Zeev Sternhell, Haaretz,
17.10.08
Seit 30 Jahren sind die
Siedlungen für mich ein destruktives Phänomen, das hinter Israels Zukunft ein
großes Fragezeichen setzt. Tatsächlich ist
das Siedlungsunterfangen ein ideologisches, politisches und soziales
Phänomen, dem es gelungen ist, ein Zwittergebilde zu schaffen: den kolonialen
Zionismus.
Es gab schon mehrere
Variationen von Zionismus: den allgemeinen, den revisionistischen, den
sozialistischen – mit oder ohne Anführungsstriche .
Nun haben wir auch den kolonialen Zionismus, der sich auf ethnische und
religiöse Ungleichheit gründet, ein Zionismus, der sich selbst als exklusiver
Abgesandter der jüdischen Geschichte sieht. Das göttliche Versprechen und nicht
die natürlichen Menschenrechte von Freiheit, Unabhängigkeit und
Selbstverwaltung sind in seinen Augen der einzige Ursprung für die Rechtmäßigkeit
der Rückkehr der Juden ins Land Israel. Nach diesem Verständnis gehört das Land
nicht nur den lebenden Juden, sondern auch allen früheren und zukünftigen
Generationen; deshalb haben Mitglieder der gegenwärtigen Generation nicht das
Recht, das Land mit Mitgliedern einer anderen Nation zu teilen.
Wenn wir von „ den Siedlungen“ sprechen, meinen wir
natürlich nicht die große Mehrheit von Israelis, die aus Gründen von
Annehmlichkeiten oder notgedrungen ( billigere Wohnung ) in der Westbank leben.
Außerdem sprechen wir nicht über den einzelnen Siedler: wir reden über
das Siedlungsunternehmen in der Weise, wie man über „Sozialismus“,
„Konservatismus“ oder „Nationalismus“ redet, mit andern Worten über das, was
für die Ideologie und die Bewegung wesentlich ist und sie charakterisiert.
Selbst der ideologische
Kern, der im Wesentlichen die „Siedlungsbewegung“ ausmacht, ist nicht von einem
Schlag. Zwischen der Hilltop-Jugend und vielen ihrer Eltern besteht eine große
Kluft, nicht nur im Benehmen, sondern auch im
Grad der Beziehungen zu universalen Werten.
Insgesamt werden sie jedoch alle von denselben
Prinzipien genährt und haben dieselben Ziele. Da diese kleine Minderheit davon überzeugt ist, die absolute Wahrheit zu
besitzen, glaubt sie, sie dürfe diese der ganzen Gesellschaft aufzwingen.
Deshalb zeigen ihre Führer
und Sprecher gegenüber den schwachen Politikern und den Grundsätzen der
Demokratie selbst nur Verachtung. Sie wissen, wie man die demokratischen
Institutionen ausnützen kann, ignorieren aber die Menschenrechte und erkennen
nur die Rechte der Juden an. Seit der Entscheidung des Obersten Gerichthofes zu
Elon Moreh 1979, bei der
das Gericht festlegte, es sei illegal,
Privatland an sich zu reißen, greifen sie diese Institution der israelischen Demokratie an, den Wächter der
individuellen Rechte.
Trotz der Macht, die der
ideologische Siedler dank der Feigheit der Regierung erlangt hat, umgibt er
sich mit dem Mantel eines Märtyrers, der von der linken Elite und den Medien
angeblich kontrolliert wird. Obwohl er die besetzten Gebiete kontrolliert,
möchte er als ständiges Opfer der linken Verschwörung dargestellt werden.
Obwohl der ideologische Siedler seit fast vier Jahrzehnten eine Realität
geschaffen hat, über die der israelische Wähler nie aufgerufen worden war zu
entscheiden und auf subversive Weise die Militärbesatzung in eine
„zivile“ Kontrolle verwandelt hat, die allen westlichen Normen widerspricht,
hört er nicht zu schreien auf, er sei beraubt worden.
In Hebron ist eine
Situation geschaffen worden, die eine nationale Schande ist, eine echte Sünde
und ein Verbrechen: „hier ist Apartheid“, wie der Jurist Boaz
Okun letzte Woche in Yedioth
Achronot schrieb. Aber nicht nur in Hebron: die
Situation in den (besetzten) Gebieten allgemein und die illegalen Außenposten
im Besonderen, zusammen mit dem Raub privaten Landes, ist ein Beweis für den
Bankrott des Staates, wenn er der
Kühnheit und Entschlossenheit gegenübersteht, nicht vor ethischen oder
rechtlichen Hindernissen aufzugeben. Auf diese Weise verletzt die
Siedlungsbewegung täglich das Gesetz und schafft eine Gewaltkultur: Ofra und Beit El mögen ruhige und
angenehme Orte sein, die von Idealisten bewohnt sind, aber zusammen mit ihren
Außenposten Amona, Beit Hagedud und Ofra Nordost, Beit El Ost und Hügel 909 haben sie ein Gebiet an sich gerissen, das nach Aufnahmen aus der
Luft und Informationen des Peace Now-
Prüfungskomitees über 90% davon privates palästinensisches Land sind. (Zahlen
vom Oktober 2006).
Schließlich will ich einen
Punkt ein für alle Mal klar machen – ohne Verbindung zu dem Attentatversuch auf
mich, dessen Täter zu irgend einer Fraktion der
extremen Rechten und nicht unbedingt zur Siedlungsbewegung gehören. In drei
Artikeln schrieb ich im Mai und Juni 2001 und erklärte meine Position
hinsichtlich der Siedler ( Einer der Artikel schloss
einen Paragraphen ein, der nicht sauber formuliert war) : Das Leben von Juden
auf beiden Seiten der Grünen Linie ist gleich kostbar.
Und an anderer Stelle:
„Die Siedlungsbewegung ist eine historische Katastrophe. Aber jetzt leben
Menschen dort, deren Leben geschützt werden muss. Tatsächlich müssen wir
unterscheiden zwischen den Individuen, für die wir verantwortlich sind, so
lange sie dort sind – die Betonung liegt auf der Vorläufigkeit – und dem Siedlungsunternehmen als einem
historischen Phänomen.
Ich hatte schon in der
Vergangenheit in dieser Zeitung geschrieben, und ich wiederhole es noch einmal:
wenn die israelische Gesellschaft nicht in der Lage ist, den nötigen Mut
aufzubringen, mit den Siedlungen ein Ende zu machen, dann werden die Siedlungen
dem Staat der Juden ein Ende machen und ihn in einen binationalen
Staat verwandeln.
(dt.
Ellen Rohlfs)