frieden, der sich auf dem Prinzip „Zwei Staaten für zwei Völker“
gründet. Netanyahu behauptet, dass er nicht in der Lage sei, darauf zu antworten,
weil er noch keinen Plan hat.
Schließlich sei er ja ganz neu im Amt. Nun arbeitet er an solch einem Plan.
Sehr bald, in einer Woche oder in einem
Monat oder in einem Jahr wird er einen Plan, einen wirklichen Plan, fertig
haben und ihn Obama vorlegen.
Natürlich hat Netanyahu einen Plan. Er besteht aus einem Wort, das er
von seinem Mentor Yitzhak
Shamir gelernt hat: ‚Nein!’ oder noch genauer: das ‚Nein, Nein, Nein!’ des israelischen
Khartum: oder ‚Frieden: nein! Rückzug:
nein! Verhandlungen: nein!’ Man erinnere
sich, dass auf der arabischen
Gipfelkonferenz von 1967 in Khartum, direkt nach dem
Sechstagekrieg, eine ähnliche Resolution verabschiedet wurde).
Der Plan, an dem er gerade arbeitet, betrifft nicht wirklich das
Wesentliche dieser Politik, sondern nur seine Verpackung. Wie soll man Obama
etwas präsentieren, das nicht einfach wie ‚Nein’ klingt, sondern eher wie ‚Ja,
aber’. Etwas, das alle Leibeigenen der
Israel-Lobby im Kongress und den Medien
schmerzlos schlucken können.
ALS VORGESCHMACK für den ‚Plan’,
hat Netanyahu schon einen seiner Bestandteile vorgelegt: die Forderung, dass
die Palästinenser und die anderen Araber Israel als ‚den Staat
des jüdischen Volkes’ anerkennen müssen.
Die meisten Medien in Israel und im Ausland haben diese Forderung
verdreht und berichtet, dass Netanyahu die Anerkennung Israels als eines ‚jüdischen Staates’
verlange. Entweder aus Ignoranz oder aus Faulheit haben sie den bedeutenden Unterschied zwischen den beiden
Formeln verwischt.
Der Unterschied ist nämlich immens. Ein ‚jüdischer Staat’ ist eine
Sache, ein ‚Staat für das jüdische Volk’ etwas radikal anderes.
Unter einem ‚jüdischen Staat’
kann man einen Staat verstehen, in dem die Mehrheit der Bürger sich
selbst als Juden definieren und/ oder
dessen Hauptsprache Hebräisch ist, dessen Hauptkultur jüdisch ist, dessen wöchentlicher Ruhetag der Samstag ist, der in
der Knesset-Cafeteria nur koschere Speisen anbietet
etc.
Ein ‚Staat des jüdischen Volkes’ ist eine vollkommen andere Geschichte.
Es bedeutet, dass der Staat nicht nur seinen Bürgern gehört, sondern zu etwas,
das sich ‚das jüdische Volk’ nennt , etwas, das
innerhalb und außerhalb des Landes
existiert. Das kann weitreichende Implikationen mit sich bringen. Zum Beispiel:
die Ungültigkeitserklärung der
israelischen Staatsbürgerschaft aller Nicht-Juden , so wie es Lieberman
vorgeschlagen hat. Oder die Verleihung der israelischen Staatbürgerschaft an
alle Juden in aller Welt.
Die erste Frage, die auftaucht, ist die: ‚Was bedeutet ‚das jüdische
Volk’? Der Terminus ‚Volk’ – ‚am’ im Hebräischen, ‚people’
im Englischen – hat keine akzeptierte genaue Definition. Im allgemeinen
meint man damit eine Gruppe von Menschen, die in einem bestimmten Gebiet leben
und eine bestimmte Sprache sprechen. Das ‚jüdische Volk’ ist anders.
Vor zweihundert Jahren war es klar, dass die Juden eine religiöse
Gemeinschaft waren, die in der ganzen Welt zerstreut lebten und durch
religiösen Glauben und durch religiöse Mythen
( darunter der Glauben an eine gemeinsame Abstammung ) verbunden waren. Die Zionisten
entschlossen sich, diese Selbstwahrnehmung zu ändern. ‚Wir sind ein
Volk, e i n Volk,’ schrieb Theodor Herzl, der Gründer des
Zionismus, auf Deutsch und verwendete das Wort ‚Volk’.
