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Die Jüdische Gemeinde zu Berlin
hat kein Monopol auf das Auschwitzerbe aller Juden
Jüdische
Stimme für gerechten Frieden in Nahost e. V.
Die Jüdische Gemeinde
lädt zu einer Podiumsdiskussion „Zum Umgang deutscher Medien mit
Erinnerungskultur, Israelkritik und Antisemitismus“ ein, auf der der Beauftragte
der Gemeinde für die Bekämpfung des Antisemitismus mit Vertretern und
Vertreterinnen Berliner und überregionaler Medien erörtern will, wo „die ‚rote
Linie' zum Antisemitismus“ verläuft und wie „der mediale Umgang mit dem Gedenken
künftig gestaltet werden soll“.
Anlass ist ein Kommentar mit dem Titel „Auf Zehenspitzen
gehen“ (Druckausgabe) bzw. „Pilgerfahrt nach Auschwitz“ (Internetausgabe), der
Anfang März in der taz erschien. In diesem wendet sich die Israelin Iris Hefets
- Mitglied unseres Vorstands -gegen die in Deutschland übliche Zensur jeglicher
Kritik an der Politik Israels gegenüber Palästinensern im eigenen Land und in
den besetzten Gebiete. Zentraler Gegenstand des Artikels ist dabei die
Instrumentalisierung des Gedenkens an den Holocaust nicht zuletzt in Israel. Nun
ist es keineswegs das Vorrecht von Israelis und Juden, die Politik Israels zu
kritisieren und ebenso wenig den Umgang mit einer solchen Kritik in Deutschland
zu kommentieren. Es kann aber unterstellt werden, dass Iris Hefets und mit ihr
unsere Organisation den Kommentar in der taz in der Absicht zur Veröffentlichung
brachte, dem uns selbst und unseren Nachgeborenen überlieferten Vermächtnis des
Völkermords an unseren Vorfahren nach bestem Wissen und Gewissen gerecht zu
werden.
In der Jüdischen Stimme haben sich Überlebende der
Konzentrationslager, Nachfahren von Ermordeten, deutsche Juden und in
Deutschland lebende Juden zusammengefunden, um in Verantwortung vor ihrer
Geschichte gegen das Unrecht aufzustehen, das die israelischen Regierungen am
palästinensischen Volk begehen. Folglich heißt es auch in ihrem
Selbstverständnis und Gründungsdokument aus dem Jahre 2003: „Wir,
Frauen und Männer jüdischer Herkunft in Deutschland, haben uns vereinigt, um
sichtbar zu machen, dass wir aus den historischen Erfahrungen unserer Vorfahren
um die Entwürdigung und den Schmerz wissen, die Menschen zugefügt werden, wenn
sie systematisch ausgegrenzt und entrechtet werden. Es darf sich kein Volk über
ein anderes Volk und kein Mensch über einen anderen Menschen erheben. Alle
Menschen sind gleich an Rechten geboren.“
Und weiter:
“In Deutschland
gilt es jedoch klar zu sagen: Positionen, hinter denen sich antisemitische
Einstellungen verbergen, sind mit dem Anliegen der Jüdischen Stimme unvereinbar.
In inneren politischen Gesprächen ebenso wie im Zusammengehen mit anderen
Organisationen und Gruppen wird stets zu berücksichtigen sein, dass einzelne
Mitglieder und Freunde der Jüdischen Stimme selbst Diskriminierung erlebt haben
oder erleben.“
Nun weiß man bei
der Jüdischen Gemeinde zu Berlin sehr genau, dass die jüdische Authentizität
unserer Organisation unanfechtbar ist. Je nach Wetterlage beliebt es dem
Botschafter des Staates Israel oder Vertretern des Zentralrats der Juden in
Deutschland, sich der Vielfalt der jüdischen Stimmen zu brüsten und sie gar als
Beweis für eine besonders aufgeklärte Demokratiekompetenz von Juden in Israel
und in Deutschland zu feiern.
In jüngster Zeit,
da die Politik Israels international und insbesondere in breiten Teilen der
europäischen und nordamerikanischen Zivilgesellschaften als völkerrechtswidrig
und inhuman kritisiert wird (in Israel pflegt man in Regierungskreisen von einer
internationalen De-Legitimisierung der eigenen Raison zu sprechen), weht ein
anderer Wind.
