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Können zwei zusammengehen?
Uri Avnery,
25.4.09
ICH SAGE
nicht, dass Mahmoud Achmadinejad ein Agent des Mossad sei.
Absolut
nicht. Ich will nicht wegen Verleumdung gerichtlich belangt werden.
Ich sage
nur, wenn er ein Agent des Mossad wäre, hätte er sich
kaum anders verhalten.
Und: wenn
es ihn nicht geben würde, dann hätte der Mossad ihn
erfinden müssen.
Auf jeden
Fall ist die Unterstützung, die er der Regierung Israels gibt, von unschätzbarem
Wert.
SCHAUEN WIR
auf den Skandal der letzten Woche.
Vor Jahren
wurde von der UN in Durban, Südafrika, eine Konferenz gegen Rassismus
abgehalten. Es war verständlich, dass solch ein Forum u.a. die israelische
Regierung für ihre Politik gegen die Palästinenser
– die Besatzung, die Siedlungen, die Mauer - denunzieren würde.
Aber die
Konferenz war damit noch nicht zufrieden. Sie wurde zu einer Plattform für eine
wilde Hetze gegen den Staat Israel – und ausschließlich gegen ihn. Kein anderer
Staat der Welt wurde wegen Verletzung
der Menschenrechte denunziert – und unter den Denunzianten waren einige der
widerlichsten Tyrannen der Welt.
Als die
Vorbereitungen für eine zweite ‚Durban-Konferenz’ – dieses Mal in Genf –
anliefen, tat die israelische Regierung alles, was in ihrer Macht stand, um
wenigstens die Länder Nordamerikas und Europas davon zu überzeugen, sie zu
boykottieren. Das war nicht so einfach. Es gelang den USA vor Beginn der Konferenz die Erwähnung
Israels im Entwurf seiner Abschlussresolution zu löschen (es blieb nur ein Verweis auf die Resolutionen der 1.
Konferenz) und am Ende entschieden sie, die Konferenz doch zu boykottieren.
Aber die meisten europäischen Länder waren damit einverstanden, an ihr
teilzunehmen.
Die
israelische Regierung erwartete die Konferenz mit großer Besorgnis. Die Gräueltaten während des Gazakrieges haben die öffentliche Meinung gegenüber Israel
in vielen Ländern zu Ablehnung werden
lassen. Die Konferenz konnte ein Ventil für diese Emotionen werden. Die intelligentesten
Köpfe in Jerusalem versuchten Wege zu finden, um dies zu verhindern.
Und dann
kam Achmadinejad. Da er das einzige Staatsoberhaupt
war, das an der Konferenz teilnahm, konnten die Organisatoren es nicht
verhindern, dass er als erster sprach. Er
hielt eine provokative Rede. Es genügte ihm nicht, Israel zu kritisieren, seine Worte drückten hemmungslosen Hass aus. Dies war ein
willkommener Vorwand für die europäischen Vertreter, aufzustehen, um in einer
eindrucksvollen Pro-Israel-Demonstration hinauszugehen. Die Konferenz wurde
lächerlich.
Wenn die
‚Weisen von Zion’ die Konferenz geplant hätten, sie hätte nicht besser enden
können, soweit es die israelische Regierung betraf .
ALL DIES
geschah am Holocausttag, wenn Juden in Israel und in aller Welt der Millionen Opfer des
Genozids gedenken.
Die
Erinnerung an den Holocaust vereinigt alle Juden in der Welt. Jeder Jude weiß,
wenn die Nazis ihn erreicht hätten, dann hätte auch er in die Todeslager gehen
müssen. Wir, die wir damals in Palästina lebten, wussten, dass wir das
Schicksal des Warschauer Ghettos geteilt hätten, wenn es dem deutschen General
Erwin Rommel gelungen wäre, die britischen Linien bei El-Alamein zu durchbrechen.
Alle Juden
empfinden, es sei ihre moralische Pflicht, das Gedächtnis an den Holocaust wach
zu halten. Diesem tiefen Empfinden wird eine politische Sichtweise hinzugefügt:
das Gedenken an den Holocaust veranlasst Juden überall, den Staat Israel zu
unterstützen, der sich selbst als ‚Staat der Shoa-Überlebenden’
definiert.
Aber mit der Zeit verblasst die Erinnerung.
Deshalb ist ein gegenwärtiger, aktueller Feind, ein ‚zweiter Hitler’ nötig, der
alle latenten Ängste, die in der jüdischen Seele lauern, neu weckt. Einst war
es Gamal Abd-al-Nasser, ‚der ägyptische Tyrann’. Dann
spielte Yasser Arafat diese Rolle. Heute ist es die Hamas, aber dies genügt
nicht. Es gibt nichts, das jemanden überzeugen würde, dass die Hamas Israel
möglicherweise auslöschen könnte.
