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The Ethnic Cleansing of
Ilan Pappe
Tiefe Ratlosigkeit, dann Empörung
Zu einem Buch über die „ethnische Säuberung“ von Palästina
des jüdischen Historikers Ilan Pappe
Von Rupert Neudeck 4.2.07
Man muß dieses inhaltsreiche
Buch nicht zu Ende lesen, man kann das auch kaum, weil die Macht der
Enttäuschung zu groß ist. Das wird von den Beratungen in den Geheimdiensten und
Geheimbünden berichtet. Von einem langen Seminar, das vom 31. Dezember 1947 bis
zum 2. Januar 1948 stattfand. „Transfer“, schrieb der prominenten Teilnehmer
Yossef Weitz schon 1940, der jetzt der Kopf des Siedlungsprogramms war, „dient
nicht nur dem einem Ziel, die arabische Bevölkerung zu reduzieren. Es dient
dieses Ziel des Transfers dem zweiten Ziel, das nicht weniger bedeutend ist:
Land freizumachen, das jetzt noch von arabischer Bevölkerung bearbeitet wird
und es frei zu machen für jüdische Besiedlung.“
In diesen drei Tagen waren
sie in Ben Gurions Haus zusammen und bereiten den Traum vom größeren Israel
vor, der durch ein härteres Vorgehen wahr werden sollte. Es gibt von diesem
Seminar ein Protokoll in den Archiven von der Haganah. Alle, auch die wenigen
liberalen Teilnehmer des langen Seminars stimmten zu. So auch der ex -deutsche
Jude Dr. Yaacov Tahon, der vorher
zögerlich mit den Ideen der Zerstörung und Vertreibung war. „Without a transfer
there will be no Jewish State“.
Die anwesenden Militärs
wollten klare Befehle haben, dass sie zerstören und vertreiben sollten im großen
Stil: Es geht nicht mehr darum: Hier ein Haus in die Luft zu jagen und dort ein
anderes, individuelle Schuldige zu jagen
oder gar Kinder und Frauen zu schonen. Bei den Angriffen auf Beer Sheva
sollte man nicht mehr zwischen Unschuldigen und Schuldigen unterscheiden. Die
Zeit sei gekommen, so Ben Gurion, kollaterale Schäden auszuüben. Ben Gurion
definierte:
„Jeder Angriff hat mit der
Besetzung zu enden, der Zerstörung und der Ausweisung.“
Yigael Yadin, der noch der
amtierende Chef der Haganah war, insistierte: Man solle das Wort Vergeltung
(retaliation) aufgeben. Das ist es ja nicht, was wir tun sollen. „Das ist eine
Offensive und wir müssen präventive Schläge ausüben. Da gibt es keine Not, dass
uns ein Dorf attackiert. Wir haben bisher ja noch nicht die Fähigkeit genutzt,
die Wirtschaft der Palästinenser zu strangulieren.“
s gab keine Notwendigkeit
mehr, sich und Ben Gurion zu überzeugen: es ging um die Durchführung von
tödlichen Attacken auf arabische Dörfer, einige als Vergeltung, andere nicht,
die Intention dieser Attacken, „so viel Zerstörung (engl. Optimal damage) wie
möglich anzurichten und so viele Dorfbewohner zu töten wie möglich“.
Und das meiste dieser
Zerstörungen, so Ilan Pappe, geschah, bevor überhaupt irgendein Bewaffneter der
ALA, der Arab Liberation Army über die Grenzen gekommen war.
Die nächsten Operationen
wurden befohlen. Die Dörfer um Jaffa und Tel Aviv sollten angegriffen werden.
Wir müssen, so sagte es General Yigal Allon, „eine Serie von kollektiven
Strafaktionen durchführen, selbst wenn Kinder in den attackierten Häusern
wohnen“. Allon reagierte auf den schüchternen Versuch von Eliyahu Sasson und
Reuven Shiloah, die meinten man würde mit solchen Provokationen freundliche und
friedliche Palästinenser entfremden: „A call for Peace will be Weakness!“
Ganze große Dörfer wurden
zerstört, ihre Bevölkerung verjagt: Deir Ayyub und Beit Affa im Dezember 1947.
