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Interview mit
Nora Barrow-Friedman und Ravia Abu Rabia
Electronic Intifada, 25.5.10
Al-Masadia, Al-Garin, Khirbet al Watan, Bib al-Haman, Khashem Zana, Sawin,
al-Shahabi, Wadi al Naam und al Mashah sind alles palästinensische Dörfer, die
vor der Zerstörung durch Bulldozer und Zementmischer stehen, da das israelische
Transportministerium plant, die
trans-israelische Schnellstraße nach Süden in die Negevwüste zu verlängern. Dies
bedeutet, dass mehr als 3500 palästinensische Beduinen vertrieben werden
könnten, wenn nicht eine gerichtliche Verfügung -
durch israelische NGOs für
zivile Rechte eingereicht – beim Obersten Gericht Erfolg hat.
Sprecher von Bimkom ( Planner for Planning Rights), der Association for Civil
Rights in Israel und des „Regionalen Rats für nicht anerkannte Dörfer“ im Negev
– einige der Gruppen, die die
gerichtliche Verfügung eingereicht haben, sagen, die israelische Regierung hat
den Bau der Schnellstraße
genehmigt, ohne Rücksicht auf die einheimische Bevölkerung im Negev.
Die israelische Tageszeitung Haaretz berichtet, dass die
Schnellstraßenverlängerung Teil eines israelischen Planes ist, den Negev zu
entwickeln, was auch am Ende den Bau massiver israelischer Militäreinrichtungen
für Übungszwecke einschließt.
Mehr als 80 000 lokaler Beduinen leben in der Negev-Wüstenregion in Dutzenden
von sog. nicht „anerkannter Dörfer“
- Gemeinden, die der Staat anzuerkennen sich weigert, obwohl die meisten von
ihnen schon vor der Staatsgründung Israels bestanden.
Israelische Politiker behaupten sogar, dass diese Gebiete „leer“ sind, um
für dort Unterstützung zum Bau von jüdischen Siedlungen zu bekommen und
die einheimische Bevölkerung zu vertreiben – in Fortsetzung der ethnischen
Säuberung, die vor 62 Jahre begann.
Regelmäßig überfallen israelische Bulldozer und Polizeimannschaften
palästinensische Beduinendörfer, zerstören ihre
„Häuser“ und lassen ihre
Gemeinden in Trümmern zurück.
Während solche israelischen
Rechtsverletzungen in der besetzten Westbank, einschließlich Ostjerusalem,
Proteste hervorrufen, ist es
weniger bekannt, dass solche Praktiken auch
in Israel selbst
stattfinden.
Rawia Abu Rabia, eine soziale Aktivistin und
Menschenrechtsanwältin bei der Association for Civil Rights in Israel vertritt
ihre Gemeinschaft und spricht für
ihre Menschen- und
Bürgerrechte, da der Staat weiter Bürger
im ganzen Land diskriminiert und vertreibt.
Nora
Barrow-Friedman ( NBF) interviewte
am 13. März Abu Rabia (AR) für eine Radiosendung.
NBF: Rawia, können Sie über die augenblickliche Krise sprechen, in der die
einheimische Bevölkerung innerhalb Israels lebt? Erklären Sie, was diese sog.
nicht anerkannten Dörfer sind und erzählen Sie uns über den Stand des
institutionellen Rassismus, die
Diskriminierung und die jetzigen Hauszerstörungen .
AR: Als erstes spreche ich über die indigene Beduinengemeinschaft, die ein Teil
des palästinensischen Volkes ist. Sie sind Bürger Israels, obwohl sie nicht
wie gleiche Bürger behandelt werden. Die Hälfte der
Beduinengemeinschaften existierten schon vor der israelischen Staatsgründung
und zwar seit Jahrhunderten als landwirtschaftliche Arbeiter. Sie wurden
seit 1948 intern vom Staat Israel vertrieben und in bestimmte Gegenden
transferiert. Es wurde ihnen bis 1966 verboten, von einem Ort zum anderen zu
ziehen. Dies war ein Teil der Militärherrschaft, der die palästinensischen
Bürger auch unterworfen wurden.
Dann entschied der Staat, die Beduinen zu organisieren und errichtete sieben
Townships, die zu den ärmsten Städten Israels gehören und zwang die Beduinen in
dieses Gebiet, das für seinen
unfruchtbaren Boden bekannt war. Der Grund war, so
viele Beduinen wie möglich auf so wenig Land wie möglich zu haben. Das
Land ihrer Vorfahren wurde an neue
jüdische Orte oder städtische Gebiete gegeben. Ihnen selbst wurde es verboten,
in ihre historischen Dörfer zurückzukehren.
Dann begann der Staat andere Gesetze zu machen, um noch mehr Beduinenland zu
übernehmen. Als 1965 Israels Baugesetz, das
den Gesamtplan für Israels Städte und Dörfer entwarf,
ausgeführt wurde, berücksichtigte es die Beduinendörfer nicht. Die
Beduinen wurden vertrieben und illegal gemacht. Deshalb haben wir heute etwa 80
000 palästinensische Bürger
Israels, die in etwa 35 Dörfern leben, die Israel sich weigert, anzuerkennen.
Sie erscheinen auf keinen offiziellen Karten. Ihnen werden die grundlegenden
Dienste verweigert wie fließend Wasser, Strom, Müllabfuhr. Den Menschen wird
verboten, permanente Häuser zu bauen, und die es trotzdem wagen, bekommen hohe
Strafen und ihre Häuser werden zerstört.
2009 wurden 254 Häuser in diesen Dörfern zerstört. Der Staat Israel und
staatliche Beamte ignorieren ihre Existenz. Sie sind nach dem Gesetz unsichtbare
Bürger. Die andere Hälfte der Beduinen lebt in den sieben Townships, die zu den
ärmsten und unterentwickeltsten Städten in Israel gehören. Die Rate der
Schulabbrecher in diesen Dörfern liegt bei 60%, die Rate der Arbeitslosen ist
extrem hoch und das Bildungslevel ist sehr niedrig … die Beduinen haben
nicht die selben Rechte wie die israelischen Bürger.
Das Traurigste ist der institutionalisierte Rassismus und die Diskriminierung
durch das Gesetz. Besonders die Gesetze, die das Land betreffen – sie sind dafür
bestimmt, die Beduinen zu kriminalisieren und illegal zu machen.
NBF: Was sagen die Gesetze tatsächlich; was ist in diesen Gesetzen geschrieben?
AR: Zunächst einmal sind die Gesetze, die sich auf das Land beziehen,
diskriminierend. Z.B. Seit der Errichtung des Staates Israel 1948 bis heute
wurden Hunderte jüdischer Städte und landwirtschaftliche Siedlungen errichtet,
während kein palästinensisches Dorf und keine Stadt errichtet wurde, wenn man
von den sieben Townships, die ich schon erwähnte, absieht. Ein anderes Beispiel
ist, dass dieses Gebiet, in dem die Beduinen konzentriert sind, grundsätzlich
der einzige Ort ist, wo Beduinen leben können. Wenn ein Beduine woanders leben
will, ist er mit vielen diskriminierenden Mechanismen konfrontiert …
Ich erwähnte dieses Baugesetz von 1965, den Gesamtplan, der keine Beduinendörfer
mit einschließt. Nach diesem Gesetz sind Beduinendörfer illegal. Wenn man heute
in palästinensischen Dörfern in Israel ein Haus bauen
oder das Dorf erweitern will, bekommt man von den Planungsbehörden keine
Genehmigung dafür. Man nimmt ihnen damit das Recht auf ein Haus/ eine Wohnung,
und der Staat stellt auch keine Alternative zur Verfügung.
Selbst wenn die Häuser/Unterkünfte in den nicht anerkannten Dörfern zerstört
werden, gibt es keine Entschädigung
oder keine alternative Unterkunft vom Staat, obwohl nach internationalem Recht
solch eine Alternative gegeben werden müsste.
Es gibt andere Gesetze wie das Staatsbürgergesetz, (das diskriminierend ist).
Wenn man palästinensisch israelischer Bürger ist und eine Palästinenserin von
den besetzten Gebieten oder einem anderen arabischen Land heiraten möchte,
erhält der Ehepartner nicht die israelische Staatsbürgerschaft. Ihm werden
Rechte vorenthalten. Denn wenn ein jüdischer Israeli eine Ausländerin
von irgendeinem anderen Land heiraten will, kann er die
Staatsbürgerschaft beantragen. Da ist auch das Rückkehrgesetz; es besagt, dass
jeder, der eine jüdische Mutter
hat, nach Israel kommen kann und die israelische Staatsbürgerschaft erhält,
während Palästinenser, die 1948 vertrieben wurde – also Flüchtlinge sind -
nicht zurückkehren können. Sie erhalten keine Rechte und ihr Besitz und
Land werden als Besitz „Abwesender“ erklärt, sogar dann, wenn diese Leute, denen
das Land gehört, nicht abwesend sind – und sie noch leben.
NBF: Im April 2010 wurde das Beduinendorf Twail Abu Jarwal im Negev zum 40. Mal
in den letzten paar Jahren
demoliert. Sagen Sie uns etwas über diese Art Aktionen der israelischen
Regierung, und was geschieht mit
den Leuten während dieser Hauszerstörungen.
AR: Wir reden hier über Hauszerstörungen – aber diese „Häuser“ sind sehr
ärmliche Hütten und Zelte, die zerstört wurden. Und es sind junge
Gemeinschaften. Über 70% der Beduinengemeinschaften sind unter 18 Jahre. Die
Bulldozer kommen zu diesen
ärmlichen Orten, zu diesen Hütten und Zelten und zerstören sie. Der Grund dafür
ist, die Beduinen unter Druck zu setzen, dass sie ihr Land verlassen, damit der
Staat die Kontrolle ihres Landes übernehme kann.
Da gibt es noch andere Mechanismen, um das Land zu übernehmen, wie
z.B. der Jüdische Nationalfond, der kürzlich auf dem Land des
al-Araqid-Stammes Bäume pflanzte. Es gibt noch andere Arten und Mechanismen, um
mehr und mehr Land zu nehmen und die Leute so unter Druck zu setzen, dass sie
ihr Land verlassen. Die Beduinen wissen darum, und auf der bitteren Erfahrung
des palästinensischen Volkes gegründet, wissen sie, dass es nur einen Weg gibt,
ihr Land zu behalten, physisch auf ihrem Land zu bleiben – also Sumud
(Standhaftigkeit) auszuüben. Israels Taktiken sind sehr aggressiv: die Leute von
ihrem Land stoßen, ohne das internationale Gesetz zu berücksichtigen oder die
Erklärung der Rechte der indigenen Völker etc. Dies bringt die Leute tatsächlich
dahin, feindselig zu werden und das Vertrauen in die israelischen Behörden - in
die juristischen und die anderen - zu verlieren.
Die Menschen werden bitter, wenn sie diese Diskriminierung direkt vor
sich sehen; wenn sie die Bulldozer kommen sehen und wie sie ihre Hütten
zerstören ohne eine Entschädigung oder eine Alternative, nichts.
NBF: Gehen wir durch eines dieser Beduinendörfer und reden wir über die
Bedingungen, unter denen Beduinen jetzt leben angesichts von Hauszerstörungen.
Und welche Art Dienstleistungen
erhalten sie als Bewohner dieser Gemeinden nicht.
AR: Den meisten nicht anerkannten Beduinendörfern
fehlt es an Gesundheits- und anderen Dienstleistungen. Wenn sie Zugang zu
Dienstleistungen in der ihnen nächsten jüdischen Stadt oder anderswo wollen,
müssen sie zunächst kilometerweit
bis zur nächsten Hauptstraße gehen. Dann müssen sie nach einem Verkehrsmittel
suchen, da es keine öffentliche
Busverbindung für sie gibt. ..die wenigen Kliniken, die es in einigen Dörfern
gibt, sind das Ergebnis von Petitionen an den Obersten Gerichtshof.
Keines der Dörfer ist mit dem Stromnetz verbunden. Wenn also während des Winters Bulldozer kommen und Häuser zerstören – in der Wüste sind die Nächte sehr kalt – kann man sich vorstellen, wie schwierig es für die Menschen ist, ohne Heizmöglichkeit dies durchzustehen ….
(Fortsetzung folgt)
(dt. Ellen Rohlfs)