Achmadinejad ist der ideale Ersatz. Er ist ein
konsequenter Holocaustleugner. Er erklärt, die „zionistische Entität“ müsste
von der Landkarte verschwinden. Er arbeitet an der Herstellung einer Atombombe.
Und dies ist ernst zu nehmen; denn ein paar Atombomben auf israelische
Bevölkerungszentren könnten Israel tatsächlich auslöschen.
Also haben
wir einen ‚zweiten Hitler’, der einen
‚zweiten Holocaust’ plant. Gegen ihn können sich alle Juden der Welt
vereinigen. Was würden wir ohne ihn tun?
DIE VERMUTLICHE iranische Atombombe spielt noch
eine andere Rolle. Sie dient jetzt als Instrument dafür, dass das
palästinensische Problem in Vergessenheit gerät.
Im nächsten
Monat wird sich Netanyahu selbst im Weißen Haus vorstellen. Das könnte ein schicksalhaftes Treffen werden. Präsident Barack Obama könnte eine klare
Forderung stellen: mit einem Friedensprozess zu beginnen, der zur Schaffung
eines palästinensischen Staates führt. Netanyahu wird sich verzweifelt darum
bemühen, dies zu verhindern; denn Frieden würde die Evakuierung der Siedlungen
bedeuten. Wenn er damit einverstanden wäre, würde seine Koalition sofort aus einander fallen.
Was kann
man da tun? Nun - Gott sei Dank -
gibt es die iranische Bombe. Sie stellt eine existentielle
Bedrohung für Israel dar. Es ist selbstverständlich, dass der israelische Ministerpräsident
sich auch nicht mit Bagatellen wie dem Frieden mit den Palästinensern abgeben
kann, wenn das iranische nukleare Schwert
über seinem Kopfe schwebt!
Netanyahus
Vorgänger wandten genau diesen Trick auch an. Wann auch immer jemand die Sache mit dem
israelisch-palästinensischen Konflikt vorbrachte und von unserer Regierung
verlangte, mit wirklichen Verhandlungen zu beginnen, den Siedlungsbau
einzufrieren, Außenposten aufzulösen, Gefangene
zu entlassen, die Blockade der Bevölkerung des Gazastreifen zu beenden,
die Straßensperren zu entfernen – dann erschien die iranische Bombe ex machina.
Nun gab es keine Zeit mehr, um an anderes zu denken. Die Bombe steht oben auf
unserer Agenda. Die Bombe ist unsere Agenda.
Eine Menge
Ironie steckt in all diesem. Der Iran war am wenigsten an der Misere der
Palästinenser interessiert. Auch Achmadinejad kümmert sich einen Dreck um sie. Wie alle
nahöstlichen Regierungen benützt er die palästinensische Sache, um eigene
Interessen voran zu bringen. Jetzt will er die sunnitisch-arabische Welt
durchdringen, um den Iran zu einer
regionalen Vormachtstellung zu verhelfen. Zu diesem Zwecke erhebt er das
Banner für den palästinensischen Widerstand.
Aber bisher ist es ihm nur gelungen, die sunnitisch arabischen Regime in die
Arme Israels zu treiben.
ACHMADINEJADS
begeistertste Anhänger sitzen im Verteidigungsministerium in Tel Aviv. Was würden sie ohne ihn anfangen?
Jedes Jahr
bricht aufs Neue der Kampf um das Verteidigungsbudget aus. In diesem Jahr in
Anbetracht der Weltwirtschaftskrise wird die Debatte noch viel erbitterter
sein. Das kleine Israel hat eines der größten und teuersten Militärapparate der
Welt. Im Verhältnis zum GNP (Bruttoinlandprodukt) übertrumpfen wir leicht die
USA, und erst recht Europa.
Muss man
fragen warum? Israel ist von Feinden umgeben, die uns alle zerstören wollen. Ägypten ist zwar jetzt der
loyalste Kollaborateur Israels und der Irak hat zunächst die Bühne verlassen.
Syrien hat schon lange aufgehört, eine Bedrohung zu sein; Jordanien ist
bescheiden, die palästinensische Behörde tanzt nach unserer Pfeife. Es ist
schwierig, so ein riesiges Verteidigungsbudget zu rechtfertigen, um gegen die
kleine Hisbollah und die winzige Hamas zu kämpfen.
Aber da ist
noch der Iran, Gott sei Dank. Und da gibt es die furchterregende iranische
Bombe. Hier ist ehrlich eine
existentielle Gefahr. Unsere Luftwaffe erklärt,
sie sei täglich, nein, jede Minute
bereit, loszufliegen, um all die vielen
iranischen Atomanlagen zu vernichten.