20 jüdische Soldaten kamen nach Deir Ayyub, wo gerade eine neue Schule für 51
Schüler eingeweiht wurde. Yigal Allon griff den Ort Khisas an, in dem hunderte
Muslime und 100 Christen sehr friedlich zusammenlebten. 15 Dorfbewohner wurden
bei dem nächtlichen Überfall getötet, darunter fünf Kinder. Der Angriff geschah
in der Nacht. Der Korrespondent der New York Times war so entsetzt, das zu
hören, dass er bei der Haganah recherchierte, die erst mal die Operation
dementierte. Taktisch veröffentlichte Ben Gurion eine Entschuldigung, versuchte
zu erklären, diese Dorf-Zerstörung sei nicht autorisiert gewesen; einige Monate
später, im April 1948, fügte er sie in die Liste der erfolgreichen Operationen
ein. Es gab auch in den Städten Vertreibungs- und Terroraktionen, wie wir heute
sagen würden. Die 75.000 Palästinenser in Haifa wurden von den jüdischen
Siedlern, die sich auf den Bergen um die Stadt angesiedelt hatten, mit Fässern
mit Explosivstoffen maltraitiert, die einfach den Berg hinuntergeworfen wurden.
Eine Spezialeinheit der Haganah, die Hashashar, die aus verkleideten
Palästinensern bestand, griff in Haifa an.
Die Palästinenser kamen ab
Dezember 1947 unter den Belagerungszustand und Einschüchterung. Es war, das
muss man sich klarmachen, immer noch die Zeit der britischen Aufpasser. Da
versuchten die Haganah-Kommandeure ein Exempel zu statuieren. Am 31. Dezember
1947 befahl Haim Avinoam einen Angriff auf den Ort Balad als Sahyk, einen Ort,
in dem das Grab des ehrwürdigen charismatischen Führers Sahyk Izz al Din al
Qassam lag, der hier 1935 von den Briten ermordet wurde. Drei Stunden wurde das
Dorf angegriffen. Der Befehl lautete: „Das Dorf einzukreisen, die größte Zahl
von Menschen zu ermorden, das Eigentum zu zerstören, aber sich zurückzuhalten
mit Angriffen auf Frauen und Kinder“. In drei Stunden hatte man über 60
Palästinenser ermordet.
Aber das war das letzte Mal,
das auf die Unterscheidung zwischen Männer und Frauen Wert gelegt wurden: Die
Hagana-Einheiten machten es von daher in den Vororten von Haifa, z.B. in Wadi
Rushmiyya effektiver. Das kann der Beginn der Ethnic Cleansing Operation in
Palästina genannt werden. Die 15.000 Mitglieder der palästinensischen Elite ?
in Haifa wurden alle zur Flucht gezwungen. Die arabischen Irregulären hatten
von Januar 1948 an begonnen, jüdische Konvois zu attackieren, aber sich bis
dahin zurückgehalten, jüdische Siedlungen anzugreifen.
Immer wieder kommt Ilan
Pappe zu Vergleichsbildern der Behandlung damals drei Jahre nach dem Holocaust
und heute. Als er die Vertreibungen in Marj Ibn Amir beschreibt, erwähnt er
solche Bilder. Damals gab es dann den ersten Widerstand, Fawzi Al Qawqij plante
und führte einige Attacken auf das Hauptkibbutz in der Region aus, Mishmar
Ha-Emek. Die Mitglieder in diesen Kibbutzim gehörten fast alle zu der
Zionistisch-Sozialistischen Partei, der Hashomer Ha Tza’ir, die eigentliche den
Arabern gegenüber eine humane Position vertraten. Aber Ben Gurion konnte sie
überzeugen. „Wenn Du ein Zionist 1948 sein willst, dann bedeutet das eine Sache
und nur diese Sache: full commitment to the De-arabisation of Palestine“.
In Sabbarin wurden einige
Leute (Pappe nennt sie „Irgun bandits“) der Irgun ärgerlich, weil die Ergebung
der Palästinenser nicht klappte. Als Bestrafung nahmen sie sich die Frauen, die
alten Männer und die Kinder und hielten sie für mehrere Tage hinter
Stacheldraht – Pappe: „So wie die Käfige, in die man verdächtige Palästinenser
für Stunden an den Straßensperren in der Westbank festhält, wenn sie nicht in
der Lage sind, ihre Erlaubnisse und Papiere zu präsentieren. Sieben junge
Palästinenser fand man, die Waffen trugen, sie wurden unmittelbar und sofort
erschossen. Die Irgun Soldaten vertrieben dann die restliche Bevölkerung nach
Umm al-Fahm, das damals noch nicht in den Händen der Juden war.
Es ist schon erschreckend,
zu lesen, was der „Macht-hungrige“ David Ben Gurion am 24. Mai 1948 in sein
Tagebuch schrieb:
„Wir werden einen
christlichen Staat im Libanon errichten,
die südliche Grenze wird der Litani Fluß sein. Wir werden Transjordanien
auseinanderbrechen, wir werden Amman bombardieren und die jordanische Armee
zerstören. Und dann wird Syrien fallen. Und falls Ägypten weiter kämpfen will,
werden wir Port Said, Alexandria und Kairo bombardieren. Und das wird die Rache
dafür sein, was diese (die Ägypter, die Aramäer und die Assyrer) unseren
Vorvätern angetan haben in den Biblischen Zeiten“.
