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Streit auf der Titanik

 

Uri Avnery, 16.05.2009

 

Einer der glücklichsten Augenblicke meines Lebens ereignete sich in einem Restaurant.

 

Es war vor der zweiten Intifada. Ich  hatte  Rachel eingeladen, um ihren Geburtstag mit einem Abendessen in einem berühmten Restaurant in Ramallah  zu feiern.  Wir saßen im Gartenrestaurant unter  bunten Lichtern, die Luft war voll Blumenduft, und die Kellner eilten  mit vollen Tabletts hin und her. Wir aßen Mussakhan, das palästinensische Nationalgericht, (Hähnchen mit Tahini  gebacken auf  Pittabrot) und ich trank ein Glas Arrak. Unser Kellner hatte uns sprechen gehört und nahm unsern Wunsch  auf Hebräisch entgegen. Wir waren die einzigen Israelis dort. An den benachbarten Tischen saßen arabische Familien mit ihren Kindern in ihren besten Kleidern, auch eine Braut mit ihrem Bräutigam und ihren Gästen. Gelächter mischte sich mit dem Murmeln arabischer Gespräche. Es herrschte Hochstimmung.

 

Ich war glücklich, und ein Seufzer der Erleichterung entschlüpfte meinem Munde: „Wie wunderbar könnte dieses Land sein, wenn wie nur Frieden hätten!“

 

 

ICH DENKE jedes Mal an diesen Augenblick, wenn ich  traurige Nachrichten aus Ramallah höre. Die Nachrichten von dort sind deprimierend, aber  die Erinnerung hilft mir, die Hoffnung lebendig zu halten, dass die Dinge sich ändern könnten.

 

Die deprimierendsten Nachrichten betreffen die Uneinigkeit der Palästinenser selbst. Diese Spaltung ist eine Katastrophe für sie  - und ich glaube – auch für Israel und die ganze Welt.

Deshalb wage ich, eine Sache zu kommentieren, die uns Israelis  anscheinend nicht betrifft. Doch sie betrifft uns.

 

Es ist leicht, Israel die Schuld zu geben. Es ist leicht, aber auch gerechtfertigt. In ihrem Kampf gegen die nationalen Bestrebungen der Palästinenser haben die auf einander folgenden  israelischen Regierungen die alte römische Taktik des divide et impera, des „Teile und herrsche!“ angewandt.

 

Seit dem Osloabkommen ist es die zentrale Komponente dieser Politik gewesen, die physische Trennung zwischen der Westbank und dem Gazastreifen  voranzutreiben.

 

Artikel IV des Oslo-Abkommens im September 1993 lautet: „Beide Seiten sehen die Westbank und den Gazastreifen als eine einzige territoriale Einheit an, deren Integrität bewahrt werden wird.“

 

Artikel X des Anhangs1 des Interim-Abkommens vom September 1995 lautet: „Es wird  für Personen, Fahrzeuge und Waren eine sichere Verbindung  geben, die die Westbank mit dem Gazastreifen verbindet… Israel wird für eine sichere Durchfahrt für Personen und den Transport (von Waren)  während des Tages sorgen … auf jeden Fall nicht weniger als 10 Stunden pro Tag.“

 

In Praxis wurde die sichere Passage nie eröffnet. Unter allen offensichtlichen Verletzungen des Oslo-Abkommens war dies die schwerwiegendste. Ihre Konsequenzen waren für beide Seiten katastrophal.

 

Es  wurde zwar viel über eine Passage gesprochen: Ehud Barak fantasierte über den Bau einer gigantischen Brücke zwischen der Westbank und dem Gazastreifen, nachdem er  irgendwo im Ausland eine 40km lange Brücke  gesehen hatte. Andere sprachen von einem Tunnel unter israelischem Gebiet. Wieder andere schlugen eine  exterritoriale Schnellstraße oder Eisenbahnverbindung vor. Keine dieser Ideen wurde jemals in die Praxis umgesetzt. Im Gegenteil . Während es vor Oslo Bewegungsfreiheit für alle gab, einschließlich der Bewohner der besetzten Gebiete  war es – nach Oslo  -  mit dieser Freiheit  vorbei. Sie war aufgehoben.

 

 

DER VORWAND war  - wie immer – die Sicherheit: Konvois mit Mördern und Terroristen würden über diese sicheren Passagen kommen, LKWs  voll palästinensischer Raketen würden hin und zurück fahren. Aber die Konsequenzen verbargen das wirkliche Ziel: die Palästinenser sollten in zwei Teile getrennt werden.

 

Man kann kein Gebiet  beherrschen, wenn man keinen direkten Kontakt mit ihm hat. Das wurde in Pakistan bewiesen, das als Staat mit zwei  getrennten Teilen gegründet wurde – getrennt  durch indisches Territorium.  Sehr bald  brach ein Krieg zwischen ihnen aus, und der östliche Teil wurde zum unabhängigen Staat Bangladesh.

