Das ist Zionismus?
von Rabbi Sidney
Schwarz In: The Jewish
Week, 2009-06-10
www.thejewishweek.com
Es
ist mindestens schon zwanzig Jahre her, dass ich mir in New York die Israel
Parade ansah. Aber es war ein freudiges Zusammentreffen gewesen.
Am Montag wurde ich in New York für ein
Treffen mit dem Vorstand der „Rabbiner für Menschenrechte-Nordamerika“
erwartet. Ich kam schon sehr früh mit meiner Frau und mit meiner
zwanzigjährigen Tochter in die Stadt, um die Parade genießen zu können. Meine
Tochter nahm zusammen mit einer Delegation der Universität von Maryland Hillel
daran teil. Meine Frau und ich genossen es, ein Teil der Menge zu sein, die
israelische Musik zu hören und die Studentengruppen der Synagogen und Schulen
aus der gesamten Umgebung vorbei defilieren zu sehen.
Nach der Parade, so hörten wir, stand
ein Israel-Konzert im Central Park auf dem Programm, und wir beschlossen, dort
hinzugehen. Uns erwartete ein tiefer Schock.
Es störte mich nicht, dass die Menge
vornehmlich aus Orthodoxen bestand. Ich war in einer orthodoxen Schule erzogen
worden, und die Organisation PANIM, der
ich vorstehe, unterhält sehr viele Kontakte zu orthodoxen Einrichtungen (PANIM
widmet sich der Förderung junger Juden hinsichtlich Führungsqualitäten, Dienste
und Aktivitäten).
Da feuerte ein Redner eine
Schimpfkanonade ab, in der er anführte, dass jeder amerikanische Präsident seit
Jimmy Carter durch Werben um die arabische Gunst Israel verraten habe. Applaus.
Ein anderer Redner verkündete, dass Hillary Clinton sich mehr um die nationalen
Belange der Palästinenser kümmere als um Israels Überleben. Applaus. Die
Kongresskandidatin Elzabeth Berney
tadelte Gary Ackermann, den Vorsitzenden des republikanischen Unterausschusses
für den Nahen Osten, wegen seiner Kritik an den israelischen
Siedlungsaktivitäten in den besetzten Gebieten, die er Teil einer „destruktiven Dynamik“ in der
Region nannte. Noch stärkerer Applaus.
Dann spielte eine Band zu einem
mitreißenden Am Jisrael Chai
[„Das Volk Israel lebt“] auf. Ich habe mehr als 25 Jahre als Aktivist für
das sowjetische Judentum verbracht. Dieses Lied war unser Leitmotiv für
Solidarität, für die Geschichte unseres Volkes und mit all jenen unterdrückten
Juden in der Welt, für deren Sache wir uns einsetzten. Eine Gruppe junger
Männer in ihren Zwanzigern, mit Kippa und Zizit, tanzten in wilder Aufregung gerade vor mir. Aber sie
hatten einen Vers geändert, aus „Das Volk Israel lebt“ hatten sie „alle Araber
müssen sterben“ gemacht. Im Hebräischen reimt sich der Text. Da alle
einstimmten, ist anzunehmen, dass dies nicht zum ersten Mal so gesungen wurde.
Ich wandte mich zu einem jungen Mann
gleich neben mir, auch er mit Kippa und Zizit. Ich wies mit
einer Handbewegung zu den Tanzenden und fragte ihn, „Stört dich das Lied
nicht?“ Er sah mich mit einem
argwöhnischen Blick an und antwortete, „Das ist Zionismus.“
Es gab eine Menge Sponsoren für die
Parade, darunter die „Zionistische Organisation von Amerika“, „Amerikaner für
ein sicheres Israel“ und das „Nationale Komitee des Jungen Israel“. Sponsoren
können nicht jede Aussage ihrer Redner kontrollieren, und sie können auch nicht
die spontanen Aktivitäten der Audienz kontrollieren. Aber die Botschaften von
der Rednertribüne hatten alle eine gemeinsame ideologische Ausrichtung, und der
MC [Zeremonienmeister] teilte großzügig yasher
koachs [Danksagungen] nach jeder Darbietung aus.
Die Freude zu Beginn der Veranstaltung
wandelte sich zunächst in Wut, und dann in tiefe Traurigkeit. Ich habe mein ganzes
bisheriges Leben dem Zionismus, Israel und dem jüdischen Volk gewidmet. Ich
unterhielt eine zionistische Expertenkommission [think
tank] in Philadelphia und Washington D.C. Als geschäftsführender Direktor von
JCRC Washington D.C. [Jewish Community Relations
Council] brachte ich Staatsbeamte nach Israel. Während der zweiten Intifada
begleitete ich unter der Schirmherrschaft des UJC [United Jewish
Communities] Solidaritätsgruppen nach Israel. Meine drei Kinder verbrachten ein
Jahr in Israel mit dem „Young Judaea Year Course“ Meine Organisation lehrt Tausende junger Menschen,
stolz auf ihre jüdische Identität zu sein und im öffentlichen Leben als
Advokaten für Israel zu wirken.
Aber der Zionismus, dem ich verbunden
bin, schließt die Vorstellung mit ein, dass ein jüdischer Staat die Rechte
aller seiner Bürger wahrt und den prophetischen Idealen von Frieden und
Gerechtigkeit, die in der Tora angesprochen
werden, treu bleibt. Nicht
eingeschlossen sind darin anti-arabische Stimmungen, die Israels neuer Außenminister
auch im israelischen Gesetz verankern will. Und nicht eingeschlossen ist die
politische Einstellung, Israels Regierung solle mit der Obama-Administration auf einen Kollisionskurs gehen; einer
Administration, die entschlossen zu sein scheint, dem Nahost-Konflikt, der
Araber und Juden seit mehr als einem Jahrhundert Feinde sein ließ, zu einer
gerechten Lösung zu verhelfen. Und ganz gewiss nicht eingeschlossen ist eine
Stimmungsmache, die aus einem jüdischen Solidaritätslied eine Hymne für
Vorurteil und Hass macht.
Jüdische Führer sind schnell dabei, von
ihren muslimischen Kollegen zu fordern, dass sie den Extremismus verdammen, der
den Islam in eine Religion des Terrors und des Todes entführt hat. Die gleichen
Forderungen sollten wir an die Rabbiner von Institutionen richten, deren Studenten ein chillul
hashem [Entweihung des göttlichen Namens]
vollbringen, indem sie „alle Araber müssen sterben“ singen.
Schließlich müssen Juden, die Israel
lieben und die Frieden wollen, sich selber fragen, wie sie den öffentlichen
Diskurs über die Zukunft Israels wieder in ihrem Sinne zurückgewinnen können.
Der Islam ist nicht die einzige Religion, die der Gefahr einer Entführung
ausgesetzt it.
Rabbi
Sid Schwarz ist Begründer und Vorsitzender von PANIM: Institution for Jewish Leadership
and Values („Institut für Jüdische Führungsqualität
und Werte“) und Autor von Judaism and Justice: The Jewish Passion to Repair the
World (Jewish Lights)
Übersetzung:
Edith Lutz