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In den Kopf geschossen

 

Gabrielle Giffords, Tom Hurndall und palästinensische Kinder

 

Alison Weir. Counterpunch, 14.1.11    

 

    http://www.counterpunch.org/weir01142011.html 

 

Es ist schon etwas besonders Erschreckendes, wenn jemand in den Kopf geschossen wird. Vielleicht ist es das grausige Bild, die Zerstörung des Gehirns, und die klare Absicht zu töten, die dahintersteckt.

Das kürzliche Schießen auf Arizonas Kongressfrau Gabriele Giffords ist noch alptraumhafter, wenn man bedenkt, was für eine verheerende Verletzung sie hat.

 

Diejenigen von uns , die sich mit Israel-Palästina befassen, sind sich  dieses Horrors  sehr bewusst.

Vor einigen Jahren untersuchte ich die Todesursache palästinensischer Kinder, die von israelischen Soldaten während der ersten Monate der 2. Intifada getötet worden waren. Beim Zählen lief mir ein kalter Schauer über den Rücken: ich entdeckte nämlich, dass die häufigste Todesursache in jenen Monaten ein „Schuss in den Kopf“ war.

In den letzten zehn Jahren töteten die israelischen Militärs mindestens 255 palästinensische Kinder durch einen Schuss in den Kopf. Die Zahl mag tatsächlich höher sein, da bei vielen Fällen die spezielle körperliche Stelle des tödlichen Trauma nicht angegeben war. Außerdem schließt diese Statistik  die vielen palästinensischen Kinder und Jugendlichen nicht mit ein, die von israelischen Soldaten in den Kopf geschossen worden waren, die aber irgendwie überlebt haben.

Hier unten ist eine kleine Liste von denjenigen, die starben. (IDF steht für isr. Verteidigungskräfte, obwohl diese Kräfte in Wirklichkeit die Besatzungsarmee sind und gewöhnlich angreifen; die unten genannten  Vorfälle spielten sich auf palästinensischem Gebiet ab.

 

Sami,12, starb an Kopfverletzungen, die er bei einer Demo durch IDF-Schüsse erhielt; Abdul, 9,  wurde von der IDF während eines Begräbnisses mit Schüssen in den Kopf getötet.

Ala, 14, starb an Kopfverletzungen, die er auf der Terrasse seines Hauses erhielt, nachdem er einen isr. Soldaten mit einem Stein verletzt hatte; Omar,11, starb an einer Kopfverletzung durch die IDF während einer Demo. Diya, 3 Monate alt, wurde zusammen mit ihrem älteren Bruder durch Siedler getötet, die in ihren Kopf und Rücken schossen; Bara, 10, wurde in der Nähe seines  Hauses mit Schüssen der IDF getötet; Ayman,15, wurde  mit Schüssen in den Kopf von einem IDF-Panzer aus getötet, während er auf einem Feld arbeitete; Khalil, 11, wurde vom IDF durch einen Schuss in den Kopf getötet, als er mit einem Freund spielte; Rami,13, wurde von einem Hubschrauber aus in den Kopf geschossen, während er vor dem Haus spielte; Yaser,11, starb an Kopfverletzungen, die er bei einer Demo erhielt, als eine gummi-ummantelte Kugel aus der Nähe  auf ihn abgeschossen wurde. (1)*

 

Man stelle sich vor, es wären Kinder mit dem Namen Bobby…Michael….Susan, , Melissa, Jimma und die ausländischen Truppen, die sie getötet haben, hätten Arizona, Connecticut, Ohio überfallen…

 

Ich erinnere mich an einen kleinen hirntoten Jungen, als ich im Februar 2001 in Gaza war – lange bevor Raketen aus dieser Enklave abgefeuert wurden. Das ist etwas, was man nicht vergisst, egal welchen Namen oder  welche Nationalität das Kind hatte.

 

Ein Artikel aus der UK Telegraph von 2009 unter dem Titel „Kugeln ins Gehirn, Schrapnell in den Rücken: die schrecklichen Verletzungen, an denen Kinder im Gazastreifen leiden“  untersuchte eine Situation, in der Ärzte in einem Krankenhaus nahe Gaza-Stadt fast sprachlos über die Zahl der palästinensischen Kinder waren, die eine Behandlung wegen Schusswunden in ihrem Kopf benötigten  (2).

Der Artikel begann: „An nur einem Tag  wurden die medizinischen Mitarbeiter des El-Arish-Krankenhauses  gerufen, um raffinierte CAT-Gehirnuntersuchungen vorzunehmen: bei einem 9-Jährigen, zwei 10-Jährigen und einem 14-Jährigen. Bei jedem dieser Kinder steckte eine Kugel im Gehirn. Die Kinder waren in einen israelische Bodenangriff in Gaza unter Feuer gekommen.

