Uri Avnery, 18.1.08
MANCHMAL
WIRD etwas über Dich gesagt, und Du bist nicht ganz sicher, ob es ein
Kompliment oder eine Beleidigung ist.
Zwei
prominente Journalisten, die ich beide sehr schätze, erwähnten meinen Namen im
Zusammenhang mit dem Premierminister. Akiva Eldar von Haaretz fragte sich im
letzten Monat mit Bezug auf Olmert: „Wie soll man einen Sohn der Kämpfenden
Familie (ein Spitzname für den Irgun, der Olmert´s Vater als einer ihrer Führer
vorstand ) behandeln, der sich anhört wie Uri Avnery?“ Und in dieser Woche
schrieb Gideon Levy in derselben Zeitung, dass Olmert „wie Uri Avnery spricht,
wenn auch 40 Jahre später.“
Ich nehme
an, dass sie sich auf den öffentlichen Vorschlag beziehen, den ich vor 40
Jahren an den damaligen Premierminister richtete, und in dem ich forderte, den
Palästinensern die Errichtung eines palästinensischen Staates im Westjordanland
und im Gazastreifen zu ermöglichen, die Gebiete, die gerade von israelischen
Truppen erobert worden waren.
Ich war
damals allein unter den 120 Mitgliedern der Knesset und das von mir geführte
wöchentliche Nachrichtenmagazin Haolam Hazeh war das einzige Blatt, das diesen
Plan veröffentlichte.
Und jetzt
sagt Olmert, dass der Staat Israel verloren ist, wenn nicht ein
palästinensischer Staat an seiner Seite im Rahmen der Zwei-Staaten-Lösung
errichtet wird.
SOLLTE ich
Genugtuung verspüren? Wenn der Premierminister Israels Positionen akzeptiert,
die du bereits vor 40 Jahren ( und auch vor 60 Jahren ) vertreten hast, was
könnte besser sein?
Schließlich
will man ja, dass ein politischer Plan, den man vorschlägt, auch realisiert
wird. Die einzige Person, die ihn in Praxis umsetzen kann, ist der
Premierminister. Wenn der Premierminister Deinen Plan enteignet, solltest du
doch wohl fröhlich durch die Gegend hüpfen und dabei trällern: „Ich hab´s doch
gesagt!“
In einem
Buch, das 1970 vom offiziellen Verlagshaus der PLO in Beirut veröffentlich
wurde, wurde die Zwei-Staaten-Lösung als „Avnery-Plan“ bezeichnet. Der Autor,
Kamil Mansur, verdammte diesen Plan in keineswegs uneindeutigen Worten. Aber nur
drei Jahre später, Ende 1973, wurde er von Yasser Arafat übernommen. Heute wird
er sowohl vom Führer der PLO, als auch vom Premierminister Israels unterstützt.
Halleluja.
Natürlich
macht Olmert diese Aussagen nicht, weil meine Freunde und ich ihn überzeugt
hätten. Ich kenne ihn jetzt seit 40 Jahren, seitdem er die ersten Schritte in
der politischen Arena unternahm, und für die meiste Zeit waren wir Feinde. Zu
Beginn war er der Gefolgsmann von Shmuel Tamir, der 1967 den Slogan
prägte:„befreite Gebiete werden nicht zurückgegeben“. Später als Bürgermeister
von Jerusalem, ließ er überall Siedlungen aus dem Boden schießen und
provozierte willkürlich blutige Zwischenfälle, wie den berüchtigten
Tunnelvorfall.
Wenn
er aber die Notwendigkeit verspürt,
einen Plan zu unterstützen, der das Gegenteil von allem darstellt, das er in
seinem ganzen Leben befürwortet hat, so deutet dies auf die Popularität der
Idee hin. Unser direkter Anteil daran mag gering sein, aber der indirekte
Anteil daran war schon beträchtlich. Wir haben die öffentliche Meinung
vorbereitet. Und in jedem Fall, haben sich die historischen Prozesse in die
Richtung bewegt, die wir vorausgesehen haben, und sie haben die Führung beider
Seiten in diese Richtung geschoben.
Dies
beweist wieder einmal, dass selbst wenn auf der Oberfläche monströse Dinge
geschehen, gleichzeitig auf einer darunter liegenden Ebene des nationalen
Bewusstseins, logische und positive Trends an Boden gewinnen können. Es handelt
sich um einen langen und schmerzhaften Prozess, aber am Ende werden sich diese
Ideen durchsetzen.
ABER DER
Zweifel nagt. Vielleicht sind Olmert´s Worte nur eine Illusion? Täuschung?
Trickserei?
Einige
Leute glauben, dass die Gespräche über die „Kernthemen“ und ein „Rahmenabkommen
vor Ablauf des Jahres 2008“ nichts sind, als die ausgeklügelte Taktik eines
gewitzten Politikers, der in der Patsche sitzt. In zwei Wochen, wird die
Winograd-Kommission ihren Abschlussbericht über den zweiten Libanonkrieg
veröffentlichen, und Olmert könnte sich dann in einer unmöglichen Situation
wiederfinden. Demonstranten auf den Straßen werden seine Abdankung verlangen.