 

Nach den letzten palästinensischen Statistiken, die verlässlich scheinen, leben jetzt 2,42 Millionen Palästinenser in der Westbank und 1,4 Millionen im Gazastreifen (zusätzlich der 379 000 in Ost-Jerusalem). Von Yasser Arafat hörte ich einmal, dass mehr als die Hälfte der Ressourcen der Palästinensischen Behörde  für den Gazastreifen bestimmt seien, trotz der  Tatsache, dass der Streifen nur 6 % der palästinensischen besetzten Gebiete darstellt.

 

Nun bestehen tatsächlich zwei palästinensische Entitäten: die Westbank, deren  aktuelle Hauptstadt Ramallah ist, und der Gazastreifen mit seiner Hauptstadt Gaza-Stadt. Vom politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Gesichtspunkt wächst der Abstand zwischen beiden.

 

Und vom Gesichtspunkt der israelischen Besatzungspolitik ist dies ein großer Sieg.

 

 

DIE ISRAELISCHE Regierung führt zwei verschiedene Strategien gegen die beiden palästinensischen Entitäten durch.

 

Gegen Gaza ist die Politik einfach und brutal:  die Hamasregierung stürzen, indem das Leben der 1,4 Millionen Männer und Frauen, alten Leuten und Kindern zur Hölle gemacht wird. Ihnen war nur  der Import  der wichtigsten Grundnahrungsmittel erlaubt. Es gab einen internationalen Aufschrei, als der Senator John Kerry entdeckte, dass  der Import von Nudeln verboten war, weil „Pasta“ anscheinend ein Luxus sei. „Wir werden ihnen keine Schokolade geben, wenn Gilad Shalit keine Schokolade  erhält,“  erklärte ein Armeeoffizier in dieser Woche.  Es wäre ganz interessant zu erfahren, wie viel Schokolade die 11 000 palästinensischen Gefangenen in Israels Gefängnissen erhalten.

 

Der Krieg gegen den Gazastreifen (Operation „Geschmolzenes Blei“) war  dafür bestimmt, Tod und Zerstörung über die Zivilisten zu bringen, damit sie sich gegen  ihre gewählte Regierung wendeten und sie stürzten. Die Toten sind inzwischen beerdigt, aber die Schuttberge liegen noch da. Die israelische Regierung erlaubt nicht, dass Baumaterial hinein gebracht wird. Nun haben die Leute angefangen, Hütten aus Lehm aufzubauen, wie es ihre Vorfahren vor Jahrhunderten getan haben. (Um das Ganze noch deprimierender zu machen, dürfen auch keine Spielsachen, Bücher und Musikinstrumente hinüber gebracht werden.)

 

Die ägyptische Regierung arbeitet mit der israelischen Armee  zusammen, indem sie  die Blockade gegen die Bewohner des Gazastreifens  vollstreckt. In letzter Zeit hat sie diese Bemühungen noch verstärkt, indem sie die wichtige Versorgungslinie durch die Rafahtunnel abgewürgt hat (‚Schmuggel’  heißt das in israelischer und ägyptischer Redeweise). Die Kampagne, die  vor kurzem durch die ägyptischen Behörden gegen Hisbollah-Agenten im Sinai begann, hat  unter anderem das Ziel, diese Versorgungslinie abzuschneiden.

 

Die Bevölkerung von Gaza hat die Hamasregierung nicht gestürzt. Im Gegenteil - ihre Opposition gegenüber der Ramallah-Regierung scheint zu wachsen, und einige sagen, sie werde zu reinem Hass.

 

 

GEGEN DIE Palästinensische Behörde in der Westbank wenden  die Besatzungsbehörden   eine andere, aber nicht weniger zerstörerische Strategie an. Sie geben sich große Mühe, sie als eine Art palästinensisches Vichy-Regime darzustellen, um zu verhindern, dass die palästinensische Spaltung heilt.

 

Die israelische Regierung erklärt dies offen und laut. In dieser Woche wunderte sich der Generalstabschef Gaby Ashkenasi öffentlich darüber, wie der palästinensische Justizminister Israel vor dem Internationalen Gerichtshof  wegen in Gaza begangener Kriegsverbrechen verklagen konnte.

 

Wie kommt es, beklagte sich Ashkenasi, da es doch während des Gazakrieges  solch  enge Zusammenarbeit zwischen Israel und der Palästinensischen Behörde gegeben hat?

 

Mit anderen Worten:  der Generalstabschef der israelischen Armee erklärt  öffentlich vor dem palästinensischen Volk und der ganzen Welt, dass die Palästinensische Behörde in Ramallah mit der israelischen Regierung im Krieg gegen die palästinensischen Brüder im Gazastreifen zusammen gearbeitet hat, in dem  - nach  dem  Justizminister  in Ramallah - systematisch Kriegsverbrechen begangen wurden.  Einen noch schwereren Schaden für die Stellung Mahmoud Abbas’ kann man sich kaum vorstellen.