 

Als man einen Arzt um Näheres bei den Schießereien fragte, antwortete er:

„Ich kann nicht genau sagen, ob diese Kinder gezielt angeschossen wurden, aber in einigen Fällen kamen die Kugeln von vorne in den Kopf und drangen bis in den Rücken. Deshalb denke ich, dass die Waffe direkt auf das Kind gezielt wurde.“

 

Israelische Soldaten der Gruppe „Breaking the Silence“ haben erschreckende Zeugnisse über die israelische Militärpraxis abgegeben. Allein die Überschriften sagen schon einen Menge aus:

„Der Bataillonskommandeur befahl uns, auf jeden zu schießen, der sich zu bewegen versuchte“, „Der Kommandeur der Marine steckte den Gewehrlauf in den Mund des Mannes,“  „Sie sagten uns, auf alles zu schießen, was sich auf der Straße bewegte“, „Ihr könnt machen, was ihr wollt, ihr werdet nicht zur Rechenschaft gezogen“. (3)

 

Wer  von der IDF auch in den Kopf geschossen wurde, war der 21-jährige Tom Hurndall. Der Jahrestag seines Todes ist in dieser Woche. Hurndall, ein Student und Photograph, wollte  seinem Leben einen anderen Sinn geben. 2002 ging er nach Gaza, um sich dort der gewaltlosen Bewegung gegen die israelische Aggression anzuschließen und zu photographieren, was er dort sah. (4)

Am 11.April war er  in der Nähe einer spielenden Kindergruppe. Diese kam plötzlich unter Beschuss. Die meisten Kinder liefen schnell weg. Aber drei zwischen 4 und 7 konnten sich aus Angst nicht rühren. Hurndall rannte, so schnell er konnte, und brachte einen kleinen Jungen in Sicherheit und kehrte zu den beiden kleinen Mädchen zurück. Als er gerade eines davon hochhob, schoss ihm ein israelischer Scharfschütze in den Kopf.

 

Obwohl seine Verletzung  sofortige Behandlung benötigte, verzögerten israelische Offiziere seinen Transport zu einer fachärztlichen Behandlung um mehr als  zwei und eine halbe Stunde. Eine britische TV-Mannschaft filmte vor Ort einen ausdrucksvollen Bericht, der in Englands TV-Kanal 4  (5) gezeigt wurde, aber - meinem Wissen nach - nie im amerikanischen Fernsehen gezeigt wurde. Tom  blieb neun Monate in einem vegetativen Zustand und starb schließlich am 13. Januar 2004.

Von Ende 2002 bis  Frühjahr 2003 töteten die IDF vier Internationale und schossen einer anderen ins Gesicht. Einer der Toten war der UN-Mitarbeiter Jain Hook. Wie bei Hurndall verzögerten die IDF die Bemühungen,  ihm schnelle medizinische Hilfe zukommen zu lassen. (6) Ein anderer war der Filmemacher James Miller, der eine weiße Fahne schwenkte. Er wurde in den Hals geschossen. (7)

Zwei nicht palästinensische Opfer, die vor kurzem in den Kopf geschossen wurden – diesmal mit Hochgeschwindigkeitsgeschossen aus Gaskanistern – sind der 37jährige Tristan Anderson (8) und die 21jährige Emily Henochowicz (9). Beide haben überlebt; Emily mit einem Auge; Tristan in einem Rollstuhl. Ein Teil seiner rechten Stirnlappen musste entfernt werden. Er ist nun teilweise gelähmt, auf einem Auge blind, und es ist unklar, bis zu welchem Grad sein Wahrnehmungsvermögen zurückkehrt. Nachdem er aus nächster Nähe angeschossen wurde, verzögerten die IDF seinen Transport in einem Ambulanzwagen zum Krankenhaus.

 

Wie viele von den  45 000 von den IDF getöteten oder verletzten  palästinensischen Männern, Frauen und Kindern  (seit dem 29.9.2000) (10)  durch Kopfschüsse getötet wurden, ist schwierig zu sagen. Wahrscheinlich ist die Anzahl atemberaubend. Der frühere Professor  Mazim Qumsiye  von der Yale-Universität ( jetzt Bethlehem)  beschreibt einen Fall:

