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Die immer höher werdenden Kosten

 

Ze’ev  Sternhell, Haaretz, 10.7.08

 

Der Preis für die Existenz des jüdischen Nationalstaates als Besatzer  wird  beständig höher. In einem  vor zwei Wochen veröffentlichten Artikel nahm der  Haaretz-Herausgeber Amos Schocken den Stier bei den Hörnern: Israel ist auf dem Weg zur Apartheid.

 

Tatsächlich sind die vorübergehenden Veränderungen im Bürgergesetz von 2003, denen Versuche ( die neuen Gesetze aus der juristischen Aufsicht zu beseitigen ) von Justizminister Daniel Friedman folgten eine weitere Phase bei der verzweifelten Suche nach Wegen, um eine Mauer als Ersatz für eine internationale Grenze zwischen den Völkern zu bauen. Wenn solch eine Grenze zwischen Israel und dem Staat Palästina bestanden hätte, könnte angenommen werden, dass die Anzahl von Heiraten zwischen israelischen Bürgern und Ausländern ( aus den besetzten Gebieten) sehr begrenzt geblieben wäre und die Idee eines besonderen Gesetzes für arabische Israelis wäre gar nicht erst aufgekommen. Dies ist nur ein weiterer Aspekt des Schadens, den unsere Unfähigkeit, die Besatzung zu beenden, verursacht hat.

 

Tatsächlich hat der Zionismus wie jede andere Nationalbewegung große Schwierigkeiten, universale Werte außer dem der Selbstbestimmung, die mit den nationalen Ansprüchen übereinstimmen, anzunehmen.

Der zionistische Sozialismus war das erste Opfer von nationalem Partikularismus. So lange wie die Besatzung des Landes bis zum Sieg im Unabhängigkeitskrieg voranging, mag der Preis unvermeidbar gewesen sein. Es wurde jedoch ziemlich schnell deutlich, dass  dem Sozialismus ein tödlicher Schlag versetzt worden war. Die Gewohnheiten, Vorstellungen und Prinzipien, die während der  vorstaatlichen Gemeinschaft geschaffen worden waren, waren zu stark, um nach der Errichtung des Staates sich zu ändern. Trotzdem wurde auf anderen Gebieten besonders zu Beginn der Nach-Ben-Gurion-Ära große Fortschritte gemacht, wie u.a. durch die Aufhebung der Militärregierung 1965 (über Galiläa mit seinen arab. Orten).

 

Der 6-Tage-Krieg warf Israel eine ganze Generation zurück. Es wurde klar, dass Kolonialherrschaft zur Vermischung der Bevölkerung anregt, und dass Besatzung in bezug auf Menschenrechte destruktiv wirkt. Wir sollten uns nichts vormachen: eine Demokratie von Herren wird nicht lange währen. Wenn wir bewusst Bürger 2. Klasse schaffen, wenn wir Diskriminierung in einem Gesetz verankern, gegen das der Oberste Gerichtshof – der einzige Wächter unserer Freiheit -  nicht intervenieren kann, untergraben wir notwendigerweise die Grundlagen der Demokratie. Die universalen Menschenrechte sind das A und O einer Demokratie; in dem Augenblick, in dem diese einem Teil der Bevölkerung vorenthalten werden, wird sie auf lange Sicht hin für jeden dahinwelken.

 

Das Schlimmste von allem ist die Verankerung der Diskriminierung im Gesetz: dann wird dies zur  Norm  und die Gesellschaft  gewöhnt  sich daran. Die Leute können dann auch ruhig schlafen. Schließlich hat  die Knesset gesprochen und dies ist ein Land des Gesetzes und  der Herrschaft des Gesetzes. Jeder, der sich an den Internationalen Gerichtshof wenden wird,  würde als Verräter angesehen werden, weil schließlich alle die Juden verfolgen. Wenn der Internationale Gerichtshof in Den Haag herausfindet, dass die Gesetze des Landes nicht mit den Vorschriften der Justiz übereinstimmen, und  er bemerkt, dass einige  zu Boden getrampelte Normen nach denen rufen, die sie niedertrampeln, damit sie aus der Familie der Nationen entfernt werden – werden seine Richter als Antisemiten angesehen.

 

Es sollte noch festgestellt werden, dass barbarische Gesetze nicht nur in den schlimmsten Diktaturen des 20. Jahrhundert existieren, sondern auch in den  demokratischen USA. Vor weniger als 50 Jahren herrschte in den südlichen Staaten der USA grausame rassistische Unterdrückung . Es genügt also nicht, wenn ein Gesetz durch die Knesset geht, um für eine freie Gesellschaft von Wert  zu sein: sein Inhalt muss mit den universalen Normen übereinstimmen.

 

Kein anderes Volk der Welt als die Juden sollte dies besser wissen. Ihre Vertreibung und Zerstörung wurde möglich, weil erklärt wurde, dass die universalen Normen – dank deren Sieg in der französischen Revolution die Juden befreit wurden – die Nation gefährden. Anschließend wurden sie durch besondere Gesetze für verschiedene Bevölkerungsgruppen ersetzt. Am Ende  des Prozesses wurden die Juden nicht mehr als menschliche Wesen angesehen. Sondergesetze für Juden waren als Rassengesetze bekannt und wurden im 20. Jahrhundert in den drei größten Ländern Westeuropas eingeführt, was deutlich macht, dass jeder zu allem fähig ist.

 

Das Bürgerschaftsgesetz diskriminiert eine bestimmte Gruppe von Bürgern und ist darum illegitim. In diesem Fall wäre die praktische, vernünftige Lösung eine internationale Grenze. Selbst dann sind noch längst nicht alle Probleme gelöst. Aber ein Konflikt zwischen Ländern ist weniger schwierig als ein Konflikt zwischen Sekten oder  ethnischen Gruppen.

Überdies je mehr man sich die  hier aufkommende Realität ansieht und je tiefer die Einsicht, dass wenn die Besatzung nicht bald zu einem Ende kommt, dann wird die Besatzung dem jüdischen Staat ein Ende setzen. Wenn die (besetzten) Gebiete nicht evakuiert werden, dann werden die Siedlungen letzten Endes einen allgemeinen Rahmen für alle schaffen, die zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer leben und so einen multinationalen, multikulturellen Zwitter schaffen und den Zionismus in eine vorübergehende Episode verwandeln.

 

(dt. Ellen Rohlfs)