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Unser
Obama
Uri
Avnery, 1.11.08
IN DREI TAGEN, so scheint es, wird
das Unglaubliche geschehen: Im wichtigsten "weißen" Staat der Welt
wird ein schwarzer Präsident gewählt werden.
143 Jahre nach dem Mord an Abraham
Lincoln, der die Sklaven befreite, und 40 Jahre nach dem Mord an Martin Luther
King, der den Traum träumte (I have a dream…“) wird eine schwarze Familie ins
Weiße Haus einziehen.
Das wird enorme Auswirkungen in die
verschiedensten Richtungen haben. Eine davon ist eine elektrisierende Botschaft
an einen weltweiten Orden, dem ich angehöre: Der Orden der Optimisten.
WODURCH unterscheiden sich die
Optimisten von den Realisten? Hier meine Definition: Der Realist sieht die
Realität, wie sie ist. Der Optimist sieht die Realität, wie sie sein könnte.
Antonio Gramsci, der kommunistische
italienische Denker, sprach vom "Optimismus des Willens und Pessimismus
des Intellekts". Damit bin ich nicht einverstanden. Es stimmt schon, wer
die Weltgeschichte kennt, wird leicht zum Pessimisten. Zu jeder pessimistischen
Lektion gehört aber auch eine optimistische Lektion (und, zu meinem Leidwesen,
auch umgekehrt).
Ein Jahr, bevor Hitler an die Macht
kam, glaubten viele nicht daran, dass so etwas überhaupt geschehen könnte. Es
geschah aber, und der menschlichen Geschichte wurde eines ihrer düstersten
Kapitel hinzugefügt. Andererseits glaubte kaum jemand ein Jahr vor dem Fall der
Mauer in Berlin, dass so etwas zu seinen Lebzeiten passieren könne. Trotzdem
passierte es.
Anfang 1947 glaubte kaum ein Mensch,
dass innerhalb eines Jahres der Staat Israel entstehen würde. Genauso glaubte
Anfang 1947 kaum jemand, dass sich eine Nakba ereignen könne. Aber sie hat sich
ereignet.
David Ben-Gurion pflegte zu sagen,
die Fachleute wüssten immer, was schon gewesen sei, nie, was kommen würde. Das
stimmt nicht unbedingt. Die Science-Fiction-Schriftsteller haben vieles
vorausgesehen. Auch bei uns hat es Schwarzseher gegeben, die prophezeit haben,
was Israel geschehen würde, wenn es weiter den Weg gehe, den es geht. Im
Prinzip aber stimmt es: Fachleute analysieren die bestehende Situation und
neigen zur Annahme, sie bestehe auch in der Zukunft. Die Zukunft aber wird von
Menschen gemacht und ist deshalb unvorhersehbar.
In einer Welt, in der ein Mensch wie
Barack Hussein Obama wie aus dem Nichts erscheinen kann und innerhalb weniger
Jahre die Spitze der Weltpolitik erreicht – ist nichts vorhersehbar, drum ist
alles möglich. Wie es bei uns in der alten
jüdischen Maxime (Mischna) geschrieben steht: „Alles ist möglich, und
die Erlaubnis ist gewährt“.
Allen Optimisten der Welt muss die
Wahl Obamas Folgendes sagen: Ja, wir können's. Alles ist möglich. Das Gute wie
das Schlechte liegt in unserer Hand. Und wenn ihr wollt, wie Herzl sagte, ist
es kein Märchen.
DAS ERINNERT mich an den Deutschen,
den Franzosen, den Engländer und den Juden, die alle beschließen, sich des
Themas „Elefanten“ anzunehmen. Der Deutsche fährt nach Afrika, kehrt nach zehn
Jahren zurück und schreibt ein Werk von fünf Bänden: "Ein Vorwort zur allgemeinen Einführung über die Ursprünge
der afrikanischen Elefanten". Der
Franzose kehrt nach einem halben Jahr zurück und bringt ein nettes kleines
Büchlein heraus: "Das Liebesleben der Elefanten". Der Engländer
braucht eine Woche, um dann die Broschüre: "Wie jagt man Elefanten?"
zu veröffentlichen. Der Jude bleibt zu Hause und beginnt einen Essay mit dem
Thema: "Der Elefant und die jüdische Frage".
In den letzten Wochen fragten sich
Juden in den USA und in Israel: Ist er gut für die Juden?
Eine der Antworten kam von den
amerikanischen Staatsbürgern in Israel, die schon gewählt haben. Nach
Presseberichten sind fast alle jüdisch, die meisten orthodox, und die Mehrheit
gab ihre Stimme John McCain. Ein Weißer, Nachfolger des guten George Bush; dem
kann man vertrauen.
Das offizielle Israel tut sich schwer
damit, seine Furcht vor Obama zu
verbergen. Ein Schwarzer. Ein Mann, dessen
Großvater Muslim war , dessen
mittlerer Name Hussein ist, eine
unbekannte Größe: Furcht erregend.
