Esaus
Hände
Uri Avnery, 12.1.08
WELCHER DER beiden Männer ist der Führer der größten
Weltmacht, und welcher ist der Boss eines kleinen von ihr abhängigen
Klientel-Staates?
Der Besucher von einem anderen Planeten, der der Pressekonferenz in Jerusalem beigewohnt
hätte, könnte leicht zu der Überzeugung kommen: Olmert ist der Präsident der
Großmacht und Bush ist sein Vasall.
Olmert ist größer. Er redet
endlos, während Bush geduldig zuhörte. Während Olmert Bush mit Schmeicheleien
überschüttete, die sogar einem byzantinischen Kaiser peinlich gewesen wären,
wurde sehr deutlich, dass es Olmert ist, der die Politik entscheidet, während
Bush demütig das Diktat akzeptiert. Und Bushs Schmeicheleien gegenüber
Olmert übertrafen sogar Olmerts Schmeicheleien gegenüber Bush.
Beide – so erfuhren wir
- sind „mutig“. Beide sind
„entschlossen“. Beide haben eine „Vision“. Das Wort „Vision“ – einst den
Propheten vorbehalten – starrte aus jedem zweiten Satz. (Bush hat nicht wissen
können, dass das Wort „Vision“ in Israel schon seit langem zu einer
frotzelnden Bezeichnung für geschwollene Reden gewöhnlich in Verbindung mit dem Wort „Zionismus“
geworden war.)
Der Präsident und der
Ministerpräsident haben etwas gemeinsam: nicht ein Wort von dem, das sie während der Pressekonferenz sagten, hat irgend etwas mit der Wahrheit zu tun.
EINE DER bewegendsten Dramen
der Bibel erzählt von unserm alten und blinden Vorfahren Isaak, der seinen
ältesten Sohn Esau, einen rötlichen und rauhaarigen Jäger, segnen wollte. Aber
der zweite Sohn Jakob, von zarter
Gestalt, nützte die Abwesenheit seines Bruders aus und ging zu seinem Vater, um
seinen Segen zu stehlen. Er trug Esaus Kleider und bedeckte seine Arme mit
haarigem Ziegenfell. Die List wäre fast aufgeflogen, als der Vater Jakobs Arme
betastete und er Verdacht schöpfte.
In diesem Augenblick äußerte
er den berühmten Satz: „Die Stimme ist Jakobs Stimme, aber die Hände sind Esaus
Hände.“ (Gen.27,22)
Doch Jakob, der Betrüger,
erhielt den Segen und wurde der Vater
der Nation, die nach ihm benannt wurde, da er später in Israel umbenannt wurde
(Gen.32,29). Es scheint, dass Ehud Olmert sein wahrer
Nachfolger ist: es gibt keine Verbindung zwischen seiner Stimme und seinen
Händen.
Jeder, der ihm zuhört – und
nicht nur auf der Pressekonferenz, sondern bei jeder anderen Gelegenheit – hört
Worte des Friedens und der Vernunft: Die Palästinenser müssen einen eigenen
Staat haben. Die „Vision“ muss realisiert
werden, solange Bush Präsident ist, weil Israel nie einen besseren Freund hatte und haben wird.
Die Siedlungsaußenposten müssen geräumt werden, wie von uns immer wieder
versprochen wurde. Der Siedlungsbau muss eingefroren werden. … usw. usw.
Das ist die Stimme Jakobs.
Aber die Hände - nun – es sind Esaus
Hände.
VOR ANNAPOLIS, während
Annapolis und nach Annapolis wurde nichts getan, überhaupt nichts, um eine
Zwei-Staaten-Lösung voran zu treiben. Die Verhandlungen waren im Begriff zu
beginnen – jeden Augenblick – vor einem Jahr und jetzt sollen sie wieder
beginnen – jeden Augenblick. Ja, die „Kernpunkte“ – die
Grenzen, Jerusalem, die Flüchtlinge – werden jetzt angegangen. Sicher. Jeden Augenblick, jetzt.
Aber inzwischen arbeiten die
Hände Esaus fieberhaft. Überall in den
besetzten Gebieten werden die Siedlungen vergrößert. Die bestehenden
Außenposten bleiben unberührt, von Zeit zu Zeit kommen neue hinzu. Rund um sie
läuft ein gut choreographierter Tanz ab, eine Art offizielles Ballett, das von Siedlern
und der Armee aufgeführt wird. Die
Siedler stellen einen neuen Außenposten auf, die Armee entfernt ihn, die
Siedler kehren zurück und bauen wieder auf, die Armee löst ihn auf und so
weiter.
Doch in der Zwischenzeit wird
der Außenposten immer größer. Die Regierung schließt ihn an das Strom- und
Wassernetz an und baut eine Zufahrtsstraße. Und die Armee beschützt ihn
natürlich Tag und Nacht; denn man kann
doch gute Juden nicht der Gnade böser palästinensischer Terroristen überlassen,
nicht wahr?
