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Dieser
Artikel wird in „Der Semit“ Nr.4 erscheinen,
„Der SEMIT, unabhängige jüdische Zeitschrift, Abraham Melzer,
Nr.
4 gibt es ab 8. August in allen Bahnhofskiosken“. s. Der Semit
Abgewählt
Rolf Verleger, Juli
2009
Der
Landesverband "Jüdische Gemeinschaft Schleswig-Holstein" entzog mir
am 17. Juni das Mandat als Delegierter des Landesverbands in den
Zentralrat der Juden in Deutschland.
Über
drei Jahre hatte ich meinen Landesverband im Zentralrat vertreten. Unsere
Aufnahme in den Zentralrat 2006 war der erfolgreiche Abschluss einer langen,
über zehnjährigen Auseinandersetzung gegen die Jüdischen Gemeinde in Hamburg,
und am Ende dann auch noch gegen einen konkurrierenden Landesverband.
Ende
der 60er Jahre gab es kaum noch jüdische Menschen in Schleswig-Holstein. Die
damalige Jüdische Gemeinschaft Schleswig-Holstein löste sich formell auf; die
Verantwortung für Mitglieder und Sachwerte wurde an die Jüdische Gemeinde in Hamburg
übertragen. Anfang der 90er regte sich durch die jüdische Einwanderung aus der
Ex-Sowjetunion neues Leben in Lübeck, Kiel und Flensburg. Anstatt nun
schrittweise die Verantwortung für unsere Angelegenheiten an uns zu übertragen,
wünschte ein Hamburger Vorstandsmitglied (vor einigen Jahren verstorben), auf
Dauer alles selbst zu entscheiden. Dadurch begann ein absurder, langwieriger
Kampf um Selbständigkeit, mit Initiativgruppen, Wahlkämpfen, Intrigen,
juristischen Geplänkeln und einer Korrespondenz, die Aktenordner füllte. Vollends absurd wurde dies, als die
Zentralratsspitze unter Paul Spiegel und seinem Generalsekretär Kramer ungefähr
2003 beschloss, dass in Schleswig-Holstein ein "liberaler"
Landesverband entstehen sollte: Bundeskanzler Schröder und Innenminister Schily
hatten sich persönlich dafür eingesetzt, dass im Zentralrat auch die liberalen
Juden vertreten sein sollten. Zu Ehren der hohen Politik wurde nun ein neuer
Landesverband mit Sitz in Klein-Rönnau (kein Witz!)
gefördert, mit kleinen Gemeinden in kleinen Städten. An diesen sollten sich
nach Vorgabe des Zentralrats wir, die großen Gemeinden anschließen. Diese
Unterordnung der Mehrheit unter die Minderheit vollzogen wir nicht, sondern
setzten auch gegenüber dem Zentralrat unsere Interessen durch. Spätestens seitdem
hatte ich bei meinen Aktivistenkollegen einen Stein im Brett; nach Gründung
unseres Landesverbands wurde ich Vorsitzender und nach der Aufnahme in den
Zentralrat auch Delegierter des Landesverbands im Zentralrat.
Ein
halbes Jahr, nachdem wir nun endlich Zentralratsmitglied waren, brach der
Libanonkrieg aus. Da begann ich, eine Seite von mir auszuleben, die meinen
Kollegen in Schleswig-Holstein durchaus bekannt war – ich galt schon lange als
"Moslemfreund" – aber von der keiner von uns angenommen hatte, dass
sie so sehr alles andere dominieren würde: Ich vertrat eine andere Meinung über
die Politik Israels als die Zentralratsspitze. So wandte ich mich 2006 in einem
Offenen Brief gegen den Libanonkrieg, initiierte danach die
Unterschriftenkampagne Schalom5767, schrieb das Buch "Israels Irrweg. Eine
jüdische Sicht", wurde Mitglied der "Jüdischen Stimme für gerechten
Frieden in Nahost", verurteilte die israelische Attacke 2009 gegen Gaza
und wurde Mitherausgeber des "Semit".
Das
war nicht das, was sich die Basis des Landesverbands in unseren Gemeinden von
ihrem Delegierten erwartet. Vielmehr unterstützt der große Teil der Aktiven im
Wesentlichen das Vorgehen Israels. Ich hatte also über drei Jahre lang ein
Mandat, bei dem ich deutlich und öffentlich in einer wesentlichen Frage eine
andere Meinung vertrat als die Leute, die mir das Mandat gegeben hatten. Wie
lange kann man so etwas in einer demokratisch verfassten Einrichtung
durchhalten? Drei Jahre sind eine lange Zeit dafür, und ich habe es im
Wesentlichen dem jetzigen Landesverbandsvorsitzenden zu verdanken, dass es so
lange wurde. Dass ich nun schließlich doch abgewählt wurde, ist normal.
Trug
die Zentralratsspitze zu meiner Abwahl bei? Was man sicher sagen kann: Sie gab
offenbar keine Signale an den Landesverband, mein Mandat aufrechtzuerhalten.