Von Ehud Barak, dem Vorsitzenden der Arbeiterpartei, wird verlangt werden, daß
er am selben Tag sein Amt niederlegt, wie er es versprochen hat, und dadurch
wird die Regierung auseinanderbrechen.
In solchen
Situationen können Politiker nur eines von zwei Dingen tun: einen Krieg
beginnen, oder in Richtung Frieden flüchten. Da die notwendigen Bedingungen für
einen Krieg momentan nicht gegeben zu sein scheinen, ist die einzig
verbleibende Option die eines Friedensprozesses. Also wird Olmert zu einem Mann
des Friedens, spricht die Sprache des Friedens und macht sogar Schritte in
Richtung Frieden.
Skeptiker
fragen: angenommen, dies hilft Omert die Krise zu überleben und Premierminister
mit einer stabilen Koalition zu bleiben – wird er sich auch dann noch weiter in
Richtung Frieden bewegen? Wird er nicht den ersten Vorwand nutzen, um dem ein
Ende zu setzen? Ist dies nicht anhand seiner momentanen Handlungen abzulesen
- da er die Verpflichtung zum Rückzug
von den Siedlungsaußenposten ignoriert, die Bauaktivitäten in Ostjerusalem und
dem Westjordanland intensiviert, die Blockade von und das Blutvergießen im
Gazastreifen fortsetzt und das Waffenstillstandsangebot der Hamas ablehnt?
Kurz, wir
sollten der Hoffnung nicht zum Opfer fallen. Im Gegenteil, man sollte die
eigentlichen Beweggründe des Premierministers enthüllen, der nichts anderes
tut, als unseren Plan als Täuschungsmittel auszuschlachten.
ABER SELBST
wenn diese Analyse vernünftig aussieht, leidet sie nicht an Übervereinfachung?
Das
wichtigste politische Ereignis der letzten Woche war der Abgang Avigdor
Liebermans aus der Regierung. Seine offizielle Begründung war die, dass er
nicht in einer Regierung verbleiben könne, die Verhandlungen über die
„Kernthemen“ - Grenzen, Flüchtlinge,
Jerusalem und die Siedlungen – führt. Dabei könnte es sich um einen Vorwand
handeln. Lieberman vollführt verwickelt politische Schachzüge, denen kein vernünftiger
Mensch mehr folgen kann. Aber Tatsache ist Tatsache. Olmerts neue Bewunderer –
einschließlich Meretz-Chef Yossi Beilin
– behaupten jedenfalls, dass dieser Rücktritt beweise, dass Olmert es
tatsächlich ernst meint.
Lieberman
ist gegangen, aber die Shas-Partei bleibt – antworten die Skeptiker. Liebermans
Gedankengänge mögen labyrinthisch sein, die Abwägungen der Shas jedenfalls
liegen offen zutage. Shas ist jetzt in einer Situation, von der Politiker nur
träumen können. Nach dem Wegfall Liebermans, verbleiben der Koalition nur noch
67 von den 120 Sitzen in der Knesset. Wenn die elf Shas-Abgeordneten sich
ebenfalls zurückziehen, hat Olmert keine Regierung mehr.
Shas ist
eine rechts-nationalistische Partei, und benötigt daher einen Vorwand um in der
Regierung verbleiben zu können. Sie verlautbaren, dass sie die Regierung in dem
Moment verlassen, in dem Gespräche mit den Palästinensern über den Status Jerusalems geführt werden.
Bei ernsthaften Verhandlungen wird aber genau das unvermeidbar sein. Die Kernthemen
lassen sich nicht voneinander trennen – Konzessionen in der einen Sache, müssen mit Konzessionen
bei einem anderen Thema beantwortet werden. Die fortdauernde Anwesenheit von
Shas in der Regierung, lässt auf eine Geheimverpflichtung Olmerts schließen,
die Kernthemen noch nicht einmal anzurühren.
Olmerts
Assistenten beruhigen die Rechten: es gibt keinen Anlass zur Beunruhigung.
Alles in allem, strebt Olmert nur ein „Rahmenabkommen“ innerhalb eines Jahres
an. „Rahmenabkommen“[1] ist
ein neu eingeführter poltitischer Begriff, der ein Dokument beschreibt, das
alle einem eigentlichen Friedensabkommen zugrundeliegenden Prinzipien umfasst.
Seine eigentliche Umsetzung soll dann bis zu dem Punkt verschoben werden, an
dem beide Seiten die Grundvoraussetzungen geschaffen haben: die Zerstörung der
„Terrorinfrastruktur“ einerseits und auf der anderen die „Räumung der
Siedlungsaußenposten“. „Das wird niemals geschehen“, sagen Olmerts Leute den
Rechten mit einem Augenzwinkern.
