Uri Avnery, 26.4.08
KRIEG
MIT Syrien ?
Frieden mit Syrien?
Eine
große Militäroperation gegen die Hamas im Gazastreifen? Eine Waffenpause mit der Hamas?
Mit
ziemlicher Gleichgültigkeit diskutieren unsere Medien diese Fragen,
als ob es sich um gleichwertige Optionen handeln würde. Wie ein Mann
beim Autohändler, der sich nicht zwischen zwei Modellen entscheiden kann. Das eine ist gut, und das
andere ist auch gut. Also welches soll er kaufen?
Und
keiner schreit auf: Krieg ist der Gipfel der Dummheit.
CARL
VON CLAUSEWITZ, der bekannte Militärtheoretiker, prägte das berühmte Wort, dass
Krieg nichts anderes sei, als die Fortsetzung
der Politik mit anderen Mitteln. Das heißt: der Krieg dient der Politik
und ist sinnlos, wenn es dies nicht tut.
Welcher
Politik dienten die Kriege in den letzten hundert Jahren ?
Vor
94 Jahren brach der 1. Weltkrieg aus. Der unmittelbare Anlass war die
Ermordung des österreichischen
Thronfolgers anscheinend durch serbische
Studenten. In Sarajewo zeigte man mir genau, wo
das Attentat ablief: nachdem der
erste Versuch auf der Hauptstraße misslungen war, und die Attentäter schon
aufgegeben hatten, begegnete einer von
ihnen seinem Opfer durch reinen Zufall
noch einmal und erschoss ihn. Auf
Grund dieses fast zufälligen Mordes
verloren in den folgenden vier Jahren Millionen Menschen ihr Leben.
Der
Mord diente natürlich nur als Vorwand. Jede der kriegsführenden Nationen hatte
politische und wirtschaftliche Interessen, die sie in den Krieg trieben. Aber
diente der Krieg wirklich diesen Interessen?
Die Folgen deuten auf das
Gegenteil hin: drei mächtige Reiche – das russische, das deutsche und das
österreichische – brachen in sich zusammen;
Frankreich verlor seine Weltvormachtstellung und erholte sich nie
wieder; das britische Empire wurde
tödlich verwundet.
Die
Militärexperten weisen auf die
schockierende Dummheit fast aller Generäle hin, die ihre armen Soldaten
immer wieder in hoffnungslose Schlachten warfen, die nichts als weiteres
Abschlachten bewirkten.
Waren
die Staatsmänner klüger? Keiner der Politiker, die den Krieg begannen, stellte
sich vor, dass der Krieg so lange dauern und
so schrecklich sein würde. Anfang August 1914, als die Soldaten aller
Länder mit fröhlicher Begeisterung in den
Krieg zogen, war ihnen versprochen
worden, dass sie „vor Weihnachten“ wieder zu Hause seien.
In
jenem Krieg wurde kein politisches Ziel erreicht. Das Friedensabkommen, dass
den Besiegten auferlegt worden war, war ein Zeugnis ungeheurer Idiotie. Es kann behauptet werden,
dass das Hauptergebnis des 1.
Weltkrieges der 2. Weltkrieg war.
DER
ZWEITE Weltkrieg war scheinbar
rationaler. Der Mann, der ihn praktisch alleine zum Ausbruch brachte,
war Adolf Hitler – er wusste, was er wollte. Seine Gegner gingen in den Krieg,
weil sie keine andere Wahl hatten, wenn sie
nicht von einem monströsen Diktator überrannt werden wollten. Die
meisten Generäle auf beiden Seiten waren
weit intelligenter als ihre Vorgänger.
Trotzdem
war es ein dummer Krieg.
