Aporie Palästina Staat?

Oder neue Hoffnung mit Barak Obama?

Zu einem Streitbuch von Marcel Pott zum Thema: „Der Westen in der islamischen Falle“

Von Rupert Neudeck

25.04.09

 

In den besetzten Gebieten der Palästinenser leben mittlerweile rund 290.000 Juden in 120 sog. offiziellen Kolonien und Dutzenden von illegalen Außenposten, die über die ganze Westbank verteilt sind. Das arabische, von Israel annektierte  Ost-Jerusalem hat der Autor dabei noch nicht einmal einbezogen.

Wenn man das liest in dem sehr um Ausgleich, Frieden, Versöhnung und Diplomatie bemühten Buch von Marcel Pott,  möchte man seinen Kopf in den Sand stecken und lieber zur Regelung dieser Frage gar nichts mehr sagen. Man hat 25 Jahre vermieden, Israel dafür zu kritisieren und von diesem Siedlungsbau abzuhalten. Wenn es je eine normative Kraft des Faktischen gab, dann war es diese Politik, die sich nicht mal richtig durchsetzen musste, sondern von den USA getragen wurde.

Nicht nur die USA, auch die Staaten der EU, an der Spitze Deutschland – so Marcel Pott in seinem neuen Buch - haben sich darum nicht gekümmert und stehen jetzt vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik. Eine Prüfung dieser Daten hat noch ergeben, dass in mehr als 30 Siedlungen Gebäude, Straßen, Schulen, Synagogen und Polizeistationen auf Privatland erricht wurden, das palästinensischen Bewohner auf der Westbank gehört.

Barak Obama habe zunächst einen neuen Ton eingeführt, neue Gesten, ein Fernsehinterview mit Al Arabiya, um die Muslime anzusprechen. „Ich begegne euch mit Achtung und bin bereit, euren Standpunkt ernst zu nehmen.“ Marcel Pott zitiert einen Berater amerikanischer Regierungen, Aaron David Miller: Obama - sagt dieser Berater, der die Entwicklung seit 25 Jahren aus nächster Nähe verfolgt - müsse seine Unabhängigkeit zurückgewinnen. „Amerika darf nicht jeder Idee zustimmen, die ein israelischer Premierminister vorschlägt. Nicht jede amerikanische Verhandlungsidee muß man zuerst von Israel prüfen lassen, bevor sie der anderen Seite vorgelegt wird.“ Der Autor beschreibt die neue Lage, die nach zwei neuen verheerenden Kriegen von Israel ohne Kritik des Westens entstanden ist. Der Autor kennt auch die „arabische Krankheit“. Die Araber sind sich nicht einig, die Regime beäugen sich gegenseitig und sind sich meist spinnefeind. Sie alle sind mehr oder weniger autokratisch bis totalitär geführt. Die USA setzen auf Saudi Arabien, nachdem sie das Gleichgewicht in der Region mutwillig durch den Krieg im Irak zerstört haben.

Der Versuch, die sunnitischen Staaten in eine Front gegen den Iran zu bringen, sei gescheitert. Dazu habe sich der saudische König nicht hergegeben. Gaza und der furchtbar verlustreiche Krieg hat den Arabern die Notwendigkeit größerer Einigkeit vor Augen geführt. Die 320 Mio Araber werden nur durch gemeinsame Politik sich aus ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Stagnation befreien können. Schlimmer als der Verlust von 2,5 Trillionen US Dollar durch die aktuelle globale Finanzkrise sei die Tatsache, dass mehr als ein Drittel aller Araber über 15 Jahre nicht lesen und schreiben können. Damit halte die arabische Welt einen regionalen Negativrekord. Dahinein entwerfen sich die islamistischen Gruppen mit ihren Anstrengungen im Bildungswesen, von der Kinderkrippe bis zu islamischen Hochschulen. Die USA, Israel und die EU behinderten den Versuch des saudischen Königs, in Mekka eine gemeinsame Regierung im März 2007 zu bilden. Der Koalitionsvertrag besagte, dass die Regierung alle Vereinbarungen akzeptieren werde, die die PLO mit Israel geschlossen hatte. Er erwähnt den verhängnisvollen Mauerzaun, der arabisches Agrarland zerschneidet.

„Hunderte von Checkpoints zerstückeln das Westjordanland und verhindern jeden wirtschaftlichen Austausch. Schulwege, Fahrten zur Arbeit, zum Krankenhaus, selbst für Schwerkranke oder für kurz vor der Niederkunft stehende Mütter, werden behindert oder blockiert. Gleichzeitig werden die jüdischen Siedlungen weiter ausgebaut, militante Siedler zerstören ungestraft Olivenhaine, oft jahrhundertealte Bäume, und die Ernten palästinensischer Bauern.“ Das geschehe unter den Augen der israelischen Armee, „die das Völkerrecht schlichtweg ignoriert.“

 

Man spürt, wie kenntnisreich der Autor die wichtigste Frage angeht, die Palästinafrage. Er war von 1983 bis 1992 Hörfunkkorrespondent der ARD in der Region (Amman und Beirut). Die große Hoffnung, die wir alle in der Welt auf den Geheim-Vertrag zwischen Israel und der PLO legten, wurde abgrundtief enttäuscht. „Der Friedensprozeß von Oslo änderte nur die Modalitäten der Besatzung, aber nicht die Besatzung selbst.“ In der Praxis bedeutete das eine Entwicklung in Richtung Bophuthatswana. Man erinnert sich, der Apartheidstaat Süd-Afrika versuchte, die Schwarzen Bewohner sich vom Leibe zu halten durch die Errichtung von Bantustan Kleinstaaten, in die man die Schwarzen transferierte. Das würde man auf dem viel engeren Raum wahrscheinlich auch gern machen. Palästinenser erfüllen kleine Selbstverwaltungsaufgaben, Post, Telefon, Müllabfuhr, ein bisschen Polizei. Das Land Israel aber behält die Kontrolle als Besatzungsmacht.

