Präventiv-Frieden -Vorbeugender Frieden
Einige wollen in den
Versuchen der Neu-Ankurbelung des palästinensisch-israelischen Friedensprozesses
Dinge lesen, die nicht darinnen sind. Ohne Frieden, argumentieren einige,
würden alle Arten von Fanatikern und Extremistengruppen im Gazastreifen und in
der Westbank aufstehen. Dementsprechend sollten Israel, die Palästinenser, die
USA und in der Tat die ganze Welt alles Mögliche tun, um den Friedenszug nicht
zum Entgleisen zu bringen, auch wenn er bis jetzt seine Maschine noch nicht
gestartet hat. Ein vorbeugender Friede wird nicht um der Gerechtigkeit
willen, dem Ende der israelischen Besetzung und der Handhabung ihrer
natürlichen Rechte durch die Palästinenser angestrebt, er dient speziell dem
Zweck, alle die zu ärgern, die die zivilisierte und nicht-zivilisierte
Welt terrorisieren, und die den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern
als Vorwand für ihren Terrorismus benutzen.
Die Wirklichkeit erzählt
eine andere Geschichte. Israel ist heute vermutlich so sicher und in einer
wirtschaftlich so vorteilhaften Position, dass Frieden
für dieses keine dringende Priorität darstellt. Es folgt, dass die USA in ihrem
Ausmaß an Einfluss, den sie auf Israel ausüben können, begrenzt sind, seitdem ihre wirtschaftlichen
Hebelkräfte kein Faktor mehr sind. Vergessen wir also den Einfluss
strategischer militärischer Beziehungen
zwischen Washington und Tel Aviv, denn diese sind ein Teil eines
unberührbaren heiligen Pakts. So bleiben
Washington angesichts der vorteilhaften
Situation und aus Respekt für die „heiligen“ Beziehungen nur die freundlichen
Worte, die man in die Ohren von israelischen Politikern flüstern kann.
Auf dem Territorium der
Westbank gibt es mehr als 270.000 israelische Siedler in den 190 plus illegalen Siedlungen und Außenposten, nicht
mitgezählt die 200.000 Israelis, die in den Vorstadtsiedlungen in und rund um
das arabische Ost-Jerusalem leben. Die israelische Militärmacht steht weltweit
fachlich an höchster Stelle, was
Kontrollmechanismen über die Zivilbevölkerung betreffen. Dies zu
erreichen – was anderswo kopiert wurde – ist nur durch die Milliarden
US-Dollars möglich: die in Beton gegossen
die Trennungsmauer aufrichtete, Hunderte militärische Checkpoints und
Straßenblockaden baute, ein
Super-Computer-System installierte, das die Palästinenser überwacht, ihre
Telefone, Auto-Berechtigungen, ihr Kommen und Gehen und andere wichtige Informationen,
die dem Sicherheitsapparat in Israel als notwendig erscheinen.
Palästinenser, sogar
gesetzestreue alte Omas, können sich in der Westbank nicht frei bewegen oder
ohne Erlaubnisschein der israelischen Militärregierung nach Israel gehen.
Solche Erlaubnisscheine sind schwer zu erhalten, da sie von langdauernden
und strengen Sicherheitskontrollen
abhängen. Der Gaza-Streifen ist unter Belagerung. Der internationale Aufschrei
über die Maßnahmen Israels führte zur Strangulierung des Gaza-Streifens, und
seine Bevölkerung sieht sich mit Versprechen, Schiffsladungen von Treibstoff
und anderen wichtigen Gütern des täglichen Bedarfs zu bekommen, konfrontiert.
Diese Versprechen jedoch sind an
politische Umstände gebunden, um den Abschuss primitiver Qassam-Raketen
von Nord-Gaza ins südliche Israel zu stoppen. Die Westbank selbst, die zusammen
mit dem Gazastreifen als zukünftiger Ort für den Staat Palästina versprochen wurde, schaut auf
der Landkarte wie löchriger Schweizer
Käse aus: Siedlungen, Straßennetzwerke für den ausschließlichen Gebrauch von
Israelis und Siedlern, und Checkpoints machen den persönlichen Verkehr zwischen
palästinensischen Townships und Dörfern unmöglich.