Hitler
war grundsätzlich eine primitive Person, die in der Vergangenheit lebte und den
Zeitgeist nicht begriffen hatte. Er wollte Deutschland in eine führende
Weltmacht verwandeln – ein Ziel, das jenseits
von Deutschlands Fähigkeiten lag. Er beabsichtigte, weite Teile
Osteuropas zu erobern und von seinen Bewohnern zu säubern, um dort Deutsche anzusiedeln. Das
war ein hoffnungslos überholtes Machtkonzept. Wie alle Ideen, die auf der Errichtung von Siedlungen als
Strategie nationaler Machtentfaltung basierten, gehörte es den
vergangenen Jahrhunderten an. Hitler hatte die Bedeutung der technischen
Revolution nicht verstanden, die dabei war, das Antlitz der Welt zu verändern.
Es kann gesagt werden: Hitler war nicht nur ein
übler Tyrann und ein monumentaler
Kriegsverbrecher, sondern im Grunde auch eine dumme Person.
Das
einzige, was ihm fast gelungen wäre, war die Vernichtung des jüdischen Volkes.
Aber selbst dieses wahnsinnige
Unterfangen misslang am Ende: die Juden haben heute starken Einfluss im
mächtigsten Land der Welt, und der Holocaust spielte eine wichtige Rolle bei
der Errichtung des Staates Israel.
Hitler
wollte die Sowjetunion zerstören und einen Kompromiss mit dem britischen Empire
erreichen. Er verniedlichte die Rolle der USA, ja, ignorierte sie fast. Die
Folge des Krieges war, dass die Sowjetunion einen großen Teil Europas besetzt
hielt, die USA die wichtigste Weltmacht
wurde und das Britische Empire für immer
auseinanderbrach.
Tatsächlich
bewies der Nazidiktator mehr als jeder andere die äußerste Sinnlosigkeit des
Krieges als politisches Instrument in
der heutigen Zeit. Nach der Zerstörung von Hitlers Reich gelang es Deutschland,
sein Ziel zu erreichen. Deutschland ist nun die vorherrschende wirtschaftliche
und politische Macht in einem
vereinigten Europa – aber dies erreichte es nicht durch Panzer und Kanonen,
also ohne Krieg und Militärmacht, allein durch Diplomatie und Exporte. Eine Generation nachdem alle
deutschen Städte am Ende der Naziabenteuer nur noch aus Ruinen bestanden,
erlebte Deutschland eine bis dahin nicht
gekannte Blütezeit.
Dasselbe
kann von Japan gesagt werden, das noch militaristischer als Deutschland war. Es
erreichte mit friedlichen Mitteln, was den Generälen und Admiralen durch Kriege
nicht gelungen war.
VON
ZEIT ZU Zeit lese ich begeisterte Bericht von
amerikanischen Touristen über Vietnam.
Was
für ein wunderbares Land, was für freundliche Menschen! Was für gute Geschäfte
können dort gemacht werden!
Erst
vor einer Generation rannte ein brutaler Krieg in diesem Land Amok. Menschenmassen wurden getötet, Hunderte
von Dörfern verbrannt, Wälder und Ernten
wurden durch chemische Mittel zerstört, die Soldaten fielen wie die Fliegen.
Warum? Es war der Dominoeffekt.
Die
Theorie besagt Folgendes: Wenn ganz Vietnam von den Kommunisten erobert werden würde, dann würden alle andern
Länder Südostasiens folgen. Jedes Land würde sein Nachbarland zu Fall bringen –
wie eine Reihe Dominosteine. Die Wirklichkeit hat bewiesen, dass dies
vollkommener Unsinn ist: Die Kommunisten eroberten Vietnam, ohne
die Stabilität Thailands,
Malaysias und Singapurs zu beeinträchtigen. Als die Kriegserinnerungen verblassten , folgte Vietnam tatsächlich dem Weg seines
nördlichen Nachbarn, Rot-China, aber mittlerweile hat
China eine blühende kapitalistische
Wirtschaft.
Im
Vietnamkrieg konkurrierte die Dummheit der Generäle mit der der Politiker. An ihrer Spitze stand Henry Kissinger, ein
Kriegsverbrecher, dessen alles überragender Ego seine eigentliche Dummheit vertuschte. Auf dem Höhepunkt des Krieges
fiel er in das benachbarte friedliche Kambodscha ein und zerriss es in Stücke.