Das war der Grundfehler der Vereinbarung von Oslo. Israel hatte in Oslo nicht zugesagt, die Besatzung zu beenden. Deshalb sagte damals US-Außenminister James Baker: Israel habe in Oslo keine einzige Position aufgegeben. Gleichzeitig habe Israel vollende Tatsachen geschaffen.

In den letzten 41 Jahren wurden vom israelischen Staat 290.000 Juden in 120 offiziellen Kolonien über die ganze Westbank samt Straßen, Autobahnen, Tunnel usw. verteilt. 75 Prozent der Siedlungen wurden ohne Baugenehmigung ausgeführt. In mehr als 30 Siedlungen sind Gebäude, Straßen, Schulen, Synagogen auf Privatland errichtet worden, das palästinensischen Einwohnern gehört. Die Menschenrechtsorganisation Yesh Din, die Marcel Pott mehrfach zitiert, besteht darauf. Diese Siedlungen wurden illegal und unter Landraub errichtet, auch unter aktiver Beteiligung des Staates.

Marcel Pott verweist in seinem Buch darauf, dass nicht nur Arafat mitschuldig ist an dem Zusammenbrechen des Oslo Prozesses, sondern eben auch die US Regierung. Die Clinton Administration ließ den Siedlungs- und Straßenbau nach Oslo geschehen, sie hat ihn sogar mitfinanziert und ermuntert. Unter Clinton setzte sich die Sprachregelung durch, diese Siedlungen seien „nicht hilfreich“. In der Zeit des Oslo Friedensprozesses nahm die Zahl der Siedler noch mal extrem zu: 1993 bis 2000 von 100.000 auf 200.000 Auch die Europäer tragen daran eine Mit-Schuld, weil sie feige waren, Israel um des Völkerrechts wegen entgegenzutreten. Sie kritisierten manchmal die Siedlungspolitik, aber sie zogen keine Konsequenzen in der Handelspolitik. 

Wenn es Frieden geben soll, müssen beide Seiten bittere Kompromisse schließen. Die Palästinenser müssen letztlich akzeptieren, dass Haifa und Jaffa für sie verloren sind. Die Israelis müssen anerkennen, dass bei Gründung ihres Staates ein großer Teil der arabischen Bevölkerung Palästinas vertrieben wurde. Pott: „Wenn die politische Klasse in Israel darauf beharren sollte, dass die Sicherheit des Staates nur auf Kosten des Selbstbestimmungsrechtes der Palästinenser herzustellen sei, ist Frieden ausgeschlossen“.

 

Der Autor ist überzeugt, dass die neue amerikanische Administration eine schwierige, aber auch lösbare Aufgabe hat, wenn sie vermeidet, sich von der Position Israels abhängig zu machen. Der beste Beweis bestehe in der Figur des neuen Vermittlers George Mitchell, der 1995 bis 1998 in Nordirland bewiesen hat, dass man Konflikte lösen kann, die unmöglich scheinen.

Am Iran wird die Weltgemeinschaft nicht vorbei kommen. Dort leben mittlerweile 70 % der 72 Millionen Iraner, die nach der Ayatollah Umwälzung geboren sind. Die aber manchmal mit der religiösen Disziplin nicht mehr so viel am Hut haben. Aber sie haben einen großen Nationalstolz. Und sie können nicht vergessen, wie die Europäer und die USA gerne zugeschaut hätten, wenn Saddam ihrem Staat damals ein richtiges Ende bereitet hätte. Der Besitz der Atombombe damals wäre für den Saddam eine Abschreckung gewesen. Andererseits war der Mullahstaat immer realpolitisch an der Arbeit, mit den USA die Taliban zu verjagen aus Afghanistan. Beide Regierungen betreiben die Stabilisierung und den Wiederaufbau in Afghanistan. Unbekannt sei die Tatsache, dass der Iran zu den größten Geberländern bei der afghanischen Wiederaufbauhilfe gehört.

Natürlich muss man ein Land verstehen, das sich von außen bedroht fühlt. Die USA haben gemeinsam mit Israel unter Bush zu oft davon geredet, dass sie den nächsten Angriff gegen den Iran machen. Sie haben auch in Afghanistan einiges dafür vorbereitet, um diesen Angriff voranzubringen. Dass der Krieg gegen den Iran durch die Wahl von Obama ausgestanden zu sein scheint, mindert oder beseitigt noch nicht das Gefühl, potentielles Opfer zu sein.

 

Marcel Pott: Der Westen in der islamischen Falle. Von Jerusalem bis Teheran. Der neue Nahe Osten.

Kiepenheuer und Witsch Köln 2009  176 Seiten

8.95 Euro