Mohammed war 12 Jahre alt, als ihn israelische Soldaten mit einer gummi-ummantelten Kugel in den Kopf schossen, seinen Schädel zerstörten und auch einen Teil seines Gehirns beschädigten. Zehn Jahre später schlugen ihn israelische Armeeoffiziere und folterten ihn.  Er heiratete .. das junge Paar erhielt von einem Onkel ein kleines Stückchen Land ; sie bauten darauf ein bescheidenes Häuschen mit einem Raum. Sie lebten darin drei Jahre. Dann zerstörte die israelische Armee diese Hütte, weil sie illegal gebaut worden sei. ( Israel gab seit der Besatzung von 1967 in diesem Dorf keine einzige Baugenehmigung.) Die Familie baute das Haus wieder auf, aber israelische Drohungen zwangen sie, nicht darin zu wohnen (Außerdem wünschte die IDF 20 000 NIS als Unkosten für die Zerstörung der Hütte und noch andere Steuern von der Familie. Die junge Familie lebt nun in einer Höhle im Untergrund.(11)

 

Am 23. Dezember 2010 wird eine andere Geschichte  vom  International Middle East Center erwähnt:  „Nachdem der 22-jährige Salamah Abu Hashish ins Krankenhaus gebracht wurde, starb er an seinen Wunden. Er war von isr. Soldaten, die an der Gazagrenze stationiert waren,  in den Rücken geschossen worden.  Ein anderes der Opfer war ein 14-jähriger Junge, der  in den Kopf geschossen wurde, während er Schutt sammelte nicht weit von dort, wo Hashish seine Schafe  weidete. (12)

 

Noch viele  solche Geschichten könnten erzählt werden.

 

Ironischer Weise ist die vor kurzem so tragisch in den Kopf geschossene amerikanische Kongressfrau  Gabrielle Giffords sehr mit der israelischen Lobby verbunden, die eine wichtige Rolle bei den oben erwähnten Fällen spielt. Das Amerikanisch Israelische Public Affairs Comittee (AIPAC) arbeitet seit Jahren dafür, dass die 7-8 Millionen $ pro Tag an amerikanischen Steuergeldern (13) nach Israel fließen – egal wie viele Zivilisten von seinen Soldaten getötet werden. (14)

Gifford ist dafür bekannt, dass sie eine sichere pro-Israel-Stimme im Kongress war. (15) Man konnte mit ihr rechnen, dass sie AIPACs verschiedene Initiativen unterstützt, die Israel vor negativen Konsequenzen für seine rücksichtslose und illegale Anwendung von amerikanischen Waffen schützen . (16)

 ….

Sie nannte 2001 einen Besuch in Israel einen Wendepunkt in ihrem Leben (Israelische Soldaten töteten in jenem Jahr 103 Kinder, 31 mit  Kopfschuss); und schrieb 2006  (einem Jahr in dem  isr. Soldaten 665 Palästinenser töteten, davon waren 139 Kinder; und in dem Palästinenser  23 Israelis töteten, 2 davon Kinder), dass die USA alles tun müsse, um Israels Sicherheit auf Dauer zu schützen. (17)  Die palästinensischen Opfer – die zuerst und in viel größerer Anzahl getötet wurden, schienen für sie unsichtbar zu sein. (18)

 

Giffords war nicht das einzige Opfer bei der Tucson-Schießerei: 14 wurden verletzt und sechs wurden getötet. Es ist sehr traurig, darüber zu lesen und sich die große Traurigkeit der Überlebenden vorzustellen. (19) Es ist besonders schwierig, das süße, lächelnde Kind auf dem Foto anzusehen, das Foto  der neunjährigen Christina Taylor Green, wenn man weiß, dass sie kein Leben mehr vor sich hat.

 

Es ist genau so tragisch, über die neunjährige Akabar zu lesen, die von israelischem Feuer in den Kopf getroffen wurde, als  sie im Wagen ihres Onkels saß … und die 29 anderen Neunjährigen, die von israelischen Soldaten in den letzten zehn Jahren, acht von ihnen durch israelische Schüsse in den Kopf getroffen wurden.

 

Es ist zu spät für Akabar, Diyar, Mohammed, Tom und die Menge der anderen. Aber es gibt Hoffnung, dass Gabriele Giffords überleben wird. Lasst uns dafür beten, dass sie wieder ganz gesund wird, dass sie zum Congress zurückkehren kann und dass sie  dann dafür arbeitet, dass  nicht andere – einschließlich Palästinensern – in den Kopf geschossen werden.

 

Wir haben eine bessere Verwendung für unser Geld, als dass  Gräueltaten damit finanziert werden.

 

* Fußnoten Nr. 1-19 s. Counterpunch-Intenstseite ( auf Englisch)

 

Alison Weir ist Präsidentin des Council for National Interest und  Executiv Direktor von „Wenn Amerikaner wüssten“; dies hat Poster und Karten zum Verteilen  hergestellt, um  an den 7. Jahrestag von Tom Hurndalls Tod zu erinnern und an den palästinensischer Kinder.

Sie kann erreicht werden über : alisonweir@ifamericansknew.org