Dafür
benötigt sie Geld, eine Menge Geld. Sie braucht die modernsten, am weitesten
entwickelten Flugzeuge der Welt, von denen jedes viele, viele Millionen kostet.
Sie benötigt die entsprechende Ausrüstung, um die Ziele zu erreichen und um die
Aufgabe zu erfüllen. Das ist wichtiger als Bildung, Gesundheitsversorgung
und Sozialleistungen. Schließlich ist es
die iranische Bombe, die uns alle tötet, einschließlich der Kinder, der Kranken
und der Unterprivilegierten. (Den
Wirtschaftsbossen mag es noch gelingen, rechtzeitig wegzukommen.)
Das Budget
wird wohl genehmigt werden, aber die
Flieger werden nicht fliegen. Es ist nicht klar, ob solch ein Angriff überhaupt
machbar ist. Es ist auch nicht klar, ob dies die Produktion der Bombe bedeutend
beeinträchtigen würde. Aber klar ist, dass solch ein Angriff politisch nicht
möglich ist: er kann ohne die
ausdrückliche Genehmigung der USA nicht ausgeführt werden, und dafür gibt es
keine Chance. Der Angriff würde fast automatisch die Schließung der Hormuz-Meeresstraße
zur Folge haben, durch die alles Öl des Golfs verschifft wird. Dies wäre katastrophal,
besonders während einer Wirtschaftskrise, wenn ein enorm gestiegener Ölpreis die so
schon geschwächte Wirtschaft weiter
beeinträchtigt. Unsere kühnen Piloten werden damit zufrieden sein müssen, die Wohngebiete im Gazastreifen
zu bombardieren.
ES KÖNNTE
behauptet werden: wenn Achmadinejad sich wie ein Mossad-Agent verhält,
dann verhält sich Avigdor Lieberman wie ein
Agent des iranischen Geheimdienstes.
Das sage
ich - Gott bewahre - nicht. Ich will
wirklich nicht wegen Verleumdung gerichtlich belangt werden.
Aber Liebermans Verhalten ist tatsächlich – wie soll man sagen –
etwas seltsam.
Er sah
zwar für einen Augenblick wie ein Gewinner aus. Nachdem er Hosny Mubarak zur Hölle gewünscht hat, berichten die
israelischen Medien, dass der wichtigste ägyptische Minister sich mit ihm
getroffen, seine Hand geschüttelt und ihn
nach Ägypten eingeladen habe. Vielleicht wollte er ihm den Assuanstaudamm zeigen, den Lieberman einst zu
bombardieren wünschte. Aber am nächsten
Tag reagierte ein wütender Mubarak und leugnete die ganze Geschichte und
erklärte, dass es Lieberman nicht erlaubt sei, seinen Fuß auf ägyptischen Boden
zu setzen.
Mittlerweile
veröffentliche eine bedeutende russische Zeitung ein Interview mit Lieberman,
in dem er behauptete, dass ‚die USA alle unsere Entscheidungen akzeptieren’.
Das würde bedeuten: wir beherrschen
Amerika; Obama wird das tun, was wir ihm
sagen.
Solch eine Rede
wird Israels Popularität im Weißen Haus nicht gerade vermehren – um es milde
auszudrücken. Besonders jetzt, nachdem bekannt wurde, dass die
Israel-Lobby, die AIPAC, eine Kongressabgeordnete angefragt hat, zugunsten
von zwei amerikanischen Juden zu intervenieren, die wegen Spionage für Israel
angeklagt wurden. Dafür – so versprach die AIPAC – würde man die Kongressabgeordnete zur Vorsitzenden
eines sehr wichtigen Komitees ernennen. Wie? Sehr einfach: AIPAC wird der Mehrheitsführerin des Kongresses sagen, dass
wenn sie dem Wunsch nicht entspricht,
ein gewisser jüdischer Milliardär aufhören würde, ihren Wahlfond
zu unterstützen. Das ist keine angenehme Enthüllung.
Kurz
gesagt: der iranische Achmadinejad und der
israelische Lieberman sind wie siamesische Zwillinge. Der eine braucht den
anderen. Lieberman reitet auf der iranischen
Bedrohung, Achmadinejad reitet auf den
israelischen Bedrohungen.
‚Können
denn zwei mit einander gehen, sie seien
denn einig untereinander?’ fragt der Prophet Amos (3,3). Die Antwort lautet:
Ja, tatsächlich. Diese zwei können sehr wohl zusammengehen, ohne mit einander
in irgend etwas
überein zu stimmen.
(Aus
dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert)