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Präventiv-Frieden -Vorbeugender Frieden

 

Dr. Bernard Sabella, Jerusalem, 29. Januar 2008

 

Einige wollen in den Versuchen der Neu-Ankurbelung des palästinensisch-israelischen Friedensprozesses Dinge lesen, die nicht darinnen sind. Ohne Frieden, argumentieren einige, würden alle Arten von Fanatikern und Extremistengruppen im Gazastreifen und in der Westbank aufstehen. Dementsprechend sollten Israel, die Palästinenser, die USA und in der Tat die ganze Welt alles Mögliche tun, um den Friedenszug nicht zum Entgleisen zu bringen, auch wenn er bis jetzt seine Maschine noch nicht gestartet hat. Ein vorbeugender Friede wird nicht um der Gerechtigkeit willen, dem Ende der israelischen Besetzung und der Handhabung ihrer natürlichen Rechte durch die Palästinenser angestrebt, er dient speziell dem Zweck, alle die zu ärgern, die die zivilisierte und nicht-zivilisierte Welt terrorisieren, und die den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern als Vorwand für ihren Terrorismus benutzen.

 

Die Wirklichkeit erzählt eine andere Geschichte. Israel ist heute vermutlich so sicher und in einer wirtschaftlich so vorteilhaften Position, dass Frieden für dieses keine dringende Priorität darstellt. Es folgt, dass die USA in ihrem Ausmaß an Einfluss, den sie auf Israel ausüben können,  begrenzt sind, seitdem ihre wirtschaftlichen Hebelkräfte kein Faktor mehr sind. Vergessen wir also den Einfluss strategischer militärischer Beziehungen  zwischen Washington und Tel Aviv, denn diese sind ein Teil eines unberührbaren  heiligen Pakts. So bleiben Washington angesichts  der vorteilhaften Situation und aus Respekt für die „heiligen“ Beziehungen nur die freundlichen Worte, die man in die Ohren von israelischen Politikern flüstern kann.

 

Auf dem Territorium der Westbank gibt es mehr als 270.000 israelische Siedler in den 190 plus  illegalen Siedlungen und Außenposten, nicht mitgezählt die 200.000 Israelis, die in den Vorstadtsiedlungen in und rund um das arabische Ost-Jerusalem leben. Die israelische Militärmacht steht weltweit fachlich an höchster Stelle, was  Kontrollmechanismen über die Zivilbevölkerung betreffen. Dies zu erreichen – was anderswo kopiert wurde – ist nur durch die Milliarden US-Dollars möglich: die in Beton gegossen  die Trennungsmauer aufrichtete, Hunderte militärische Checkpoints und Straßenblockaden  baute, ein Super-Computer-System installierte, das die Palästinenser überwacht, ihre Telefone, Auto-Berechtigungen, ihr Kommen und Gehen und andere wichtige Informationen, die dem Sicherheitsapparat in Israel als notwendig erscheinen.

 

Palästinenser, sogar gesetzestreue alte Omas, können sich in der Westbank nicht frei bewegen oder ohne Erlaubnisschein der israelischen Militärregierung nach Israel gehen. Solche Erlaubnisscheine sind schwer zu erhalten, da sie von langdauernden und  strengen Sicherheitskontrollen abhängen. Der Gaza-Streifen ist unter Belagerung. Der internationale Aufschrei über die Maßnahmen Israels führte zur Strangulierung des Gaza-Streifens, und seine Bevölkerung sieht sich mit Versprechen, Schiffsladungen von Treibstoff und anderen wichtigen Gütern des täglichen Bedarfs zu bekommen, konfrontiert. Diese Versprechen jedoch sind an  politische Umstände gebunden, um den Abschuss  primitiver Qassam-Raketen von  Nord-Gaza ins südliche Israel  zu stoppen. Die Westbank selbst, die zusammen mit dem Gazastreifen als zukünftiger Ort für den  Staat Palästina versprochen wurde, schaut auf der Landkarte  wie löchriger Schweizer Käse aus: Siedlungen, Straßennetzwerke für den ausschließlichen Gebrauch von Israelis und Siedlern, und Checkpoints machen den persönlichen Verkehr zwischen palästinensischen Townships und Dörfern unmöglich.