Man könnte sich ja denken, dass dies durchaus im Interesse des Zentralrats
wäre, nämlich für ein pluralistisches Meinungsbild im Zentralrat und einen
damit verbundenen besseren Eindruck in der Öffentlichkeit. Falls solche
Überlegungen angestellt wurden, fanden sie jedenfalls keinen sichtbaren
Ausdruck. Im Gegenteil: Die Präsidentin sagte mir mehrfach ganz offen und in
aller Freundschaft, dass ich mit meinen Aktivitäten aufhören solle. Der
Generalsekretär händigte mir mitunter Protokolle unserer Sitzungen erst nach
wochenlangem Nachfragen und auf Druck hin aus, verbunden mit der Frage, was ich
denn damit wolle, und schickte sachlich irrelevante Briefe eines Lübecker
Gemeindemitglieds, in denen ich wegen meiner öffentlichen Stellungnahmen
angegriffen wurde, an alle Direktoriumsmitglieder weiter. Einer der beiden
Vizepräsidenten äußerte sich bereits 2006 auf S.1 der "Jüdischen
Allgemeinen" abschätzig über meine Kritik am glorreichen Libanonkrieg, der
andere rückte mich wegen der guten Aufnahme meiner Positionen in der
Öffentlichkeit in die Nähe mittelalterlicher Hofjuden. Ein anderes Mitglied des
neunköpfigen Präsidiums begrüßte letztes Jahr in seiner Grußadresse auf einer
öffentlichen Preisverleihung namentlich drei der vier anwesenden
Direktoriumsmitglieder - meinen Namen ließ er aus.
Also
baute die Zentralratsspitze unserem Landesverband keine Brücke dafür, trotz des
Drucks der Basis mein Mandat aufrechtzuerhalten.
So
ist denn meine Abwahl unter demokratischen Gesichtspunkten nicht zu
beanstanden: Sie entspricht der Mehrheitsmeinung in der deutschen jüdischen
Gemeinschaft an der Basis und an der Spitze.
Aber:
Ist sie denn klug, diese Mehrheitsmeinung? Als mich die Zentralratspräsidentin
wieder einmal ermahnte, ich möge doch mit meinen öffentlichen Aktivitäten
aufhören, da sagte ich ihr, dass diese gut seien für die jüdische Gemeinschaft,
denn darin sei wenigstens noch ein letzter Abglanz spürbar der Tradition des
deutschen Judentums eines Moses Mendelssohn, eines Martin Buber und eines
Rabbiner Leo Baeck. Durch diesen Humanismus waren meine deutschjüdischen Großeltern
geprägt: Lessings "Nathan der Weise", das war der Inbegriff dieser
Tradition.
Nun
hat keiner meiner Großeltern das Jahr 1945 überlebt. Dieses schwarze Loch wird
heute durch neue Leute aufgefüllt; diese stellen sich unter Judentum etwas
anderes vor als meine Großeltern. Sie sehen vor allem den Tatbestand der
Auslöschung: Juden sind die ewigen Opfer; Opfer können per definitionem niemals
Unrecht tun, daher kann man vorbehaltlos alle Aktionen des jüdischen Staates
unterstützen. Judentum heißt plötzlich: Immer Recht haben, egal was man macht. Dies
ist die heutige Mehrheitsmeinung. Sie ist das Gegenteil der jüdischen
Tradition, wie ich sie kenne. Der Zentralratsspitze wäre etwas mehr Weitsicht
in dieser Sache zu wünschen.
Allerdings,
es geschehen noch Zeichen und Wunder. Während Generalsekretär Kramer im
"Neuen Deutschland" vom 30.6.09 unwahre Behauptungen über mich
aufstellte (ich hätte meine Meinungen "zum Teil auch im Namen des
Zentralrates" kundgetan, ich hätte behauptet, meine Meinung würde im
Zentralrat unterdrückt, und ich würde mit meiner Kritik die Grenzen des
Legitimen überschreiten) erhielt kurz davor, am 18.Juni, der katholische
Theologe Prof. Hans Küng den Abraham-Geiger-Preis. Das ist deswegen
bemerkenswert, weil Küng dort Folgendes über uns Juden sagte (zitiert nach
"Jüdische Allgemeine" 26/09): "Für ihr religiös entleertes
Judentum haben sie vielfach eine moderne Ersatzreligion gefunden: den Staat
Israel und die Berufung auf den Holocaust ... Das kann auch säkularisierten
Juden eine jüdische Identität verschaffen, scheint aber nicht selten auch die
brutalen Maßnahmen der israelischen Armee gegen die Palästinenser in den
besetzten Gebieten zu rechtfertigen". In aller Kürze ist dies der Inhalt
meines Buches "Israels Irrweg". Und noch bemerkenswerter ist: Der
Vizepräsident des Zentralrats Dr. Dieter Graumann lobte Küng in seinem Grußwort
als "authentisch, glaubwürdig und überzeugend".
Wer
braucht also noch einen Verleger im Direktorium, wenn dort ein durch Küng
überzeugter Vizepräsident Graumann sitzt!