 

Andere israelische Offiziere sparen nicht mit Lob für die palästinensischen  Sicherheitskräfte, die – so behaupten sie – mit der israelischen Armee zusammenarbeiten, um Hamas-Sympathisanten in der Westbank zu eliminieren. Man kann sich kaum vorstellen, dass solche Statements  der Besatzungsoffiziere  Position von Mahmoud Abbas in den Augen der Palästinenser stärken, die mit eigenen Augen sehen, wie die Siedlungen auf ihrem Land  täglich wachsen.

 

In der vergangenen Woche erzählte mir ein Freund von einem Gespräch, das er  mit einem Beamten aus Ramallah hatte. Wenn Israel den Iran angreife, wird das Hamasregime im Gazastreifen stürzen, sagte er mit großer Begeisterung.

 

Für einen Außenstehenden ist dies unbegreiflich: Wenn sich  das ganze palästinensische Volk gegenüber einer Gefahr seiner bloßen Existenz sieht, wenn die israelische Regierung unermüdlich daran arbeitet, dass ein palästinensischer Staat nicht zustande kommt und eine wachsende Gefahr besteht , dass das palästinensische Volk schließlich  ganz aus Palästina vertrieben wird, da erscheint die Spaltung wie ein Streit auf der Brücke der Titanic.

 

 

ES GIBT ein altes jüdisches Sprichwort, das besagt, dass die Zerstörung des Tempels (im Jahre 70 AD) vom gegenseitigen Hass verursacht wurde. Als die Römer  Jerusalem  schon belagerten, verbrannten die verschiedenen jüdisch- zelotischen Fraktionen in der belagerten Stadt  sich gegenseitig die Lebensmittelvorräte. Unter den Palästinensern geschieht genau jetzt etwas Ähnliches.

 

Uneinigkeit ist schon immer ein Fluch gewesen. Als  die Palästinenser 1948 um ihr Überleben kämpften, waren sie nicht in der Lage, eine vereinigte Führung und militärische Kraft zu schaffen. Praktisch kämpfte jedes Dorf für sich allein, ohne seinen Nachbarn zu Hilfe zu eilen. Vielleicht hätte  sonst die Nakbah verhindert werden können und das unsägliche Leiden, das bis zum heutigen Tage andauert.

 

Die schlimmste Folge dieser Uneinigkeit vor 61 Jahren war, dass die Palästinenser unfähig waren, den Staat Palästina neben dem Staat Israel zu errichten; und das Territorium, das ihnen von der UN  zugewiesen worden war, wurde zwischen Israel, Jordanien und Ägypten aufgeteilt.

 

Yasser Arafat hatte dies verstanden.  Er bemühte sich  sehr darum, die Einheit  seines Volkes  fast um jeden Preis zu bewahren. So lange, wie er lebte, wurde  die Einheit aufrecht erhalten. Die Geheimdienste, die  seinen Mord planten, wollten offensichtlich diese Einheit sabotieren, so wie Yitzhak Rabins Mörder den Friedensprozess zerstören wollte. Die beiden Morde ergänzten sich nicht zufällig.

 

Jeder, der glaubt, dass Frieden für die beiden Völker und die ganze Welt lebensnotwendig  sei, muss leidenschaftlich hoffen, dass eine palästinensische Einheitsregierung errichtet wird.

 

Noch glaube ich, dass dies möglich ist.

 

 

ES SCHEINT, dass auch in dieser Angelegenheit Barack Obama eine führende Rolle spielen muss. Er muss der törichten und  katastrophalen Politik, die Hamas zu boykottieren, ein Ende setzen und seine ganze Macht in die Wagschale werfen, damit eine palästinensische Einheitsregierung  geschaffen werden kann. Vielleicht muss anfangs eine Art  Über-Regierung entstehen, unter der die beiden Teile  - die Westbank und der Gazastreifen  -   eine Art Autonomie  behalten werden.

 

Frieden unter den Palästinensern selbst ist eine notwendige Vorbedingung für Frieden zwischen Israel und Palästina. Nur ein israelisch-palästinensischer Friede kann auch Versöhnung zwischen den beiden Völkern bringen und vielleicht die Atmosphäre wieder herstellen, wie sie damals an dem zauberhaften Abend im Ramallah-Restaurant war – damit sie nicht nur eine  schöne Erinnerung bleibt.

 

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser  autorisiert)

 

 

 

 

 

 

 

 

Gush Shalom  : Rettet uns vor uns selber !!    

 

Das Treffen

 

Die wirklichen israelischen Patrioten

Hoffen oder beten gar

Dass Präsident Barak Obama

Den Ministerpräsidenten Netanyahu

Dahin bringt

Sich zu fügen

-          und nicht umgekehrt.

 

 

 

Inserat in Haaretz   vom 15.Mai 2009

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