Obama seinerseits setzte alles in
Bewegung, um zu beweisen, er werde ganz genau wie seine Vorgänger die
israelische Regierung unterstützen. Er warf sich vor der AIPAC
(American-Israel-Public-Affairs-Committee) in den Staub. Er umgab sich mit den
jüdischen Beratern Bill Clintons und ließ durchblicken, sie würden in seiner
zukünftigen Regierung dieselben
Positionen erhalten. Aber wer glaubt denn schon einem Wahlversprechen?
Wahrscheinlich ist es so gut wie nichts wert – (so viel wert wie eine
Knoblochschale.)
Manche glauben allerdings solchen
Versprechungen. Ich erhielt eine e-mail aus Großbritannien: "Also sollen
anstelle der jüdischen Neo-Kons in Washington Clintons jüdische Neo-Zionisten
herrschen. Wo zum Teufel ist der Unterschied?"
Aber das offizielle Israel ist voller Angst. Im offiziellen Fernsehkanal
wurde offen Propaganda für McCain gemacht (während der Kommentator Nitzan
Horovitz auf Kanal 10 begeistert für Obama plädierte). Ein höherer
Regierungsbeamter ließ die (richtige oder falsche) Information an die
Tageszeitung "Haaretz" durchsickern, Nicola Sarkozy habe sich über die
schreckliche Unerfahrenheit Obamas geäußert – eine Aussage, die McCain Munition
für den Kampf um die Stimmen von Juden in Florida liefern sollte. Und der
israelische Botschafter in Washington, Salai Meridor vom rechten Flügel,
verstieg sich zu einer wahrhaft skandalösen Geste. Er fuhr frühmorgens in eine
entfernte Stadt, um dort (ausgerechnet!) Sara Palin zu treffen.
ALSO: IST er "gut für
Israel"? Das muss man wohl, auf jüdische Art, mit einer Gegenfrage
beantworten: "Für welches Israel?" Es gibt mehr als ein Israel, so
wie es mehr als eine USA gibt.
George Bush, unser ergebener Freund,
verriet höchstpersönlich seine "Vision" und erlaubte Ariel Sharon,
die Siedlungsblöcke umfassend zu erweitern, deren jeder einzelne eine tödliche
Tretmine auf dem Weg zum Frieden darstellt. Er hinderte Israel daran, Frieden
mit Syrien zu machen, das er zur "Achse des Bösen" zählte. Seine
Invasionen in den Irak und nach Afghanistan und seine kriegerische Einstellung
dem Iran gegenüber gaben dem anti-israelischen islamischen Fundamentalismus
neuen Schwung und führten so zu der schleichenden Beherrschung des Libanon
durch die Hisbollah und zum Erstarken
der Hamas in Palästina. Kein Wunder, dass Osama Bin Laden zu Allah für
den Sieg McCains betet. (Vielleicht McCains letzte Hoffnung.)
Wer solche Freunde hat, braucht
wirklich keine Feinde.
Bushs Vorgänger Bill Clinton, auch so
ein großer Freund Israels, half Ehud
Barak nach Camp David, die Lüge zu
verbreiten : "Ich habe nichts
unversucht gelassen; ich habe ihnen alles, was sie wollten, angeboten;
Arafat hat meine großzügigen Angebote
abgelehnt; wir haben keinen Partner für den Frieden" . Dieses Mantra fügte
dem israelischen Friedenslager schlimmen Schaden zu. Bis heute hat es sich
davon nicht erholt. Zur selben Zeit
wurden die Siedlungen in rasendem Tempo vergrößert, und zwar mit dem Wissen und
der stillschweigenden Billigung der Regierung Clinton. Kein Wunder: Alle
Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt
wurden bei Clinton von einer Gruppe jüdischer Zionisten bearbeitet; nicht der
Schatten eines Arabers wurde zugelassen.
Es gibt auch Leute, die diejenigen,
die in Jerusalem Obama fürchten,
beruhigen. Sie sagen: Auch wenn er etwas ändern will, er kann's nicht. Die
Unterstützer des [offiziellen] Israel beherrschen die demokratische Partei, die
sogar bei diesen Wahlen die Unterstützung und großzügigen Spenden der jüdischen
Wähler genießt. So werden sie den neuen Kongress genau wie den alten in der
Hand haben. Auch in Zukunft gilt: Wer nur zu 100 % die israelische Politik
unterstützt anstatt zu 110 %, hat schon politisch Selbstmord begangen.
ALL DAS ist natürlich richtig.
Trotzdem wage ich zu hoffen, dass Obama sich als Freund des anderen Israel
zeigt, des Israel, das den Frieden sucht.
Er hat den Wandel versprochen. Ich
glaube, das ist für ihn keine leere Parole, sondern von tieferer Bedeutung,
etwas für ihn Wesentliches.
Was diese Woche passieren wird, ist
nicht nur der Wechsel von einer Partei zur anderen, wobei die Unterschiede
zwischen den beiden nicht besonders groß sind. Hier kommt ein Mann, der nicht
nur fähig, sondern offenbar auch willens ist, die Dinge aus dem Alltagstrott zu
holen und von Neuem zu betrachten.