Die Idee des ‚Staates des jüdischen Volkes’ ist entschieden antizionistisch. Herzl träumte nicht von einer
Situation, in der ein jüdischer Staat und eine jüdische Diaspora koexistieren
würden. Nach seinem Plan würden alle Juden, die Juden bleiben wollen, in ihren
Staat immigrieren. Die Juden, die bevorzugen würden, außerhalb dieses Staates
zu leben, würden aufhören, Juden zu sein und
in ihren Gastländern aufgehen,
also schließlich richtige Deutsche, Briten und Franzosen werden. Es wurde
angenommen, dass die Umsetzung der Vision
des ‚Staatsvisionärs’ (wie er offiziell in Israel bezeichnet wird) die Auflösung der jüdischen Diaspora, also
der Juden außerhalb des ‚Judenstaates’,
mit sich bringen würde.
David Ben Gurion war ebenfalls ein Mitstreiter dieser Vision. Er
behauptete, dass ein Jude, der nicht nach Israel immigriere, kein Zionist sei
und auch keine Rechte in Israel erhalte – außer dem Recht, dorthin zu immigrieren. Er forderte auch die
Auflösung der zionistischen
Organisation, da er in ihr nur das Gerüst für den Aufbau des Staates sah. Sobald der Staat errichtet sei, so dachte er ganz richtig, solle das Gerüst abgebaut werden.
NETANYAHUS FORDERUNG, dass die Palästinenser Israel als den Staat des
jüdischen Volkes’ anerkennen sollen, ist lächerlich, sogar als eine Taktik, den Frieden zu
verhindern.
Ein Staat erkennt einen (anderen) Staat an, nicht seine Ideologie oder
sein politisches Regime. Keiner erkennt Saudi Arabien, die Heimat der Pilgerfahrt, als den ‚Staat der muslimischen Umma’ an (Umma bedeutet im Arabischen die Gemeinschaft der
Gläubigen.).
Außerdem würde diese Forderung die Juden in aller Welt in eine
unmögliche Position bringen. Wenn die Palästinenser Israel als ‚den Staat des
jüdischen Volkes’ anerkennen müssten, dann müssten dies alle Regierungen in
aller Welt auch tun. Die Vereinigten Staaten zum Beispiel. Das würde heißen, dass
die jüdischen US-Bürger Rahm Emmanuel und Davis Axelrod, Obamas
engste Berater, offiziell von der Regierung Israels vertreten
sind. Dasselbe gilt für die Juden in
Russland, Großbritannien und Frankreich.
Selbst wenn Mamoud Abbas überzeugt würde, diese
Forderung zu akzeptieren – und deshalb indirekt die Staatsbürgerschaft der 1,5
Millionen Araber in Israel in Zweifel ziehen würde – würde ich dies energisch
zurückweisen. Ja, ich würde dies sogar als einen unfreundlichen Akt ansehen.
Der Charakter des Staates Israel muss von den Bürgern Israels
entschieden werden, (die verschiedene Meinungen zu dieser Sache haben). Vor dem
israelischen Gerichtshof ist ein Antrag
von Dutzenden israelischer Patrioten anhängig, denen auch ich angehöre. Dieser
verlangt, dass der Staat die ‚israelische Nation’ anerkennt. Wir fordern den
Gerichtshof auf, die Regierung davon zu instruieren, uns im offiziellen
Bevölkerungsregister unter dem Stichwort
‚Nation’ als ‚Israelis’ einzuschreiben. Die Regierung weist dies hartnäckig zurück und besteht darauf, dass
unsere Nation jüdisch sei.
Ich bitte Mahmoud Abbas, Obama und jeden
anderen, der kein israelischer Bürger ist, darum ,sich
nicht in diese innere Debatte einzumischen.
Netanyahu weiß natürlich, dass seine Forderung von
niemandem ernst genommen wird. Es ist ganz offensichtlich ein weiterer
Sprengkörper, um ernsthafte Friedensgespräche scheitern zu lassen. Wenn er
gezwungen ist, sie fallen zu lassen, wird es nicht lange dauern
, bevor er mit einem anderen Vorwand kommt.
Um mit Groucho Marx zu
sagen: ‚Dies ist mein Vorwand.
Wenn du ihn nicht magst, gut, ich habe
noch eine Menge andere.’
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser
autorisiert)
Die Polizei hat
Mitglieder der New-Profile-
Bewegung verhaftet und verhört,
Weil sie Militärdienstverweigerer
Aus Gewissensgründen beistanden.
Es ist nicht ohne Grund,
Dass Liebermann
Die Kontrolle wünscht
Über Polizei und Justizministerium.
Dies ist der Beginn eines Angriffes
Auf Aktivisten
Für Demokratie und Frieden.
So beginnen dunkle Regime.
Inserat am 1. Mai 2009 in Haaretz
Von Gush Shalom. Es
bittet um Spenden für seine Aktivitäten und Inserate. POB 3322 Tel Aviv 63576