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The Ethnic Cleansing of Palestine. One World Publication. Oxford 2006  313 Seiten

Ilan Pappe

 

ISBN-10: 1851684670

 

Tiefe Ratlosigkeit, dann Empörung

Zu einem Buch über die „ethnische Säuberung“ von Palästina des jüdischen Historikers Ilan Pappe

Von Rupert Neudeck 4.2.07

 

Man muß dieses inhaltsreiche Buch nicht zu Ende lesen, man kann das auch kaum, weil die Macht der Enttäuschung zu groß ist. Das wird von den Beratungen in den Geheimdiensten und Geheimbünden berichtet. Von einem langen Seminar, das vom 31. Dezember 1947 bis zum 2. Januar 1948 stattfand. „Transfer“, schrieb der prominenten Teilnehmer Yossef Weitz schon 1940, der jetzt der Kopf des Siedlungsprogramms war, „dient nicht nur dem einem Ziel, die arabische Bevölkerung zu reduzieren. Es dient dieses Ziel des Transfers dem zweiten Ziel, das nicht weniger bedeutend ist: Land freizumachen, das jetzt noch von arabischer Bevölkerung bearbeitet wird und es frei zu machen für jüdische Besiedlung.“

 

In diesen drei Tagen waren sie in Ben Gurions Haus zusammen und bereiten den Traum vom größeren Israel vor, der durch ein härteres Vorgehen wahr werden sollte. Es gibt von diesem Seminar ein Protokoll in den Archiven von der Haganah. Alle, auch die wenigen liberalen Teilnehmer des langen Seminars stimmten zu. So auch der ex -deutsche Jude  Dr. Yaacov Tahon, der vorher zögerlich mit den Ideen der Zerstörung und Vertreibung war. „Without a transfer there will be no Jewish State“.

 

Die anwesenden Militärs wollten klare Befehle haben, dass sie zerstören und vertreiben sollten im großen Stil: Es geht nicht mehr darum: Hier ein Haus in die Luft zu jagen und dort ein anderes, individuelle Schuldige zu jagen  oder gar Kinder und Frauen zu schonen. Bei den Angriffen auf Beer Sheva sollte man nicht mehr zwischen Unschuldigen und Schuldigen unterscheiden. Die Zeit sei gekommen, so Ben Gurion, kollaterale Schäden auszuüben. Ben Gurion definierte:

 

„Jeder Angriff hat mit der Besetzung zu enden, der Zerstörung und der Ausweisung.“ 

Yigael Yadin, der noch der amtierende Chef der Haganah war, insistierte: Man solle das Wort Vergeltung (retaliation) aufgeben. Das ist es ja nicht, was wir tun sollen. „Das ist eine Offensive und wir müssen präventive Schläge ausüben. Da gibt es keine Not, dass uns ein Dorf attackiert. Wir haben bisher ja noch nicht die Fähigkeit genutzt, die Wirtschaft der Palästinenser zu strangulieren.“

s gab keine Notwendigkeit mehr, sich und Ben Gurion zu überzeugen: es ging um die Durchführung von tödlichen Attacken auf arabische Dörfer, einige als Vergeltung, andere nicht, die Intention dieser Attacken, „so viel Zerstörung (engl. Optimal damage) wie möglich anzurichten und so viele Dorfbewohner zu töten wie möglich“.

 

Und das meiste dieser Zerstörungen, so Ilan Pappe, geschah, bevor überhaupt irgendein Bewaffneter der ALA, der Arab Liberation Army über die Grenzen gekommen war.

Die nächsten Operationen wurden befohlen. Die Dörfer um Jaffa und Tel Aviv sollten angegriffen werden. Wir müssen, so sagte es General Yigal Allon, „eine Serie von kollektiven Strafaktionen durchführen, selbst wenn Kinder in den attackierten Häusern wohnen“. Allon reagierte auf den schüchternen Versuch von Eliyahu Sasson und Reuven Shiloah, die meinten man würde mit solchen Provokationen freundliche und friedliche Palästinenser entfremden: „A call for Peace will be Weakness!“

 