Mit dem Ziel der
Schadensbegrenzung ist man jetzt in Israel und offenbar auch in den Jüdischen
Gemeinden hierzulande entschlossen, kritische Stimmen mit allen Mitteln zum
Schweigen zu bringen. Dabei spielt die Herkunft der Kritiker, das zeigen das
förmliche Redeverbot für den Israeli Ilan Pappé oder den US-Ameikaner Norman
Finkelstein sowie nicht zuletzt der aktuelle Umgang mit Iris Hefets, keine
Rolle. Auch die Tatsache, dass in den europäischen Nachbarstaaten, in den USA
und ja, in Israel selbst das Recht der Zivilgesellschafen an umfassender und
pluralistischer Aufklärung hochgehalten wird, ist nicht von Belang. Fast scheint
es so, als käme in Deutschland allein den jüdischen Gemeinden die Hoheit
zu, darüber zu befinden, welche Meinung zu Israels Politik geäußert werden dürfe
und welche nicht. Kirchen, öffentliche Einrichtungen und Medien werden des
Antisemitismus beschuldigt und geraten unter massiven Druck, wenn sie sich
anschicken, die im Grundgesetz verbriefte Meinungs-, Versammlungs- und
Pressefreiheit im Lande wahrzunehmen und Stimmen zu Wort kommen zu lassen, die
die Besatzungspolitik Israels kritisieren, den Goldstone-Report über den
Gazakrieg würdigen oder die Umsetzung des Gutachtens des Internationalen
Gerichtshofs zum Verlauf der von Israel quer durch Palästina errichteten
Trennmauer anmahnen. De facto nehmen die Jüdischen Gemeinden eine Zensurhoheit
wahr, die in der Verfassung nicht vorgesehen und weder der bundesdeutschen
Mehrheitsgesellschaft noch der jüdischen Minderheit dienlich ist.
Vor diesem
Hintergrund ist nach dem Ansinnen zu fragen, das die Jüdische Gemeinde zu Berlin
mit der nunmehr anberaumten Podiumsveranstaltung verfolgt.
Die Tatsache,
dass Iris Hefets als Autorin des Kommentars nicht eingeladen wurde, sich auf dem
Podium öffentlich zu erklären, spricht für sich. Im Einladungstext fehlt zudem
jeder Hinweis darauf, dass sie Israelin und Mitglied unserer Organisation ist.
Beides ist öffentlich bekannt. Der Diskurs mit unserer Organisation ist nicht
offenkundig gewollt. Es soll nicht sichtbar werden, dass die Jüdische Gemeinde
zu Berlin nicht im Namen aller hier lebenden Juden und der Staat Israel nicht im
Interesse der „jüdischen Welt“ handelt.
Stattdessen zieht
es die Jüdische Gemeinde vor, mit befreundeten Vertretern der deutschen Presse
(Die Welt, Der Tagesspiegel, Perlentaucher) die taz auf ein Anklagepodium zu
zerren, damit auch hier Ruhe in Sachen Israel einkehrt. Augenscheinlich ist es
leichter - das Muster ist allzu bekannt -, die taz ob der unzensierten
Veröffentlichung des Kommentars des Antisemitismus zu bezichtigen. Für die
Konkurrenten der Zeitung ein annehmbares Spiel. Für die Pressefreiheit im Lande
eine Gefahr.
Für uns Juden und
Jüdinnen, die wir hierzulande im eigenen und mit unseren israelischen Freunden
nicht zuletzt auch im Interesse einer lebbaren Zukunft der Bevölkerung Israels
handeln, wäre jede Maßregelung der taz im Sinne der in der Einladung zur
Veranstaltung angekündigten „Grenzziehung“ für die Auseinandersetzung mit der
Politik Israels gegenüber dem palästinensischen Volk ein nicht hinnehmbarer
Anschlag auf unsere politischen Freiheiten und moralische Integrität.
Wir werden auch
künftig nicht zulassen, dass unser Gedenken an den Völkermord und unsere
Mahnung, dass sich Geringschätzung und Ausgrenzung von Schwächeren und
Andersdenkenden nicht wiederholen dürfen, als antisemitisch diskreditiert
werden.
Nie wieder! An keinem Ort der Welt. Das ist unsere Lehre
aus Auschwitz.