Es gab damals sowohl
UNO-Beobachter, die die Lage checken sollten, wie die Teilungsresolution der
UNO vor Ort funktionierte und (nicht) umgesetzt wurde. Diese Beobachter waren
Zeugen der Massenvertreibung. Es gab Vertreter der westlichen Medien, darunter
einen Reporter der „New York Times“, die Geschichten über individuelle Dörfer
berichteten, obwohl das öffentliche Interesse doch zurückging. Jedenfalls
wurden westliche Leser nicht zureichend in die Geschichte dieser Ereignisse und
Vertreibungen eingeführt. Zusätzlich, schreibt Pappe, „scheint es so, als ob
die auswärtigen Korrespondenten nicht wagten, offen die Aktionen der jüdischen
Nation zu kritisieren drei Jahre nach dem Holocaust“
Wie immer man das nannte, ob
Vergeltung, ob Rache, ob Prävention, ob “aggressive Defense“: Es waren
Verbrechen, die im Gefolge des Wunsches und des Traumes nach dem größeren
Israel befohlen und durchgeführt wurden.
Eines scheint mir nach der
Lektüre dringend geboten. Dieses Israel hat noch einen ganz wichtigen Akt,
einen großen nationalen Akt vor sich, ohne den der Staat nie zur Ruhe kommen
wird. Er muß sich bei den Arabern und den Palästinensern in einer ganz ernsten
und feierlichen Form entschuldigen für das, was diesen Palästinenern damals
angetan wurde. Daran wird der Staat zu seiner eigenen Vergewisserung und
Selbstlegitimation nicht vorbeikommen.
Das wiederum wird zur Folge
haben müssen, dass man mit jeder Aktion der Ausgrenzung und Vertreibung nicht
nur in der Geschichte, sondern in der Gegenwart und Zukunft radikal Schluss
macht. Israel ist von allem diesen notwendigen Zielen leider noch weit
entfernt. Wenn man das Buch von Ilan Pappe liest, ist man nach der Lektüre auf
diesem Pfad, das dem Staat Israel und seiner Bevölkerung anzuempfehlen.
Ilan Pappe hat ein Buch
geschrieben, dessen Stil dem Inhalt sehr würdig entspricht. Bei aller
Genauigkeit der Recherchen ist der Autor auch erschüttert. Er ist es umso mehr,
als er die Kontinuität der Behandlung von Menschen erfährt, die bis heute nicht
die gleichen Rechte und Pflichten, schon gar nicht die gleichen Menschenrechte
haben.
Die Palästinenser sind
Politik-unfähig. So sagte es der Generalsekretär der Arabischen Liga am Rande
des Besuches der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel bei Präsident Mubarak
in Kairo am 3. Februar 2007. Das sagt sich richtig, aber auch zu leicht. Wie
sollten diese Menschen je zur Politik fähig gemacht werden, die nie Subjekte am
Tisch internationaler Verhandlungen waren.
Die deutsche Bundeskanzlerin
hat Recht. Der Palästina-Konflikt muss gelöst werden. Die Israelische Politik
muss ihre Arroganz aufgeben und ein Teil, ein integraler Teil der
geopolitischen Landkarte des Nahen Ostens werden. Das hält die Mehrzahl der
Israelis immer noch für eine Zumutung. Aber es wird so werden müssen. Die
härtesten und schwersten Aufgaben stehen dem Staat Israel noch bevor. Er kann
in dem Kokon, den er sich als ein Möchtegern-Hawai im Nahen Osten geschmiedet
hat, auf Dauer nicht existieren. Er muß aus dem selbstgemachten Käfig der
Einbildungen und Arroganz herauskommen. Das wird sehr schwer werden. Aber wir
sollen in Europa nicht mehr den Fehler machen, der fast schon ein Verbrechen zu
werden verspricht. Wir sollen Israel nicht mehr versichern, dass es diese
Aufgabe nicht jetzt beginnen muss. Von gleich zu gleich mit den arabischen
Nachbarn zu einer Verständigung zu kommen. Und der erste Nachbar ist das Volk,
das Golda Meir immer noch negieren und deren Existenz es dementieren wollte:
Die Palästinenser.
Leider gibt es wenig
Aussicht, dass ein solches Buch in Deutschland deutsch übersetzt auf den Markt
kommt
Ilan Pappe: The Ethnic Cleansing of