Die Errichtung eines
palästinensischen Staates und sein wirtschaftlicher Erfolg kann trotz der
Deklarationen der Politiker und Treffen wie in Paris unter den von Israel geschaffenen gegenwärtigen
Bedingungen, nicht sichergestellt
werden. Die meisten Politiker aus dem Westen, auch die liberaleren unter ihnen,
kommen immer mit rechtfertigenden
Entschuldigungen für Israel daher. Tatsächlich wird der Beweis für den
Fortschritt des Friedensprozesses vor den Türschwellen der palästinensischen und arabischen Führer niedergelegt. Sie
sollen alles Mögliche tun, um die Israelis, speziell die israelisch-jüdische
Öffentlichkeit, zu überzeugen, dass sie sich wahrhaftig den Frieden wünschen,
dass dieser Wunsch von Herzen kommt und dass sie willens sind, sehr weit zu
gehen, um ihre Wahrhaftigkeit zu bezeugen.
Mit einem solchen Triumph in der
Tasche würde eine solche Show der
arabischen Willigkeit, Israel zu akzeptieren, die Stellung jener Kräfte in
Israel stärken, die den „Frieden“ mit den Palästinensern weiterbringen wollen.
Die arabische
Friedensinitiative und die
Bereitschaft arabischer und muslimischer Staaten, besetzte Gebiete für
den Frieden auszutauschen, ist nicht akzeptierbar, weil sich dies auf Prinzipien der internationalen Rechtmäßigkeit
bezieht. Die Schaffung eines Palästinenser-Staates auf der Westbank und im
Gazastreifen mit Ostjerusalem als Hauptstadt, der die volle Kontrolle über
seine Gebiete hat und die Staatsgewalt ausübt, ist auch nicht zu akzeptieren.
Was würde mit den von Israel
geschaffenen faits accomplis
geschehen ? Und müsste man sich von Gebieten
zurückziehen, die jetzt von den Siedlern vom ultrarechten Rand eingenommen
sind, wenn ein echter und wirklicher Friede kommen sollte? Wie würde Israel mit
den rechten „pressure groups“
umgehen, die glauben, dass Rückzug von der Westbank Hochverrat ist? Heutzutage
wagt niemand, dem es mit Frieden zwischen den Palästinensern und
Israel ernst ist, UN-Resolutionen und andere internationale Übereinkünfte zu
erwähnen, wie z.B. die Vierte Genfer Konvention. Auf der anderen Seite wurde
die Road Map, die versprochen hatte, uns zu einem
machbaren Frieden zu bringen, durch die bitteren Fakten und Realitäten, die
Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten weiterhin schafft,
zweigeteilt, gedrittelt, gevierteilt. Auf Grund der überwiegenden Mehrheit der
Palästinenser gibt es in naher Zukunft vor uns weder eine „Map“
noch eine „Road“.
Es braucht etwas, um
andere als die vereinfachten und naiven Argumente eines „Präventiv-Friedens“ zu
finden. Gemäß dieser Argumente macht man Frieden, um
die böse El-Qaida und andere Extremistengruppen daran
zu hindern, die Macht zu übernehmen. Das Argument sollte umgekehrt sein: Man
macht Frieden, weil es im lebenswichtigen Interesse aller ist, Frieden zu
machen; den Palästinensern wurde Gerechtigkeit seit langer Zeit vorenthalten.
Sie werden täglich horrenden Menschenrechtsbrüchen ausgesetzt; sie bleiben
besetzt und die Praktiken der Besetzung strangulieren sie vollständig. Ihre
politischen Rechte werden niedergetrampelt, ihre Bewegungen eingeschränkt, ihre
Wirtschaft ist ein Trümmerfeld, und ihre Gesellschaft leidet an Konsequenzen
aller Art. Durch die israelische Besetzung wurden Bedingungen geschaffen, aus
denen die Armut der Palästinenser und ihrer Gesellschaft entstanden ist, und
die Verweigerung ihrer politischen und sonstigen Grundrechte sind die Rezepte für ein Israel, das auf
Dauer gesehen, Moral, Ethik, und sogar Selbstverteidigung und Sicherheit als
Berechtigung nicht im Griff haben wird.
(dt.
Gerhilde Merz)