Ganze große Dörfer wurden zerstört, ihre Bevölkerung verjagt: Deir Ayyub und Beit Affa im Dezember 1947. 20 jüdische Soldaten kamen nach Deir Ayyub, wo gerade eine neue Schule für 51 Schüler eingeweiht wurde. Yigal Allon griff den Ort Khisas an, in dem hunderte Muslime und 100 Christen sehr friedlich zusammenlebten. 15 Dorfbewohner wurden bei dem nächtlichen Überfall getötet, darunter fünf Kinder. Der Angriff geschah in der Nacht. Der Korrespondent der New York Times war so entsetzt, das zu hören, dass er bei der Haganah recherchierte, die erst mal die Operation dementierte. Taktisch veröffentlichte Ben Gurion eine Entschuldigung, versuchte zu erklären, diese Dorf-Zerstörung sei nicht autorisiert gewesen; einige Monate später, im April 1948, fügte er sie in die Liste der erfolgreichen Operationen ein. Es gab auch in den Städten Vertreibungs- und Terroraktionen, wie wir heute sagen würden. Die 75.000 Palästinenser in Haifa wurden von den jüdischen Siedlern, die sich auf den Bergen um die Stadt angesiedelt hatten, mit Fässern mit Explosivstoffen maltraitiert, die einfach den Berg hinuntergeworfen wurden. Eine Spezialeinheit der Haganah, die Hashashar, die aus verkleideten Palästinensern bestand, griff in Haifa an.

 

Die Palästinenser kamen ab Dezember 1947 unter den Belagerungszustand und Einschüchterung. Es war, das muss man sich klarmachen, immer noch die Zeit der britischen Aufpasser. Da versuchten die Haganah-Kommandeure ein Exempel zu statuieren. Am 31. Dezember 1947 befahl Haim Avinoam einen Angriff auf den Ort Balad als Sahyk, einen Ort, in dem das Grab des ehrwürdigen charismatischen Führers Sahyk Izz al Din al Qassam lag, der hier 1935 von den Briten ermordet wurde. Drei Stunden wurde das Dorf angegriffen. Der Befehl lautete: „Das Dorf einzukreisen, die größte Zahl von Menschen zu ermorden, das Eigentum zu zerstören, aber sich zurückzuhalten mit Angriffen auf Frauen und Kinder“. In drei Stunden hatte man über 60 Palästinenser ermordet.

 

Aber das war das letzte Mal, das auf die Unterscheidung zwischen Männer und Frauen Wert gelegt wurden: Die Hagana-Einheiten machten es von daher in den Vororten von Haifa, z.B. in Wadi Rushmiyya effektiver. Das kann der Beginn der Ethnic Cleansing Operation in Palästina genannt werden. Die 15.000 Mitglieder der palästinensischen Elite ? in Haifa wurden alle zur Flucht gezwungen. Die arabischen Irregulären hatten von Januar 1948 an begonnen, jüdische Konvois zu attackieren, aber sich bis dahin zurückgehalten, jüdische Siedlungen anzugreifen.

 

Immer wieder kommt Ilan Pappe zu Vergleichsbildern der Behandlung damals drei Jahre nach dem Holocaust und heute. Als er die Vertreibungen in Marj Ibn Amir beschreibt, erwähnt er solche Bilder. Damals gab es dann den ersten Widerstand, Fawzi Al Qawqij plante und führte einige Attacken auf das Hauptkibbutz in der Region aus, Mishmar Ha-Emek. Die Mitglieder in diesen Kibbutzim gehörten fast alle zu der Zionistisch-Sozialistischen Partei, der Hashomer Ha Tza’ir, die eigentliche den Arabern gegenüber eine humane Position vertraten. Aber Ben Gurion konnte sie überzeugen. „Wenn Du ein Zionist 1948 sein willst, dann bedeutet das eine Sache und nur diese Sache: full commitment to the De-arabisation of Palestine“.

 

In Sabbarin wurden einige Leute (Pappe nennt sie „Irgun bandits“) der Irgun ärgerlich, weil die Ergebung der Palästinenser nicht klappte. Als Bestrafung nahmen sie sich die Frauen, die alten Männer und die Kinder und hielten sie für mehrere Tage hinter Stacheldraht – Pappe: „So wie die Käfige, in die man verdächtige Palästinenser für Stunden an den Straßensperren in der Westbank festhält, wenn sie nicht in der Lage sind, ihre Erlaubnisse und Papiere zu präsentieren. Sieben junge Palästinenser fand man, die Waffen trugen, sie wurden unmittelbar und sofort erschossen. Die Irgun Soldaten vertrieben dann die restliche Bevölkerung nach Umm al-Fahm, das damals noch nicht in den Händen der Juden war.

 

Es ist schon erschreckend, zu lesen, was der „Macht-hungrige“ David Ben Gurion am 24. Mai 1948 in sein Tagebuch schrieb:

„Wir werden einen christlichen Staat im Libanon  errichten, die südliche Grenze wird der Litani Fluß sein. Wir werden Transjordanien auseinanderbrechen, wir werden Amman bombardieren und die jordanische Armee zerstören. Und dann wird Syrien fallen. Und falls Ägypten weiter kämpfen will, werden wir Port Said, Alexandria und Kairo bombardieren. Und das wird die Rache dafür sein, was diese (die Ägypter, die Aramäer und die Assyrer) unseren Vorvätern angetan haben in den Biblischen Zeiten“.