Wie auch
immer – wenn wir die Möglichkeiten abwägen, sollten wir nicht vergessen, dass
den Verlautbarungen eines Premierministers eine Eigendynamik innewohnt, die
relativ unabhängig ist von den eigentlich zugrundeliegenden Motiven. Sie können
nicht mehr in den Mund zurückfließen, der sie geäußert hat. Die Worte sind
eingegraben in die kollektive Erinnerung, sie verändern das nationale
Bewusstsein. Wenn Olmert formuliert,
dass der israelische Staat „verloren“ sei, wenn nicht ein palästinensischer
Staat an seiner Seite etabliert wird, dann handelt es sich um einen bedeutsamen
Meilenstein.
OLMERTS
OBERSTE Priorität ist die der Leute im reality TV – zu überleben. Auch
dies müssen wir miteinbeziehen, wenn wir versuchen, herauszufinden, ob er es ernst
mein, wenn er unsere Sprache spricht, oder ob es sich nur um hohle Worte
handelt. Ist dies ein „neuer Olmert“, hat sich Saulus tatsächlich in Paulus
verwandelt, oder handelt es sich nur um den alten Olmert in einer neuen,
modischen Verkleidung? Ist es möglich, dass Olmert seinen Namen - zusätzlich zu
allen taktischen Erwägungen – tatsächlich durch eine große Tat in die
Geschichte einschreiben will?
In der
Zwischenzeit wird die Situation im belagerten Gazastreifen schlimmer und
schlimmer. Die Anzahl der täglich getöteten Palästinenser hat sich verdoppelt,
wie uns der Oberbefehlshaber laut prahlend mitteilt. Die palästinensischen
Organisationen wiederum haben die Anzahl
der auf Israel abgefeuerten Quassam-Raketen
verdoppelt, und diesmal übernimmt auch die Hamas offiziell die
Verantwortung. Wie üblich, behaupten
beide Seiten nur auf die Aggressionen der anderen zu reagieren.
Unter den getöteten Palästinensern war Hussam al-Zahar, der Sohn des früheren Außenministers der Hamas-Regierung. Der Shabak-Sicherheitsdienst behauptet, dass sein Vater der extremste Hamasführer sei. Wenn dem so sein sollte, ist das bemerkenswert. Vor 16 Jahren demonstrierte al-Zahar zusammen mit israelischen Friedensaktivisten gegen die Ausweisung islamischer Führungspersonen durch Yitzhak Rabin. Als die Exilierten zurückkehren konnten, organisierte er eine große Versammlung in Gaza , bei der ich eingeladen worden war, vor Hunderten von Sheiks zu sprechen – auf Hebräisch mit einem Pin auf der Brust, der die Flagge Israels und die Palästinas nebeneinander zeigte.
Wenn solch
eine Person sich in einen der extremistischsten Anführer verwandelt hat, so ist
dies unzweifelhaft eine Frucht der Besatzung. Dies beweist erneut – wenn denn
ein Beweis benötigt würde – dass die Unterdrückung, die Hamas zerstören soll,
genau das Gegenteil des Angestrebten erreicht: sie verleitet die
palästinensischen Organisationen zu immer extremistischeren Positionen. Als
diese Woche al-Zahar seinen zweiten Sohn verlor (der älteste war bereits vor
einiger Zeit getötet worden) – wurde er zum populärsten Führer in der
arabischen Welt. Die Staatsoberhäupter beeilten sich, ihn anzurufen, um ihre
Kondolenz auszusprechen.
Sind das
die Handlungen eines Premierministers, der den Frieden für sein Land erreichen
will, weil er der Überzeugung ist, das
es sonst verloren ist?
ZURÜCK ZUR
ursprünglichen Frage: sollte ich nun glücklich oder wütend sein, wenn „Olmert
sich anhört wie Uri Avnery“?
Ich
erinnere mich der Worte Ruyard Kiplings: „Falls Du es ertragen kannst die
Wahrheit, die Du gesprochen / nun verdreht zu hören von Schuften / die daraus
eine Falle für die Narren spinnen…“. Die Nachahmung ist die ehrlichste
aller Schmeicheleien, wie die Engländer sagen, aber es wird die Umsetzung
von Olmerts Worten in Taten bedürfen, wenn die vorhandene Skepsis weichen soll.
(Aus dem
Englischen von Christoph Glanz, E. Rohlfs vom Verfasser autorisiert )
Die grausame Blockade
des Gazastreifens
Vertieft
nur den Hass
Und
vermehrt das Blutvergießen.
Alle
israelischen Friedensgruppen
Werden
gemeinsam mit Friedensaktivisten aus Gaza
Am 26. Januar einen
großen Convoy
Mit
notwendigen Versorgungsgütern
In den
Gazastreifen bringen
Um so ihren Protest
auszudrücken
Und zu
verlangen:
HEBT DIE
BLOCKADE AUF!
(dt.
E. Rohlfs)
(Korrektur
:Spenden dafür aus Deutschland über Pax Christi-Bewegung:
Pax-Bank
Osnabrück BLZ 265 900 25
Konto Nr. 4000 0569
017) eine 5 statt einer 3 !!!!