Bush weiß das alles und
plappert trotzdem weiter: „illegale Außenposten müssen entfernt werden“. Und so
geht es weiter: die Stimme ist Jakobs Stimme, die Hände sind Esaus Hände.
ABER MAN kann nicht alle Menschen ohne Ende zum Narren halten, um
einen anderen amerikanischer
Präsidenten, der etwas intelligenter als der jetzt Amtierende war, zu zitieren.
Und so hat, nachdem Olmert
und Bush die ganze Zeit über das Entfernen von Außenposten und das Einfrieren
des Siedlungsbaus redeten, einer der Journalisten eine unschuldige Frage
hingeworfen: Wie passt dies zur Ankündigung des Baus eines riesigen Hausprojektes in Har Homa zusammen?
Wenn jemand glaubte, dass
dies Olmert in Verlegenheit bringen würde, dann wurde er bedauerlicherweise
enttäuscht. Olmert kann durch nichts in
Verlegenheit gebracht werden. Er antwortet einfach, dass dieses Versprechen
sich nicht auf Jerusalem bezieht und auch nicht auf „jüdische
Bevölkerungszentren“ jenseits der Grünen Linie.
„Jerusalem“ besteht
- seit Levy Eshkols Zeiten– nicht nur aus der Altstadt und allen
Heiligen Stätten (aller drei Religionen). Es ist das große Gebiet des Landes,
der von Israel nach dem Sechstagekrieg annektiert wurde, von der Zufahrt
Bethlehems bis zu den Außenbezirken Ramallahs. Dieses Gebiet schließt den einst bewaldeten Hügel Jebel Abu Ghneim ein, nun die große und hässliche Siedlung Har Homa. Und
die Bevölkerungszentren sind die großen Siedlungsblöcke in den besetzten
Gebieten, die Präsident Bush Ariel
Sharon so großzügig als Geschenk
vermachte.
Das bedeutet, dass fast alle
ausgedehnten Bautätigkeiten, die jetzt jenseits der Grünen Linie weitergehen,
nicht in das israelische Vorhaben des Siedlungsstops eingeschlossen sind. Und
während Olmert dies verkündete, stand Präsident Bush dümmlich lächelnd an seiner Seite und
überschüttete ihn noch einmal mit Komplimenten.
Am folgenden Tag besuchte
Bush Mahmoud Abbas in Ramallah und erzählt den schockierten Palästinensern,
dass die unzähligen Straßensperren in der Westbank, die den Palästinensern das
Leben zur Hölle machen, für den Schutz Israels nötig seien und daher dort bleiben müssten, wo sie sind – bis nach
der Errichtung eines hoffentlich demokratischen palästinensischen Staates.
Condoleezza Rice erinnerte
ihn vertraulich schnell daran, dass dies nicht sehr weise sei, da er doch dabei sei, noch ein halbes Dutzend arabischer Länder zu
besuchen. Also beeilte sich Bush, in Jerusalem noch eine Pressekonferenz zu
halten, wo er über die „Kernprobleme“ redete: es werde einen
„zusammenhängenden“ palästinensischen Staat geben, aber die Grenzen von 1949 –
die Grüne Linie – würden nicht wieder hergestellt werden. Er sprach nicht über die Jerusalemfrage. Das
Flüchtlingsproblem werde durch einen internationalen Fonds gelöst werden – was
so viel heißt, dass es niemandem erlaubt
werde, zurückzukehren.
Alles in allem also, viel
weniger als Bill Clintons „Parameter“ von 2000 und weniger als die meisten Israelis schon zu akzeptieren bereit sind. Es lief alles auf
110% Unterstützung der offiziellen israelischen Regierungslinie hinaus.
Danach dinierte Bush mit
Israels Kabinettsministern. Er schüttelte Minister Rafael Eitan herzlich die
Hand - dem früheren Chefagenten, der den israelischen Spion Jonathan Pollard in
Washington kontrollierte, und den Bush
nicht begnadigen will. Eitan würde in dem Moment, in dem er amerikanischen
Boden betreten würde, verhaftet werden. Er sprach herzlich mit dem
Ultra-Rechten Minister Avigdor Liberman und bittet ihn dringend, Olmert zu
unterstützen. Während des Essens redete er ununterbrochen, bis ihm Condi diskret einen Zettel zureichen ließ, der ihm
bedeutete, endlich die Klappe zu halten.
Bush – in bester Laune – las den Zettel laut vor.
ICH HABE schon mehrmals das
britische Poster aus dem 2.Weltkrieg zitiert, das damals an den Mauern
Palästinas klebte: „War dieser Trip wirklich nötig?“
Das ist auch jetzt wieder die
Frage: ist dieser Trip von Bush wirklich nötig?
Die Antwort lautet:
Natürlich. Notwendig für Bush. Notwendig für Olmert. Und auch für Abbas notwendig.
