Im Juni 2009
veröffentlichte die israelische Veteranenorganisation „Breaking
the Silence“ („Das Schweigen brechen“) den 110 Seiten
umfassenden Bericht „Operation Cast Lead“. In ihm legen etwa 30 Soldaten anonym
Zeugnis ab über den brutalen Krieg, den Israels Armee drei Wochen lang gegen
den Gaza-Streifen und seine 1,5 Millionen Bewohner geführt hatte. Die Arbeit
von „Breaking the Silence“
wird gefördert durch die Regierungen Großbritanniens, Spaniens, der Niederlande
und die Europäische Union.
Einige ins Deutsche
übersetzte Zitate aus der Veröffentlichung (die teilweise gestrafft wurden)
sollen es dem SEMIT-Leser ermöglichen, sich aus der Perspektive der
israelischen Soldaten ein Bild zu machen von den unvorstellbaren Verwüstungen
und Zerstörungen im Gaza-Streifen, der völligen Missachtung palästinensischen
Lebens, dem Vandalismus und der Aufhetzung der Soldaten durch Militärrabbis.
Die meisten Soldaten, die sich an „Das Schweigen brechen“ gewandt haben, taten
dies aus großer Sorge wegen des „moralischen Verfalls der israelischen Armee“.
Im Vorwort zu den insgesamt 54 Interviews stellen die Herausgeber fest, dass
die in Gaza verübten Verbrechen nicht etwa Fehlleistungen einzelner Soldaten
waren, sondern logische Folge des Verhaltens der Armeeführung und ihres
„Wertesystems“. Für die Herausgeber ist es zudem eindeutig, dass der
offenkundige Verfall des „Wertesystems“ der Armee mit einem gesellschaftlichen
Werteverfall in Israel einhergeht.
-„Viele Dinge haben
mich an der Operation „Vergossenes Blei“ gestört. Zunächst: all diese
Zerstörungen. All dieser Beschuss von Unschuldigen. Der Schock festzustellen,
mit welchen Leuten ich dabei zusammen war, wie sie sich benommen haben.
Unvorstellbar…. Der Hass, die Freude am Töten…Einer sagte: Ich habe einem
Terroristen den Kopf weggeschossen.“
-„Warum
wurde weißer Phosphor (der schwerste Brandverletzungen verursacht) verschossen?
Weil es Spaß macht, cool ist“.
-„Die
Verhaltensregeln für uns: Wenn sich etwas bewegt, schießen. Schießt, wenn ihr
wollt. Wenn ihr Angst habt oder jemanden seht: schießt!“ Später: „Shoot to kill!“. Und: „Den
Soldaten wurde klargemacht, dass ihr eigenes Leben das Wichtigste sei, und dass
es nicht sein dürfe, dass unsere Soldaten getötet würden, nur um im Zweifel das
Leben von Zivilisten zu schonen. Man hat uns erlaubt, zu schießen, um unser
Leben zu schützen“.
-„Ständig
wurden in meinem Gebiet Häuser zerstört… Wir sahen kein einziges Haus, das
nicht zerstört war… Es sah aus wie in Filmen über den 2. Weltkrieg, wo nichts
mehr übrig geblieben war. Eine völlig zerstörte Stadt“.
-„Der
Brigadekommandeur ging soweit zu sagen, dass keine Rücksicht auf Zivilisten genommen
werden sollte. Ihr schießt auf jeden, den ihr seht.“ „Gegenwärtig spielen
humanitäre Überlegungen in der Armee keine Rolle“.
Die
nächtliche Ermordung eines etwa 60 Jahre alten Palästinensers: „Nachdem wir ihn
(ohne Vorwarnung) aus 20 Meter Entfernung beschossen hatten, stellten wir fest,
dass der Mann ein weißes Hemd und eine flackernde Fackel trug. Die Schreie des
Mannes werden mich noch länger verfolgen. Nach zwei Tagen wurde die Leiche
abgeholt“.
-Zu
den Militärrabbis in der Armee: „Der Rabbi erzählte uns, dass wir Israelis vier
Feinde hätten: Iran, Hamas, die Palästinensische Autonomiebehörde und die
arabischen Bürger Israels. Diese hat er tatsächlich unter Hinweis auf den Krieg
als Feinde Israels bezeichnet… Er sprach vom Heiligen Krieg. Er war darauf aus,
die Männer zu inspirieren: mit Mut, Grausamkeit, Aggressivität. Er gebrauchte
Ausdrücke wie „keine Gnade, Gott schützt euch, alles was ihr tut ist heilig.“
-Bericht
über das Briefing durch einen Batteriekommandeur: „Ihr sollt zwar kein Massaker
durchführen, aber…“. In einem weiteren Bericht heißt es: „Leider sind wir eine
Demokratie, so dass wir Gaza nicht so stark zerstören können, wie wir
eigentlich möchten“. Und: „Glücklicherweise sind alle Krankenhäuser in Gaza
schon übervoll, so dass die Verletzten schneller sterben“.
-„Der
Batteriekommandeur sagte, dass es für Jeden genügend Leute zum Töten gebe: „plenty of terrorists
for everyone“. Und: „Keine
Sorge, wenn der Platz auf euren Gewehrkolben für Kreuze (für Erschossene) nicht
ausreicht, macht Kreuze auf euren Ärmeln“. Ein weiterer Soldat berichtete:
„Einer sagte, dass er aus dieser Operation nicht nach Hause gehe könne, ohne
irgendeinen getötet zu haben. Also tötete er irgendjemanden…. Er wollte eben
nicht mit leeren Händen nach Hause gehen“.
-„Wir
sollten soviel wie möglich von der Umgebung dem Erdboden gleichmachen. Das ist
ein anderer Ausdruck für absichtliche systematische Zerstörung… Ich habe noch
nie eine solche Feuerkraft erlebt… Das war eine ununterbrochene Zerstörung“.
„Das Ausmaß der Zerstörung war unglaublich. Kein Stein stand mehr auf dem
anderen. Felder, Obstgärten, Gewächshäuser. Alles verwüstet. Es ist
schrecklich. Es ist surreal“.
„Ich
hatte den Eindruck, dass die Armee in Gaza etwas ausprobiert hat. Es gab keine
Notwendigkeit für ein so intensives Schießen und Bombardement, nicht für den
Einsatz von Granatwerfern oder Phosphormunition“.
-„Fast
keiner hat je den Feind angetroffen. Auch die Soldaten waren enttäuscht, dass
sie kein Gefecht mit Terroristen hatten“.
-
Zum Thema „Vandalismus“ der Soldaten in besetzten Häusern: „Der Soldat zerriss
die Schulhefte der Kinder. Ein anderer warf Schränke um…. Einer schrieb „Tod
den Arabern“ an die Wände…. Viele Soldaten zerschossen aus Langeweile die
Wassertanks auf den palästinensischen Häusern… Einige zerstörten die ganze Zeit
über alle möglichen Sachen. Sie warfen Sofas aus dem Fenster. Sie zerschlugen
Familienfotos. Sie wussten wirklich nicht, warum sie all dies nicht tun
sollten“.
-Antwort
auf die Frage einer Interviewers, ob verwundete Palästinenser während der
humanitären Feuerpausen evakuiert wurden: „Technisch gesehen ja, aber da gab es
nicht viel zu evakuieren, weil es meistens Tote gab, keine Verwundeten“.
„Es
ist unmöglich, sich das Ausmaß des Leidens vorzustellen, das wir (den
Palästinensern) in Gaza zugefügt haben“.
Dieter
Neuhaus