 

Die Errichtung eines palästinensischen Staates und sein wirtschaftlicher Erfolg kann trotz der Deklarationen der Politiker und Treffen wie in Paris unter den  von Israel geschaffenen gegenwärtigen Bedingungen,  nicht sichergestellt werden. Die meisten Politiker aus dem Westen, auch die liberaleren unter ihnen, kommen immer  mit rechtfertigenden Entschuldigungen für Israel daher. Tatsächlich wird der Beweis für den Fortschritt des Friedensprozesses vor den Türschwellen der  palästinensischen  und arabischen Führer niedergelegt. Sie sollen alles Mögliche tun, um die Israelis, speziell die israelisch-jüdische Öffentlichkeit, zu überzeugen, dass sie sich wahrhaftig den Frieden wünschen, dass dieser Wunsch von Herzen kommt und dass sie willens sind, sehr weit zu gehen, um ihre Wahrhaftigkeit zu bezeugen.  Mit  einem solchen Triumph in der Tasche  würde eine solche Show der arabischen Willigkeit, Israel zu akzeptieren, die Stellung jener Kräfte in Israel stärken, die den „Frieden“ mit den Palästinensern weiterbringen wollen.

 

Die arabische Friedensinitiative und die  Bereitschaft arabischer und muslimischer Staaten, besetzte Gebiete für den Frieden auszutauschen, ist nicht akzeptierbar, weil  sich dies auf  Prinzipien der internationalen Rechtmäßigkeit bezieht. Die Schaffung eines Palästinenser-Staates auf der Westbank und im Gazastreifen mit Ostjerusalem als Hauptstadt, der die volle Kontrolle über seine Gebiete hat und die Staatsgewalt ausübt, ist auch nicht zu akzeptieren. Was würde  mit den von Israel geschaffenen faits accomplis geschehen ? Und müsste man sich von Gebieten zurückziehen, die jetzt von den Siedlern vom ultrarechten Rand eingenommen sind, wenn ein echter und wirklicher Friede kommen sollte? Wie würde Israel mit den rechten „pressure groups umgehen, die glauben, dass Rückzug von der Westbank Hochverrat ist? Heutzutage wagt niemand, dem es  mit  Frieden zwischen den Palästinensern und Israel ernst ist, UN-Resolutionen und andere internationale Übereinkünfte zu erwähnen, wie z.B. die Vierte Genfer Konvention. Auf der anderen Seite wurde die Road Map, die versprochen hatte, uns zu einem machbaren Frieden zu bringen, durch die bitteren Fakten und Realitäten, die Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten weiterhin schafft, zweigeteilt, gedrittelt, gevierteilt. Auf Grund der überwiegenden Mehrheit der Palästinenser gibt es in naher Zukunft vor uns weder eine „Map“ noch eine „Road“.

 

Es braucht etwas, um andere als die vereinfachten und naiven Argumente eines „Präventiv-Friedens“ zu finden. Gemäß dieser Argumente macht man Frieden, um die böse El-Qaida und andere Extremistengruppen daran zu hindern, die Macht zu übernehmen. Das Argument sollte umgekehrt sein: Man macht Frieden, weil es im lebenswichtigen Interesse aller ist, Frieden zu machen; den Palästinensern wurde Gerechtigkeit seit langer Zeit vorenthalten. Sie werden täglich horrenden Menschenrechtsbrüchen ausgesetzt; sie bleiben besetzt und die Praktiken der Besetzung strangulieren sie vollständig. Ihre politischen Rechte werden niedergetrampelt, ihre Bewegungen eingeschränkt, ihre Wirtschaft ist ein Trümmerfeld, und ihre Gesellschaft leidet an Konsequenzen aller Art. Durch die israelische Besetzung wurden Bedingungen geschaffen, aus denen die Armut der Palästinenser und ihrer Gesellschaft entstanden ist, und die Verweigerung ihrer politischen und sonstigen Grundrechte  sind die Rezepte für ein Israel, das auf Dauer gesehen, Moral, Ethik, und sogar Selbstverteidigung und Sicherheit als Berechtigung nicht im Griff haben wird. 

     

(dt. Gerhilde Merz)