Für Bush, weil er im letzten
Amtsjahr wie eine lahme Ente ist und deshalb fast gelähmt. In den USA wird er
in schnellem Tempo irrelevant. Seine propagierte Nahostreise ist vom
Getöse der Vorwahlen, die jeden Tag ein
neues Drama produzieren, fast übertönt worden.
Während Hillary mit Obama ringt und der
leichtzüngige Billy mit einer beeindruckenden schwarzen Großmutter konkurriert,
wen kümmert es, wo sich der schlechteste Präsident der amerikanischen
Geschichte gerade herumtreibt?
Olmert ist sich der Situation
sehr bewusst. Als er erklärte, dass das letzte Amtsjahr seines großmütigen
Freundes ausgenützt werden müsse, bedeutet das in Wirklichkeit: er kann jetzt
keinen Druck auf uns ausüben, ja, er kann uns nicht einmal einen „Stups“ geben,
wie er versprochen hat. Es besteht für ihn
überhaupt keine Notwendigkeit, auch nur einen einzigen Außenposten
aufzulösen. Also lasst uns den letzten Tropfen
aus seiner Präsidentschaft herauspressen, bevor er auf den Abfallhaufen
der Geschichte geworfen wird.
Olmert braucht jedoch Bushs Präsenz an seiner Seite, weil seine
Position nicht weniger heikel als Bushs
Position ist. Wenn Bush in großem Ausmaß bankrott ist, nach einem der
sinnlosesten und erfolglosesten Kriege der US-Geschichte, dann stimmt dies in
kleinerem Ausmaß auch für Olmert. Auch er ist bankrott und hat einen
sinnlosen, fehlgeschlagenen Krieg hinter sich.
In zwei Wochen wird die
Winograd-Kommission ihren Schlussbericht des Zweiten Libanonkrieges
veröffentlichen, und jeder erwartet, dass dieser wie eine 16 Tonnenladung über
Olmert hereinbrechen werde. Er könnte überleben, wenn auch nur deshalb, weil es
keinen glaubwürdigen Ersatz gibt. Aber er benötigt jede nur mögliche Hilfe –
und gibt es eine bessere Hilfe als die des „Führers der freien Welt“, der mit
feuchten Augen zu ihm aufschaut?
Es ist die alt bekannte
Geschichte vom Lahmen und dem Blinden.
DIES WAR nicht der letzte
Besuch von Präsident Busch in Israel. Er hat schon versprochen, er werde zum 60. Jahrestag der Gründung des Staates, die in diesem Jahr
nach dem hebräischen Kalender auf den 8. Mai fallen wird, noch einmal zu uns zurückkehren . Was kann ein Präsident in den letzten Monaten
seiner Amtszeit denn noch tun, als bei solcherlei Zeremonien mit Königen,
Präsidenten und Ministerpräsidenten die Hauptrolle zu spielen?
Vielleicht hatte er
beabsichtigt, sich mit dem großen Paukenschlag einer historischen Tat zu
verabschieden, die sogar seine Invasion Afghanistans und des Irak in den
Schatten stellen würde, wie z.B. ein großer Angriff auf den Iran. Aber es scheint, als ob die
US-Nachrichtendienste mit einem patriotischen Akt, der einige ihrer früheren
Sünden aufwiegt, dies durch die
Veröffentlichung ihres sensationellen Berichts über den Iran verhindert hat.
Diese Woche ist zwar etwas
geschehen, das ein Warnlicht aufleuchten
ließ. Ein paar kleine iranische Boote – so wurde berichtet - hätten sich provozierend gegenüber mächtigen
amerikanischen Kriegsschiffen in der Straße von Hormus verhalten.
Das erinnert uns an 1964
und an das, was als der „Vorfall im Golf
von Tonkin“ bekannt wurde. Präsident
Lyndon Johnson hatte gemeldet, dass vietnamesische Boote amerikanische Kriegsschiffe
angegriffen hätten. Das war eine Lüge, aber es war für den Kongress genug, den
Präsidenten zu ermächtigen, den Krieg zu erweitern, der Millionen von Menschen
das Leben kostete (und Johnsons Karriere
unter sich begrub).
Dieses Mal aber ging das rote
Licht schnell wieder aus. Der US-Kongress ist nicht mehr das, was er einmal
war; und den Amerikanern scheint es nicht nach einem weiteren Krieg zumute zu
sein; die historische Analogie war zu
offensichtlich. Bush blieb ohne die Option eines Krieges zurück. Er
steht mit leeren Händen da.
Abgesehen natürlich von
Olmerts Schmeicheleien.
(Aus dem Englischen: Ellen
Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert
Bush kommt und geht
Wir bleiben hier
Und so auch die
Palästinenser.
Nicht die Amerikaner werden
Unsere Zukunft retten.
Unsere Zukunft wird sicher
sein,
wenn es uns gelingt,
die arabische Welt zu
überzeugen,
dass wir faire Partner sind
beim Aufbau dieser Region
für alle seine Bewohner,
Völker und Länder.
(dt. Ellen Rohlfs)