Amira Hass, Haaretz 22.7.09
Etwas in den von "Breaking the Silence" letzte Woche veröffentlichten Zeugenaussagen
von Soldaten macht der israelischen Armee Angst. Sonst würden all die Sprecher
– offizielle und inoffizielle – sich nicht an solch einer Gewalttour von
Kampagne beteiligen, um sie zum Schweigen zu bringen.
Unsere Medien sind unabhängig. Es war
nicht die Delegitimations-Kampagne, die sie bewogen
hat, diese Zeugenaussagen gering zu schätzen. Im Gegensatz zum zweiten
Libanonkrieg wird die Operation "Gegossenes Blei" aus Sicht
öffentlichen Interesses schon unter "Archäologisches" abgeheftet, da die Anzahl israelischer Toter gering war.
Auch ohne die Bemühungen des Armeesprechers hatten die israelischen Medien
nicht vor, all zu viel Energie auf diese Zeugenaussagen zu verschwenden.
"Breaking
the Silence" gelang es, nicht von der Armee ausgewählte
Soldaten zu erreichen, und mit ihnen zu sprechen, trotz des strikten Verbots
der Kommandeure, Details der Operation außerhalb des Militärs zu erwähnen.
Trotzdem kann die Armee stolz sein auf ihre Fähigkeit, Disziplin zu wahren.
Keiner der Interviewten wandte sich aus eigener Initiative an die Organisation.
Von den Tausenden von Soldaten, an die sich die Mitarbeiter der Organisation
"Breaking the
Silence" und ihre Helfer wandten,
waren nur einige Dutzend bereit, zu sprechen. Die Interviewten sind
übrigens der Meinung, dass der Angriff gerechtfertigt war, ihr Gewissen ist
allerdings von einigen Phänomenen dabei belastet. Alle waren an der
Bodenoffensive beteiligt; keiner zählt zu den Piloten der israelischen Armee,
oder denen, die durch einen Knopfdruck Bombardierungen durch unbemannte
Flugkörper auslösten. Der Großteil der todbringenden Zerstörung in dieser
Operation kam allerdings aus der Luft.
"Breaking
the Silence"
veröffentlicht grundsätzlich Vorkommnisse, die von zwei oder mehr Soldaten einer
Einheit bezeugt werden. Sie verfügen über andere Berichte von weit
schwerwiegenderen Vorkommnissen, die aber nicht bestätigt wurden. Deshalb
finden sich in der diese Woche veröffentlichten Broschüre nur einige
Zeugenaussagen über Tötungen von Zivilisten, die zweifellos hätten verhindert werden können.
Die Verleumdungskampagne wurde
losgetreten, um gezielt Mitglieder von "Breaking
the Silence" zum Schweigen zu bringen, ihr Ziel ist aber ein ganz anderes: Diese
Verleumdungen zeigen die Preisliste der Armee, was solch ein Verhalten kosten
kann, ähnlich den Bränden, die Außenpostenbewohner in palästinensischen Feldern
zünden. Die Siedler warnen die Behörden vor einem Versuch, sie zu evakuieren, –
die Armee warnt diejenigen Soldaten, die das Schweigegebot noch nicht gebrochen
haben, sie sollen nicht wagen, so etwas zu tun. Das geschieht, um die
Mitglieder von "Breaking the Silence" daran zu hindern, ihre moralische
Pflicht zu erfüllen, weiter mit Soldaten
zu sprechen, und so zur
Vervollständigung des Bildes der Offensive beizutragen, eines Bildes, das
Israel um jeden Preis zu vertuschen versucht.
In einer Gesellschaft wie der unseren
kommt die Wahrheit am Ende doch ans
Licht. Zeit ist aber ein kritischer Faktor. Eine Zeugenaussage, die in fünf
Jahren veröffentlicht wird, wirkt anders als eine, die heute veröffentlicht
wird, wenn palästinensische und ausländische Menschenrechtsorganisationen im
Ausland Anklagen gegen hochrangige Vertreter von Regierung und Armee
vorbereiten, wegen Verletzung internationalen Rechts und gravierender Vorwürfe.
Die aktuelle Broschüre dokumentiert
die verhältnismäßig "leichten" Fälle. Die von Amnesty
International, Human Rights
Watch, den internationalen Untersuchungskommissionen, der Presse aus dem
Ausland und von Haaretz aufgenommenen und veröffentlichten
Zeugenaussagen beinhalten Berichte über sehr viel schwerwiegendere Fälle.
Die Zeugenaussagen in der Broschüre
beweisen wieder und wieder die Glaubwürdigkeit palästinensischer Berichte. Und
umgekehrt: Die Zeugenberichte der Palästinenser beweisen die Authentizität der
Berichte der Soldaten. Die Zeugenaussagen insgesamt beweisen, dass es sich hier nicht um einzelne faule
Äpfel handelt, sondern um bewusst gezielte Politik. Darum müssen die Armee wie
die Regierung, die diese Politik gezielt verfolgen, verhindern, dass solche
Wahrheit weiterhin bestätigt wird.
Es passt der Armee ausgezeichnet,
dass entlassene Soldaten nach Peru und Kolumbien reisen, um quälende Erinnerungen oder verspätete
Einsichten – als Erwachsene – zu begraben. Die Armee zieht es vor, dass ihre
demobilisierten Soldaten nach Goa reisen, um sich
dort um den Verstand zu kiffen, bevor die Mitarbeiter von "Breaking the
Silence" sie erreichen.
(dt.Weichenhan-Mer)