Die Folge davon war ein grausamer
bürgerkriegsartiger Völkermord untereinander, als die Kommunisten ihr
eigenes Volk umbrachten. Doch noch immer
betrachten viele Kissinger als genialen Politiker.
Viele
behaupten, dass die schiere
Sinnlosigkeit der Irakinvasion sogar hier in diesem sicherlich hart umkämpften
Bereich, den Siegeskranz davonträgt.
Es
scheint, dass die politische Führung in Washington den dramatischen Anstieg des
weltweiten Ölverbrauchs voraussah. Darum entschied sie, beizeiten ihre
Herrschaft über das Öl im Persischen Golf und rund ums Kaspische Meer zu stärken. Der Krieg sollte
den Irak in einen amerikanischen Satelliten
verwandeln und dort unter einem freundlichen Regime, eine permanente
amerikanische Garnison stationieren, die
die ganze Region unter Kontrolle halten kann.
Die
Ergebnisse sind bis heute genau
gegenteilig gewesen. Statt den Irak als ein vereintes Land unter ein
stabiles pro-amerikanisches Regime zu bringen, wütet ein Bürgerkrieg und der
Staat taumelt am Rand einer Auflösung
dahin; die Bevölkerung hasst die Amerikaner und betrachtet sie als feindliche
Besatzer. Der Ölertrag ist geringer als vor der Invasion; die immensen Kosten
des Krieges unterwandern die amerikanische Wirtschaft; der Preis des Öls steigt
unaufhörlich. Die einst so wohl gesonnene Meinung der Weltöffentlichkeit über
Amerika hat einen Tiefpunkt erreicht, und die
amerikanische Öffentlichkeit verlangt die Rückkehr der Soldaten.
Zweifellos
hätten die amerikanischen Interessen weit besser auf diplomatischem Wege wahrgenommen werden
können, indem man die wirtschaftliche Schlagkraft eingesetzt hätte. Das hätte
Tausenden von amerikanischen Soldaten
und zehn mal so vielen
irakischen Zivilisten das Leben gerettet und Billionen von Dollars gespart. Aber das problematische Ego von
George Bush, der seine Leere und Unsicherheit unter dem Getöse von Arroganz
verbirgt, ließ ihn den Krieg vorziehen. Was seine Geisteskräfte betrifft – darüber besteht schon vor dem Ende seiner Präsidentschaft ein
weltweiter Konsens.
WÄHREND
DER 60 Jahre seiner Existenz hat der Staat Israel sechs größere Kriege
ausgefochten und mehrere „kleinere“ (den Krieg der Zermürbung, „Trauben des
Zorns“, die beiden Intifadas u.a.)
Die
Konfrontation von 1948 war ein Krieg „ohne Alternative“, wenn man das jüdische
Eindringen nach Palästina durch die Tatsache rechtfertigt, dass es keine andere
Lösung für das Problem ihres Überlebens
gab. Aber schon die zweite Runde, der Krieg von 1956 war ein Beispiel
von unglaublicher Kurzsichtigkeit.
Die Anstifter des Krieges, die Franzosen waren in einem Zustand der
Verleugnung: sie konnten einfach nicht zugeben, dass in Algerien ein echter
Befreiungskrieg stattfand. Deshalb redeten sie sich ein, dass der ägyptische
Führer, Gamal Abd-al-Nasser
die Wurzel des Problems wäre.
David
Ben Gurion und seine Mitarbeiter (besonders Shimon
Peres) wollten den „ägyptischen Tyrannen“ (wie er damals überall in Israel genannt wurde) entfernen, weil er
das Banner der arabischen Einheit
erhoben hat, die sie wiederum als
existentielle Bedrohung für Israel ansahen. Britannien, der dritte
Partner sehnte sich nach dem vergangenen Ruhm des Empire.
All
diese Ziele wurden durch den Krieg total zunichte gemacht. Frankreich wurde aus
Algerien hinausgeworfen – zusammen mit mehr als einer Million Siedlern;
Britannien wurde ein für alle Mal aus dem Nahen Osten vertrieben; und die
„Gefahr“ der arabischen Einheit erwies sich als
Vogelscheuche. Der Preis: eine ganze arabische Generation wurde davon
überzeugt, dass Israel der Verbündete des
übelsten Kolonialregimes war, und die Chancen für Frieden wurden auf
viele Jahre hinausgeschoben.