 

Es gab damals sowohl UNO-Beobachter, die die Lage checken sollten, wie die Teilungsresolution der UNO vor Ort funktionierte und (nicht) umgesetzt wurde. Diese Beobachter waren Zeugen der Massenvertreibung. Es gab Vertreter der westlichen Medien, darunter einen Reporter der „New York Times“, die Geschichten über individuelle Dörfer berichteten, obwohl das öffentliche Interesse doch zurückging. Jedenfalls wurden westliche Leser nicht zureichend in die Geschichte dieser Ereignisse und Vertreibungen eingeführt. Zusätzlich, schreibt Pappe, „scheint es so, als ob die auswärtigen Korrespondenten nicht wagten, offen die Aktionen der jüdischen Nation zu kritisieren drei Jahre nach dem Holocaust“

 

Wie immer man das nannte, ob Vergeltung, ob Rache, ob Prävention, ob “aggressive Defense“: Es waren Verbrechen, die im Gefolge des Wunsches und des Traumes nach dem größeren Israel befohlen und durchgeführt wurden.

 

Eines scheint mir nach der Lektüre dringend geboten. Dieses Israel hat noch einen ganz wichtigen Akt, einen großen nationalen Akt vor sich, ohne den der Staat nie zur Ruhe kommen wird. Er muß sich bei den Arabern und den Palästinensern in einer ganz ernsten und feierlichen Form entschuldigen für das, was diesen Palästinenern damals angetan wurde. Daran wird der Staat zu seiner eigenen Vergewisserung und Selbstlegitimation nicht vorbeikommen.

Das wiederum wird zur Folge haben müssen, dass man mit jeder Aktion der Ausgrenzung und Vertreibung nicht nur in der Geschichte, sondern in der Gegenwart und Zukunft radikal Schluss macht. Israel ist von allem diesen notwendigen Zielen leider noch weit entfernt. Wenn man das Buch von Ilan Pappe liest, ist man nach der Lektüre auf diesem Pfad, das dem Staat Israel und seiner Bevölkerung anzuempfehlen.

 

Ilan Pappe hat ein Buch geschrieben, dessen Stil dem Inhalt sehr würdig entspricht. Bei aller Genauigkeit der Recherchen ist der Autor auch erschüttert. Er ist es umso mehr, als er die Kontinuität der Behandlung von Menschen erfährt, die bis heute nicht die gleichen Rechte und Pflichten, schon gar nicht die gleichen Menschenrechte haben.

Die Palästinenser sind Politik-unfähig. So sagte es der Generalsekretär der Arabischen Liga am Rande des Besuches der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel bei Präsident Mubarak in Kairo am 3. Februar 2007. Das sagt sich richtig, aber auch zu leicht. Wie sollten diese Menschen je zur Politik fähig gemacht werden, die nie Subjekte am Tisch internationaler Verhandlungen waren.

 

Die deutsche Bundeskanzlerin hat Recht. Der Palästina-Konflikt muss gelöst werden. Die Israelische Politik muss ihre Arroganz aufgeben und ein Teil, ein integraler Teil der geopolitischen Landkarte des Nahen Ostens werden. Das hält die Mehrzahl der Israelis immer noch für eine Zumutung. Aber es wird so werden müssen. Die härtesten und schwersten Aufgaben stehen dem Staat Israel noch bevor. Er kann in dem Kokon, den er sich als ein Möchtegern-Hawai im Nahen Osten geschmiedet hat, auf Dauer nicht existieren. Er muß aus dem selbstgemachten Käfig der Einbildungen und Arroganz herauskommen. Das wird sehr schwer werden. Aber wir sollen in Europa nicht mehr den Fehler machen, der fast schon ein Verbrechen zu werden verspricht. Wir sollen Israel nicht mehr versichern, dass es diese Aufgabe nicht jetzt beginnen muss. Von gleich zu gleich mit den arabischen Nachbarn zu einer Verständigung zu kommen. Und der erste Nachbar ist das Volk, das Golda Meir immer noch negieren und deren Existenz es dementieren wollte: Die Palästinenser.

Leider gibt es wenig Aussicht, dass ein solches Buch in Deutschland deutsch übersetzt auf den Markt kommt

 

Ilan Pappe: The Ethnic Cleansing of Palestine. One World publication. Oxford 2006