So etwas passiert manchmal in den
USA, und darin sind sie anderen Demokratien, besonders der unseren, überlegen.
Ein neuer Mann kommt ans Ruder, und wie bei der Drehung eines Kaleidoskops ändert sich das gesamte Bild.
Vom nationalen Interesse der USA her
betrachtet, ist der "erweiterte Mittlere Osten" kein zweitrangiger
Schauplatz. Er ist einer der wichtigsten, mit dem sich die neue Regierung von
Anfang an befassen muss. Auf diesem Gebiet sind auch die katastrophalen Fehlschläge
der Bush-Regierung am sichtbarsten.
Wenn Obama und seine Leute – und ich
hoffe, er wird mit neuen Leuten arbeiten und nicht mit dem abgetakelten
Clinton-Team – sich mit diesem Gebiet befassen, müssten sie zu dem offen
sichtbaren Schluss gelangen, dass der Hass den USA gegenüber, der von Marokko
bis Pakistan wächst und gedeiht, untrennbar mit dem
israelisch-palästinensischen Konflikt verbunden ist. Mit diesem Stoff werden
die Brunnen vergiftet, mit dieser Karte trumpfen der sunnitische Bin-Laden und
der schiitische Ahmadinejad auf. Zu diesem Schluss sind schon, man erinnert
sich, die Herren James Baker und Lee Hamilton in ihrem parteiübergreifenden
Bericht gelangt, den Bush in den Papierkorb geworfen hat.
Aus diesem Schluss folgt noch einer:
Es liegt in amerikanischem Interesse, in diesem Gebiet das Blatt zu wenden und
tatsächlich nach israelisch-palästinensischem, israelisch-syrischem,
israelisch- gesamtarabischem und vielleicht sogar israelisch-iranischem Frieden zu streben. Dieser Schluss hat sich schon
am Tag nach dem 11.September aufgedrängt. Damals habe ich die Meinung geäußert,
das Ereignis stehe vor der Tür und zwar als unweigerliche Konsequenz des
Geschehenen. Ich hatte mich getäuscht. Bush und die Bushisten gingen genau den
umgekehrten Weg und verschlimmerten die Situation um ein Vielfaches. Ich hoffe,
jetzt passiert es.
Mit anderen Worten: Ich hoffe von
ganzem Herzen, dass Obama weiter Israel unterstützt, aber nicht das Israel der
Raufbolde, der Betrüger und Scheinheiligen, derer, die so tun, als fänden hier
Friedensverhandlungen statt, während sie gleichzeitig die Siedlungen erweitern,
die Unterdrückung in den besetzten Gebieten verschlimmern und von der
Bombardierung des Iran schwafeln. Nicht das Israel soll der neue Präsident
unterstützen, sondern das Israel, das bereit ist, Frieden zu schließen, den
Preis des Friedens zu bezahlen, das nach einer amerikanischen Initiative
hungert, die der Friedensinitiative die entscheidende Zündung beschert.
OBAMAS BERATER könnten nun fragen:
Tja, aber wo ist die israelische Führung, die sich auf solch eine Initiative
einlässt?
Wo ist der israelische Obama?
Darauf könnten wir nur mit peinlichem
Schweigen antworten. Für solch eine Aufgabe haben wir keinen einzigen
Kandidaten aufzuweisen.
Ein Optimist hätte hier eine Antwort:
Erst neulich hattet ihr auch noch keinen Obama. Er kam, weil etwas in den
Tiefen der "nationalen Seele" der USA passiert ist. Es gärte die
Hoffnung, und der Wunsch nach jemandem wurde stärker, der in der Sprache der
Hoffnung, der Kühnheit, des Wandels sprechen würde. Er kam, und eine vorher
gleichgültige Öffentlichkeit folgte ihm mit Begeisterung. Außerdem war die
Situation ziemlich schlecht, und es war klar, dass die alte Richtung noch
schlechteren Zeiten entgegensieht.
Auch bei uns kann so etwas passieren.
Unser Obama kann plötzlich auftauchen, wenn er gebraucht wird. Wenn den Leuten
all die visionslosen, mutlosen Politiker, die sich hier um die Posten drängen,
endlich zum Hals heraushängen. Wenn der Wunsch nach Änderung der Richtung so
stark wird, dass er vom Nörgeln beim Abendbrot am Wochenende zum Ergreifen von
Maßnahmen wird. Dann könnte sich herausstellen, dass auch wir eine Jugend
haben, dass auch bei uns eine gleichgültige Öffentlichkeit in der Lage ist,
sich grundlegend zu ändern.
Obamas Sieg in den USA kann dem
Auftauchen eines Obama bei uns den nötigen Anstoß verleihen, vorzugsweise einem
genauso charmanten. Der Sieg in Amerika kann für uns, in Anlehnung an die Worte
unseres Dichters Chaim Nahman Bialik bedeuten: („Wenn es Gerechtigkeit gibt,
dann möge sie bald erscheinen“) - Wenn
in Israel ein Obama ist, so möge er sofort erscheinen!
(dt. Gudrun Weichenhan-Mer und
Anneliese Butterweck , vom Verfasser autorisiert)