Israel Palästina Nahost Konflikt Infos

Judenhass gemäß EU-Norm

Rolf Verleger

erschien in Jüdische Zeitung  März 2010

Jeremy Ben-Ami, Geschäftsführer von «J-Street» (der jüdischen US-Lobby, die für das zukünftige Bestehen von zwei Staaten Israel und Palästina eintritt) schrieb am 19.2. nach einer Israelreise: Er habe das verstörende Gefühl eines Grundsatzkonflikts, «eines Kampfes zwischen zwei Lagern mit radikal unterschiedlichen Visionen darüber, wie sich Judentum im 21.Jahrhundert ausdrückt». Da geht es nicht mit Glacéhandschuhen zu.

 

Natürlich - das ist menschlich - sieht man vor allem den Hass der anderen Seite. Mir geht es daher hier um den Hass auf Norman Finkelstein. Was wirft man ihm vor? In seinem Buch «The Holocaust Industry» habe er Organisationen wie die Jewish Claims Conference (JCC) übel kritisiert. Aber weder hat er diese Kritik erfunden noch steht er damit alleine da. In Israel wurde dazu letztes Jahr eine sehr pointierte Dokumentation zur besten Sendezeit im Fernsehen ausgestrahlt. Mit solchen Kleinigkeiten hielt sich Dr. Clemens Heni, der die Kampagne gegen Finkelstein durch seinen Brief an die Heinrich-Böll-Stiftung ins Rollen brachte, nicht auf. Vielmehr: Finkelstein schüre den Antisemitismus, denn er habe Israels Armee mit der SS verglichen, dies sei - gemäß EU-Definition - antisemitisch. Warum Finkelstein in einer bitteren Satire diesen Vergleich gewählt hat, dazu unten mehr. Aber wir leben schon in irren Zeiten, wenn der Nichtjude Heni und in der Folge nichtjüdische Arbeitskreise namens «Shalom» dem Juden Finkelstein, Sohn von Auschwitz- und Majdanek-Überlebenden, Judenhass gemäß EU-Norm vorwerfen. Ein anderer Blick von Außen mag daher hilfreich sein.

 

Herr Nordmann, Pfarrer i.R., der fünf Jahre mit Familie in Israel lebte und viele Jahre den deutsch-israelischen Jugendaustausch beförderte, schrieb an die Berliner Trinitatis-Gemeinde: «Mit der Absage des Veranstaltungsraums für ... Dr. Norman Finkelstein tun Sie ... sich selbst als einer offenen Gemeinde und... der Diskussion eines wichtigen politischen Themas in unserer Gesellschaft und vor allem dem Staat Israel und seiner zukünftigen Existenz keinen Gefallen! ...Denn in der Sache geht es um das, was Frau Merkel in guter Absicht zur Staatsraison bei uns erklärt hat: alles zu tun, um Israels Überleben zu sichern. Wer dies ...will, muss aber die kritische Auseinandersetzung um den Weg Israels in eine friedliche Zukunft mit seinen Nachbarn zulassen und fördern.»

 

Worum es letztlich geht, das sagte der Titel der abgesagten Veranstaltung sehr klar: «Ein Jahr nach dem israelischen Überfall auf Gaza: Die Verantwortung der deutschen Regierung bei der Aushungerung der palästinensischen Bevölkerung». Es geht um die Diskussion über die einseitige Parteinahme Deutschlands in einem tragischen Konflikt. Dieser Konflikt besteht darin, dass die durch den deutschen und europäischen Antisemitismus bitter notwendig gewordene jüdische Einwanderung nach Palästina den dortigen Einwohnern schweres Unrecht angetan hat und heute- auch nach Wegfall des Einwanderungsgrunds - weiter antut.

 

Finkelsteins sarkastisch gemeinter Vergleich der israelischen Armee mit der SS ist in diesem Zusammenhang zu sehen: Es ist der verzweifelte Aufschrei eines bewussten Juden, der die Ignoranz seiner Mitjuden für das, was sie anderen antun, nicht mehr ertragen will. Seit ich den Propheten Jeremias im Originaltext im Religionsunterricht gelesen habe, weiß ich, dass diese Haltung in der jüdischen Tradition steht. Herr Heni muss das nicht wissen, und die Internetplattform «honestly concerned» wollen es offensichtlich nicht wissen.

 

Aber wie soll das weitergehen? Anstatt einen Versöhnungskurs zu steuern, drehen Israel und «der Westen» Ursache und Wirkung um und benennen den Hass der Palästinenser auf Israel als Grund, sie immer weiter zu knechten. Dabei ist es ganz einfach: Die Palästinenser sind Menschen wie wir. Sie lieben uns wie wir sie lieben, und sie hassen uns wie wir sie hassen. Wenn wir daran etwas ändern wollen, dann müssen wir bei uns anfangen. Finkelstein hätte dazu etwas zu sagen gehabt.

 

Rolf Verleger ist Neuropsychologe und Publizist .Er ist Vorsitzender der «Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost».