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Kinder missbrauchen ist ein fester Bestandteil der israelischen Ideologie, sagt der Menschenrechtsvertreidiger.
Adri
Nieuwhof, Electronic Intifada
7.9.12
http://electronicintifada.net
http://imemc.org/article/64205?print_page=true
Rifat Kassis (RK),
ist Direktor von
Defense for Children
International-Palestina-Sektion (DCI). 2010 interviewte ich Kassis über
die Arbeit seiner Organisation und die spezielle Situation der
palästinensischen Kinder, die unter Besatzung aufwachsen.
Ich interviewte ihn diese Woche
noch einmal über die Bekenntnisse israelischer Soldaten über die Misshandlung
palästinensischer Kinder, wie dies in einem neuen Buch
der israelischen Organisation ehemaliger Soldaten „Breaking the Silence“
(Das Schweigen brechen) steht. Die beunruhigenden Verletzungen
der Kinderrechte durch die Soldaten fanden zwischen 2005 und 2011 statt.
Adri Nieuwhof (AN). Haben Sie den Bericht Breaking the Silence (BtS)gelesen, also die Zeugnisse über die Misshandlung von palästinensischen Kindern durch israelische Soldaten? Was war Ihr erster
Eindruck, als sie ihn lasen?
RK: als eine Organisation, die
vor Ort arbeitet und als einer, der israelische Verletzungen der
palästinensischen Kinderrechte beobachtet und dokumentiert, waren die
Enthüllungen des Berichtes von
Breaking the Silence nichts Neues.
Aber mein erster Eindruck war –
da ich während meiner Arbeit mit
DCI-Palestine oft darüber nachdenke – dass diese Praktiken nicht nur die
palästinensischen Kinder betreffen.
Vielmehr wirken sie sich nicht
nur auf die israelischen Soldaten selbst aus, sondern auch auf die israelische
Gesellschaft im Ganzen; am Ende des Tages kehren diese Soldaten nach Hause
zurück und befassen sich mit ihren eigenen Kindern oder Kleinkindern als
veränderte Männer und Frauen.
Sie werden unweigerlich von ihrer
Rolle in der Besatzung beeinflusst und
sie mögen die Folgen auf ganz verschiedene Weisen an den Tag legen: sie
werden z.B. mit ihren Kindern gewalttätiger umgehen oder
verhalten sich auf unterschiedliche und gegensätzliche Art und Weise, das
sich auf ihr gesamtes psychologisches Wohlbefinden auswirkt.
AN: stimmen die von Breaking the
Silence beschriebenen Praktiken überein mit den Daten und Beobachtungen von
DCI-Palestine?
RK:
Ja. Bei DCI-Palestine dokumentieren
und berichten wir gewöhnlich
die Berichte der Kinder selbst, als Augenzeugen oder Opfer. Die Zeugenaussagen
von BtS bestätigen die Geschichten, die die Kinder uns erzählen.
Fast alle Kinder informieren DCI,
dass die israelischen Soldaten sie zu erschrecken und einzuschüchtern versuchen,
um sie daran zu hindern, dass sie an irgend einer Aktion gegen Israel teilnehmen
oder schüchtern sie während der Haft oder auf dem Transport ein, um sie für das
Verhörstadium vorzubereiten.
Andere informierten uns, dass
Soldaten sie aus Langeweile mit Füßen getreten oder anders misshandelt haben,
weil sie „etwas Spaß haben“ wollten. Ich denke auch an den Bericht eines jungen
Kerls: beim Transport in ein Militärlager wurde dieser Junge von den Soldaten,
die ihn empfingen mit dem Kopf gestoßen und mit Fäusten geschlagen, dann
gefesselt, die Augen verbunden und
in den Hof gestellt, wo andere
Soldaten kamen, um ihn zu stoßen und anzuspucken. Er wurde auch während seines
Verhörs mit einem Gewehr eingeschüchtert. „Können wir ihn erschießen?“ fragte
eine Soldat einen anderen. „Ja, erschieße ihn,“ erwiderte der andere. „Er ist
ein Tier.“ „Tu es nicht!“ sagte ein dritter, „wir werden ihn in Ofer (einem
Militärgefängnis) hinrichten.“ Nach unserer Dokumentation sind fast alle von der
israelischen Armee verhafteten Kinder mindesten einer Form von Misshandlung
ausgesetzt worden.
Außerdem dokumentierte
DCI-Palestine und andere Organisationen zwischen 2004 und 2011
die Fälle von 17
palästinensischen Kindern, die als menschliche Schutzschilde für das israelische
Militär missbraucht worden sind.
Für mich vervollständigt der
Bericht von BtS die Berichte, die wir durchführen, indem wir die Geschichten der
Täter hinzufügen, die wir gewöhnlich nicht erhalten. Diese Berichte schenken den
Narrativen der Opfer noch mehr
Glaubwürdigkeit.
AN : Der Bericht gründet sich auf
die Zeugenaussagen von 30 Soldaten.
Wie schätzen Sie die Information ein, die sie geben? Denken Sie, die Praxis ist
allgemein??
RK: Ich denke, diese Praktiken
sind nicht nur willkürliche Handlungen von einigen wenigen Soldaten, die sich
nicht an die Regeln halten. Sie sind ein fester Bestandteil der Ideologie des
Staates und der israelischen Armee. Dieses Argument wird
von der Tatsache unterstützt, dass die israelischen Behörden selten mit
rechtlichen Untersuchungen diesen Behauptungen nachgehen. Und wenn Fälle ans
Licht kommen, reagiert der Staat
milde bis ausweichend, ja, nachlässig.
Zum Beispiel: als zwei
israelische Soldaten überführt wurden, einen Neunjährigen während der Offensive
auf den Gazastreifen als menschliches Schutzschild
zu missbrauchen – sie zwangen ihn mit gezogener Waffe nach Sprengkörpern
zu suchen – hat das israelische Militär nur ihren Rang demontiert und
suspendierte sie drei Monate für „unpassendes Verhalten“. Der Missbrauch
palästinensischer Kinder ist nicht nur üblich, sondern wird systematisch
ausgeführt und institutionell geschützt. Sie geschehen auf keinen Fall
beiläufig.
AN: Wie schätzen Sie die
Auswirkung der missbrauchten Kinder auf ihre Familien? Was sehen Sie bei Ihrer
täglichen Beschäftigung, die Rechte der Kinder zu schützen?
RK: Die Auswirkungen des
Missbrauches von Kindern variieren von Kind zu Kind und hängen auch vom Alter
des Kindes ab, was ihm tatsächlich geschah und von der Hilfe, die es von der
Familie erfährt. Allgemein gesagt: fast alle Kinder, die
diese Art von Trauma durchmachen, sind tief betroffen.
In derselben Weise sind auch die
Familien betroffen. Die Abwesenheit
des Kindes, das ständige Darandenken, dass es im Gefängnis sitzt
und dort Misshandlungen unterworfen ist, belastet die Familien sehr, und
es ist für sie schwer, damit fertig zu werden .
Um diese
belastenden Probleme
zusammenzufassen, will ich eine Mutter von drei Kindern zitieren, die früher
oder jetzt in Haft waren bzw. sind – und die in einem Bericht von StC-Schweden
und CVJM zitiert wurde: „Es ist wie eine Seuche; sie kommen und nehmen unsere
Kinder weg, um sie psychisch zu brechen. Und das wirkt sich auf die ganze
Gesellschaft, ein ganzes Volk aus – ich denke, keiner von uns, dem die Kinder
weggenommen werden, erholt sich von dem Trauma.“
AN: Gibt es etwas, das Sie den
Soldaten, die Zeugnis ablegten, sagen wollen?
RK:
Es ist sehr wichtig, über diese Misshandlungspraktiken zu reden
und die Wahrheit über die Besatzung aufzudecken. Was natürlich noch
wichtiger ist, ist dass die Soldaten als erstes damit aufhören, Kinder zu
misshandeln.
Diese Information
zu bekommen, ist für das Wohlbefinden der Soldaten selbst sehr wichtig,
einschließlich derer, die Zeugen von zerstörerischen Praktiken sind und nicht in
der Lage sind, diesem Tun ein Ende zu setzen. Diese Berichte könnten ein sehr
bedeutender Teil unserer zukünftigen „Wahrheit und Versöhnungs“-Ära sein, wo die
Täter solche Information als ersten Schritt zur Wiederherstellung und
Rehabilitation auf dem langen Weg zur Gerechtigkeit enthüllen.
Die israelische Gesellschaft und
die internationale Gemeinschaft sollten sich bewusst sein, was die israelischen
Soldaten in den besetzten Gebieten tun und wie die Besatzung das
palästinensische Leben zerstört – aber es ist auch wichtig, sich daran zu
erinnern, wie Uri Avnery einmal sagte, wie dies die Israelis selbst korrumpiert.
Wenn es zu einer Besatzung kommt, kommt keiner unverletzt davon.
AN: Was muss getan werden, um die
Misshandlungen zu beenden?
RK: Es müsste Verantwortlichkeit
geben. Die internationale Gemeinschaft muss dahin wirken, dass Israels
Straflosigkeit aufhört. Israel muss seine Verpflichtungen gegenüber dem
Völkerrecht wahrnehmen. Beide
Seiten – die Opfer und Täter müssen über diese Misshandlungen sprechen und sie
öffentlich machen – sodass die Öffentlichkeit sich dann wirklich und wirksam
engagieren kann und Israel unter Druck setzt, dass es sich an das Völkerrecht
hält.
BDS-Aktionen gehören zu den
direktesten und bedeutendsten Maßnahmen, die die internationale Gemeinschaft
übernehmen kann, um diese unterdrückerischen Praktiken zu stoppen und einen
gerechten Frieden in unsere Region zu bringen.
(dt. Ellen Rohlfs)