Der
Krieg von 1967 sollte anfangs die Belagerung Israels brechen. Doch im Laufe des
Kampfes wurde aus dem Verteidigungskrieg ein Eroberungskrieg und trieb Israel
in einen vergifteten Rausch, von dem es sich noch nicht ganz erholt hat.
Seitdem sind wir in einem Teufelskreis von Besatzung, Widerstand, Siedlungen
und permanentem Krieg gefangen.
Eine
der direkten Folgen war der 1973er
Krieg, der den Mythos unserer unbesiegbaren Armee zerstörte. Doch ohne die
Absicht unserer Regierung hatte dieser Krieg ein positives Ergebnis: drei
ungewöhnliche Persönlichkeiten – Anwar Sadat, Menachim
Begin und Jimmy Carter – gelang es, den ägyptischen Stolz über die erfolgreiche
Überquerung des Suez-Kanals in ein Friedensabkommen zu verwandeln. Aber
derselbe Friede hätte schon ein Jahr vorher erreicht werden können – ohne Krieg
und ohne die Tausenden Getöteten, wenn Golda Meir nicht Sadats Vorschlag zurückgewiesen hätte.
Der
erste Libanonkrieg war vielleicht der hoffnungsloseste und dümmste von Israels Kriegen, ein Gemisch von
Arroganz, Dummheit und vollkommener Unwissenheit über den Gegner. Ariel Sharon
beabsichtigte – und das sagte er mir im voraus - a) die PLO
zu zerstören, b) die palästinensischen Flüchtlinge dahin zu bringen, aus dem Libanon nach Jordanien
zu fliehen, c) die Syrer aus dem Libanon
zu vertreiben und d) den Libanon in ein israelisches Protektorat zu verwandeln.
Die
Folgen waren: a) Arafat ging nach Tunis und als Folge der ersten Intifada
kehrte er später im Triumph nach
Palästina zurück, b) die palästinensischen Flüchtlinge blieben im Libanon,
trotz des Sabra- und Shatila-Massakers,
das dafür bestimmt gewesen war, sie in Panik fliehen zu lassen. c) die Syrer
blieben für weitere 20 Jahre im Libanon
und d) die Schiiten, die ursprünglich unterdrückt und Israel gegenüber
freundlich gesonnen gewesen waren, wurden im Libanon eine mächtige Kraft und
Israels entschlossenste Feinde.
Je
weniger man über den 2. Libanonkrieg redet, um so
besser ist es – sein wahres Wesen war von Anfang an offensichtlich. Sein Ziel
wurde nicht zunichte gemacht –
einfach, weil es gar keine klaren Ziele
gegeben hatte. Die Hisbollah ist dort, wo sie vorher war, stärker und besser
bewaffnet, und von internationalen Kräften vor israelischen Angriffen
geschützt.
Die
erste Intifada brachte Israel dahin, die
palästinensische Befreiungsorganisation PLO anzuerkennen und brachte Arafat in
sein Land zurück. Nach der zweiten Intifada gewann Hamas die palästinensischen Wahlen und übernahm die direkte Kontrolle über einen Teil des Landes.
ALBERT
EINSTEIN sah es als ein Symptom von Irrsinn an, wenn man immer wieder eine
bestimmte Handlung wiederholt und sich jedes Mal von ihr Ergebnisse erwartet,
obwohl sie bereits fehlgeschlagen sind.
Die
meisten Politiker und Generäle entsprechen
dieser Regel. Immer wieder versuchen sie, ihre Ziele mit militärischen Mitteln zu erreichen
und erhalten entgegen gesetzte
Ergebnisse. Wir Israelis besetzen einen Ehrenplatz unter den
Wahnsinnigen.
Krieg
ist die Hölle, sagte ein amerikanischer General .
Er erreicht nur sehr selten auch sein
Ziel.
(Aus
dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert)